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Die Milch macht’s

31.05.2010

Nicht alle Pflanzenforscher haben einen grünen Daumen. Sonja Sytwala hat einen blauen. Wenn die Pharmaziestudentin morgens im Botanischen Garten bei den Korbblüten-Gewächsen Proben sammelt, braucht sie dicke, schlumpfblaue Handschuhe. Ohne sie wäre dieser Teil ihrer Diplomarbeit nicht ungefährlich. Denn der Milchsaft der Pflanzen hat es in sich: „Oft enthält er toxische Verbindungen. Wenn der Saft auf die Haut kommt, können Blasen und Wunden entstehen“, erklärt Matthias Melzig, Professor für Pharmazeutische Biologie.

Um an die Milch zu kommen, schneidet Sonja Sytwala mit dem Skalpell quer in den Stengel, etwa fünf Millimeter tief. Sofort bilden sich milchig-weiße Tropfen, die sie in eine kleine Plastik-Tülle befördert. Drei Tropfen, wie beim Giftlattich, sind schon eine ganze Menge. In der Pharmazie interessieren sich Forscher schon länger für den Milchsaft von Pflanzen. Denn neben giftigen Substanzen wie sogenannten Diterpenen enthält er auch Zucker, Stärke, Glykoside, Tannine, Wachse, Harze, Säuren und Enzyme.

Vor allem Pflanzen aus der Familie der Korbblütler oder Asteraceae bilden oft Milchsaft. Die Forschung an einer der mit mehr als 24 000 Arten weltweit größten Blütenpflanzenfamilien ist auch ein Schwerpunkt der Arbeit des Botanischen Gartens der Freien Universität Berlin. Einige hundert verschiedene Korbblütler, vor allem aus Europa, dem Mittelmeerraum, Asien und Nordamerika werden in den Lebendsammlungen kultiviert und bilden die Grundlage für die Forschung. Innerhalb des „Dahlem Centre of Plant Sciences“ arbeiten Pharmazeuten gemeinsam mit Botanikern und Phylogenetikern daran, die Pflanzenfamilie noch genauer zu untersuchen.

Zusammen mit dem Direktor des Botanischen Gartens und Professor für Systematische Botanik, Thomas Borsch, und Eckhard von Raab-Straube, Spezialist für Korbblütler am Botanischen Garten, hat Matthias Melzig ein Kooperationsprojekt entworfen, um am Beispiel der Milchsaftgewächse verschiedenen Forschungsfragen nachzugehen.

Anhand von Sequenzen der Desoxyribonukleinsäure (DNS), der Trägerin der Erbinformation, werden zunächst die Verwandtschaftsverhältnisse der Korbblütler rekonstruiert. Das ist die Voraussetzung um zu verstehen, in welchen Entwicklungslinien bestimmte MilchsaftSubstanzen in den Pflanzen vorkommen. „Es ist erstaunlich, was selbst in unserer Europäischen Flora noch zu entdecken ist“, sagt Thomas Borsch. Diese Ergebnisse sind wiederum für die Pharmazeuten interessant. Mithilfe der chemischen Analytik untersuchen sie, welche Enzyme in der Medizin eingesetzt werden könnten, um Schlaganfallpatienten zu helfen. Matthias Melzig und seine Mitarbeiter sind auf der Suche nach solchen Enzymen, die in der Lage sind, Blutgerinnsel auch längere Zeit nach einem Schlaganfall noch aufzulösen. „Man könnte die Pflanze als Blaupause verwenden und als Ausgangspunkt für neue Medikamente nehmen“, erklärt der Pharmazeut.

In dem dritten Projekt wird erforscht, ob Enzyme in Wolfsmilchgewächsen auch dazu beitragen, Entzündungen zu verstärken. Untersuchungen pflanzlicher Milchsäfte könnten aber auch für die Lebensmittelherstellung interessant sein: Grüne Biotechnologie könnte Proteine aus der Pflanzenmilch als Bauplan für solche Enzyme verwenden, die zur Verarbeitung von Milch eingesetzt werden können. jk