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Wissenschaftler als Brückenbauer

Die Freie Universität Berlin unterstützt den Aufbau der Deutsch-Türkischen Universität in Instanbul

31.05.2010

„Die wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen der Türkei und Deutschland hat eine lange Tradition“, sagt Philip Kunig. Der Professor für Öffentliches Recht und Völkerrecht an der Freien Universität Berlin hat deshalb keine Sekunde gezögert, als es darum ging, den Aufbau der Deutsch-Türkischen Universität (DTU) in Istanbul zu unterstützen. Federführend für die deutsche Seite verantwortet Kunig die Errichtung der juristischen Fakultät an der Universität, die mit 20 000 Studierenden zu den größten Universitäten des Landes zählen wird. Sie soll ihren Lehr- und Forschungsbetrieb zum Wintersemester 2010/2011 im Oktober dieses Jahres aufnehmen. Das türkische Parlament hatte vor kurzem ein entsprechendes Gründungsgesetz verabschiedet.

Geplant ist die DTU als vollwertige staatliche Forschungsuniversität. „Die juristische Fakultät wird neben einem türkischen Jura-Studium auch juristische Masterprogramme anbieten, beispielsweise zum europäischen Wirtschaftsrecht, zum Verwaltungsrecht oder zum Strafverfahrensrecht", erklärt Philip Kunig. Damit werde die Universität jungen Menschen eine auf ihre Biografie zugeschnittene Ausbildung ermöglichen.

Philip Kunig ist einer der Vizepräsidenten des deutschen Universitätskonsortiums, das für den Aufbau der Deutsch-Türkischen Universität gebildet wurde. Das Konsortium wurde im Juli 2009 von 26 deutschen Hochschulen und dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) gegründet. Geleitet wird es von der ehemaligen Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth. Für die Errichtung der Fakultäten der DTU hat je eine deutsche Hochschule die Koordinierung auf deutscher Seite übernommen.

Grundlage für das vom türkischen Parlament verabschiedete Gründungsgesetz ist ein zwischenstaatliches Abkommen, das von der Türkei und Deutschland ratifiziert wurde. Es sieht vor, dass Deutschland substanzielle Beiträge zum akademischen Betrieb, zur Lehre und zur Vermittlung der deutschen Sprache an der Deutsch-Türkischen Universität leisten wird. Diese Kooperationsleistungen werden vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit rund 40 Millionen Euro finanziert. Projektträger ist der DAAD. Dieser fördert bereits mehrere deutsche Auslands-Universitäten: unter anderem in Kasachstan, Ägypten, Oman, Jordanien und Vietnam. Die Deutsch-Türkische Universität in Istanbul wird eine rechts-, eine wirtschafts- und sozialwissenschaftliche und eine kulturwissenschaftliche Fakultät sowie einen naturwissenschaftlichen und ingenieurwissenschaftlichen Fachbereich besitzen. Die Unterrichtssprachen werden Türkisch und Deutsch sein, die Universitätsabschlüsse sollen in beiden Ländern anerkannt werden.

Diskutiert wurde über eine Deutsch-Türkische Universität bereits in den 1980er Jahren. Doch während seither mithilfe der französischen und der US-Regierung mehrere Universitäten in der Türkei entstanden sind, gab es bisher keine deutsche Hochschule in dem Land. Einen wichtigen Beitrag zur Gründung der DTU leistete die starke Nachfrage nach Studienplätzen in der Türkei und die Bemühungen des ehemaligen Bundesaußenministers Frank-Walter Steinmeier, der neben diplomatischen Anstrengungen im Jahre 2007 in der „Süddeutschen Zeitung“ einen gemeinsamen Offenen Brief mit Rita Süssmuth veröffentlichte.

Steinmeier und Süssmuth schrieben damals: „Heute, 50 Jahre nach dem Beschluss zum Bau der Bosporus-Brücke, die zum ersten Mal in der Geschichte Europa und Asien auf dem Landweg verbindet, ist es an der Zeit, einen neuen Brückenschlag zwischen Deutschland und der Türkei zu wagen, der nicht nur die Kontinente, sondern die Köpfe und Herzen junger Menschen in der Türkei und in Deutschland noch enger zusammenführt. Deutsche Universitäten und ausländische Hochschulen kooperieren bereits in zahlreichen Ländern, auch in der Türkei. Aber in der Türkei gibt es noch keine deutsche Universität. Und dies, obwohl Deutschland mit wohl keinem anderen dieser Länder mehr verbindet als mit der Türkei.“ Die DTU genießt parteiübergreifende Zustimmung. So zählte die Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP die DeutschTürkische Universität im Oktober 2009 in ihrem Koalitionsvertrag zu den „Brücken unserer werteorientierten Außenpolitik.“

Ein unfreiwilliger Brückenbauer zwischen Deutschland und der Türkei war auch Ernst Hirsch: Die Türkei bot dem späteren Rektor der Freien Universität eine Heimat, als dieser 1933 aus Deutschland fliehen musste. Der Rechtswissenschaftler wurde wegen seiner jüdischen Herkunft aus dem Staatsdienst entlassen und verließ Deutschland, um auf Einladung der Regierung Mustafa Kemal Atatürks an der Universität Istanbul einen Lehrstuhl für Handelsrecht zu übernehmen. Auf die gleiche Weise konnten hunderte deutsche Wissenschaftler jüdischen Glaubens während des Nazi-Regimes sich und ihre Familien in der Türkei in Sicherheit bringen.

Ernst Hirsch war maßgeblich an der Abfassung des türkischen Handelsgesetzbuches und des türkischen Gesetzes zum Urheberrecht beteiligt. Er prägte die juristische Ausbildung in der Türkei nachhaltig. Ernst Reuter, der ebenfalls während der Schreckensherrschaft des Nazi-Regimes im türkischen Exil war, konnte Ernst Hirsch dazu bewegen, im Jahr 1952 an die 1948 gegründete Freie Universität Berlin zu wechseln. Ein Jahr später wurde Ernst Hirsch zum sechsten Rektor der Freien Universität gewählt. Die Studierenden der Deutsch-Türkischen Universität hätten nun die einzigartige Möglichkeit, nicht nur an das juristische Erbe Ernst Hirschs anzuknüpfen, sagt Philip Kunig. „Sie können zu wirklichen Brückenbauern zwischen der Türkei und Deutschland werden.“