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Lernen aus Leidenschaft

Das GasthörerCard-Programm der Freien Universität Berlin feiert in diesem Jahr zehnten Geburtstag

31.05.2010

Gebannt lauschen und aktiv teilnehmen: Seit zehn Jahren begeistert das GasthörerCard-Programm Berufstätige und Rentner.

Gebannt lauschen und aktiv teilnehmen: Seit zehn Jahren begeistert das GasthörerCard-Programm Berufstätige und Rentner.
Bildquelle: Sabrina Wendling

„Wenn jemand in unserem Alter Langeweile hat, dann sage ich nur: selbst schuld!“ erzählt die 67-jährige Bergild Jander – und erhält Zustimmung von ihrem fünf Jahre älteren Bruder Arne Franke: „Ja, man könnte den ganzen Tag in Berlin unterwegs sein.“ Die Geschwister nehmen seit sechs Jahren am GasthörerCard-Programm der Freien Universität teil und sind immer wieder aufs Neue begeistert von dem umfangreichen Angebot. Dieses Semester befassen sie sich mit den Werken von Picasso und Matisse. „Angefangen haben wir mit EDV- und Kunst-Kursen“, sagt die ehemalige Angestellte eines Patentanwaltsbüros. „Mittlerweile haben wir auch an mehreren Exkursionen teilgenommen, zum Beispiel in die Altmark, nach Dresden und nach Görlitz.“

Auch die Gründerin und Leiterin des Gasthörerprogramms am Weiterbildungszentrum der Freien Universität, Felicitas Wlodyga, konnte sich vor zehn Jahren noch nicht vorstellen, welchen Umfang und Erfolg das Programm einmal haben würde. Am Anfang stand nur der Titel. Dann kamen die Ideen, die Lust, etwas Neues auszuprobieren und viel, viel Arbeit. Der Einsatz hat sich gelohnt: Heute zählt das Programm 2000 verkaufte GasthörerCards im Jahr. 27 Kulturpartner – von der Akademie der Künste bis zum Zoologischen Garten – sind inzwischen mit dem Programm verbunden. Um das Angebot gezielter auf die unterschiedlichen Interessen abstimmen zu können, gibt es die GasthörerCard mittlerweile in den Varianten „Classic“ und „Art“: für die Teilnahme an regulären Lehrveranstaltungen pur – von A wie Arabistik bis Z wie Zoologie - oder in Verbindung mit vielfältigen Kunst-Erlebnissen im Zusatzangebot „Kunstgeschichten vor Ort“, das mittlerweile 160 Kurse exklusiv für Gasthörer mit rund 40 Dozenten umfasst. Dieses Semester liegt der Epochenschwerpunkt auf der Zeit von 1945 bis 2010. Zahlreiche Seminare setzen sich intensiv mit der Kunstgeschichte dieses Zeitraums auseinander – mit Werken von Pablo Picasso und Frida Kahlo bis hin zu Francis Bacon und Josef Beuys. Im Wintersemester starten Kurse zur Romantik sowie zur Gotik im Mittelalter.

Seit fünf Jahren gibt es zudem das Programm „Via Artium – Weg der Künste“ für kunst- und kulturhistorische Exkursionen mit derzeit 30 Reisen im Jahr. Das Angebot reicht von Tagesausflügen, zum Beispiel in die „Künstlerhochburg Giebichenstein in Halle“, bis hin zu mehrtägigen Reisen, etwa um den „Goldenen Kunstherbst in Mailand“ zu erleben.

„Die Verbindung von Theorie im Seminar und Kunst vor Ort, wie man sie auf einer Exkursion erleben kann, finde ich bedeutend“, erzählt Jan Maruhn. Seit fünf Jahren ist der Kunsthistoriker Dozent im GasthörerCard-Programm und bietet seitdem regelmäßig Seminare sowie Exkursionen mit Schwerpunkt im 19. und 20. Jahrhundert an. Über das Interesse der Teilnehmer an Kunst und Architektur und die Freude, gemeinsam neue Ansätze und Zusammenhänge zu entdecken, staunt er immer wieder. „Die Rückmeldung der Lernenden ist mir sehr wichtig. Durch den persönlichen Kontakt merke ich, wie das Thema ankommt. Und über ein Lob freue ich mich besonders“, sagt Maruhn. Für ihn sollten die Gasthörer als Voraussetzung nur Neugier mitbringen und die Bereitschaft, etwas lernen zu wollen.

Bergild Jander und Arne Franke haben erst im Ruhestand Zeit für ihre heimliche Leidenschaft gefunden. „Wir standen beide im Berufsleben und sind nebenbei nicht dazu gekommen. Dabei sind wir schon immer an Kunst interessiert gewesen und haben uns deshalb, sobald es möglich war, intensiver damit befasst.“ Von dem Angebot für Gasthörer an der Freien Universität haben die Rentner im „Tagesspiegel“ gelesen und sich sofort durch das Programmangebot gearbeitet. Begeistert sind beide von den Seminaren und Exkursionen. So nehmen sie etwa aus den Museumsbesuchen viel mit: „Es ist immer wieder spannend zu sehen, wie viel die Dozenten aus uns herausholen und was man in den Bildern alles erkennen kann.“

Was Programmleiterin Felicitas Wlodyga auf keinen Fall wollte, war eine Seniorenuniversität: „Gasthörer kann jeder werden.“ Das Alter der Kerngruppe liegt dennoch bei 55 plus. Aber auch Frauen nach der Erziehungsphase und junge Menschen in Teilzeitjobs nutzen gern das Angebot. „Schnell ist uns klar geworden, dass Kunstgeschichte ein Lieblingsfach der Gasthörer ist“, sagt Wlodyga, „deshalb – und um die Universität zu entlasten – haben wir Kurse in diesem Bereich ausschließlich für Gasthörer angeboten“. Daraus hat sich mit „Kunstgeschichten vor Ort“ ein eigenständiges und strukturiertes Programm entwickelt: Es umfasst inzwischen auch die Bereiche Literatur, Theater, Musik und Philosophie.

„Wir haben sehr viele treue Gasthörer, die schon lange dabei sind“, freut sich Wlodyga. „Sie kennen sich teilweise so gut aus, dass wir immer speziellere Themen anbieten können.“ Inzwischen hat sich eine „Philosophie-Werkstatt“ herausgebildet, in der Gasthörer in fünf Semestern systematisch mit zwei Philosophen arbeiten und die philosophische Praxis kennenlernen. „Und auch dieser Bereich kann noch weiter ausgebaut werden“, sagt Felicitas Wlodyga.

Die GasthörerCard hat sich zum Selbstläufer entwickelt. Der zehnte Geburtstag wird deshalb nicht das letzte runde Jubiläum sein.