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Von Heilern und Heilpflanzen

Eine Veterinärmedizinerin und eine Ethnologin der Freien Universität forschen in Südafrika

31.05.2010

Der tägliche Muthi-Markt in Durban an der Ostküste Südafrikas. Hier werden Heilpflanzen in unterschiedlichster Form und zu verschiedenen Zwecken angeboten.

Der tägliche Muthi-Markt in Durban an der Ostküste Südafrikas. Hier werden Heilpflanzen in unterschiedlichster Form und zu verschiedenen Zwecken angeboten.
Bildquelle: Britta Rutert

Veterinärmedizinerin Johanna Plendl erforscht mit Zodwa Dlamini Pflanzen, die eine Wirkung auf die Bildung von Blutgefäßen haben und traditionell gegen Krebs eingesetzt werden.

Veterinärmedizinerin Johanna Plendl erforscht mit Zodwa Dlamini Pflanzen, die eine Wirkung auf die Bildung von Blutgefäßen haben und traditionell gegen Krebs eingesetzt werden.
Bildquelle: Nicole Körkel

Biochemikerin Zodwa Dlamini von der Universität Limpopo stellt Extrakte von südafrikanischen Heilpflanzen her und sendet diese an ihre Kooperationspartnerin Johanna Plendl in Berlin.

Biochemikerin Zodwa Dlamini von der Universität Limpopo stellt Extrakte von südafrikanischen Heilpflanzen her und sendet diese an ihre Kooperationspartnerin Johanna Plendl in Berlin.
Bildquelle: Jan Hambura

Ethnologin Britta Rutert war ein Jahr lang in Kapstadt. Sie untersucht das Wissen über Heilpflanzen, den Umgang damit und die Frage nach intellektuellen Eigentumsrechten in Südafrika.

Ethnologin Britta Rutert war ein Jahr lang in Kapstadt. Sie untersucht das Wissen über Heilpflanzen, den Umgang damit und die Frage nach intellektuellen Eigentumsrechten in Südafrika.
Bildquelle: Nicole Körkel

Hexen, Heiler oder Homöopathen – von jeher gab es Menschen mit einem besonderen Wissen über Pflanzen und deren Heilkraft. Dies ist längst auch in Schulmedizin und Pharmaindustrie gefragt: Gesucht werden Gewächse, mit denen Krankheiten und Epidemien wie Krebs oder Malaria bekämpft werden können. Der globale Trend zu alternativen Heilmethoden führte die Veterinärmedizinerin Johanna Plendl und die Ethnologin Britta Rutert von der Freien Universität Berlin nach Südafrika. Die beiden Wissenschaftlerinnen betrachten Medizinalpflanzen aus unterschiedlicher Perspektive.

Das südlichste Land Afrikas ist reich an Naturschätzen – hier gedeihen Pflanzen, die es nirgends sonst auf der Welt gibt. Die begehrten Heilpflanzen wachsen vor allem im tropischen Klima der Ostküste. Zodwa Dlamini, Professorin für Biochemie an der Universität Limpopo, untersucht die heimischen Gewächse in ihrem Labor. „Wir suchen nach Pflanzen mit Wirkung auf die Angiogenese, also die Bildung von Blutgefäßen, die traditionell gegen Krebs eingesetzt werden“, sagt ihre Kollegin Johanna Plendl, Professorin am Institut für Veterinär-Anatomie der Freien Universität.

Die beiden Wissenschaftlerinnen lernten sich vor zehn Jahren bei Forschungsarbeiten in Durban kennen. Jetzt haben sie ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziertes Kooperationsprojekt gestartet: Plendl und Dlamini erforschen, welche Pflanzen über sogenannte anti-angiogene Faktoren verfügen – Wirkstoffe, die die Bildung von Blutgefäßen unterdrücken. „Eine gute Blutgefäßbildung ist für einen Tumor wie die Fahrt auf einer Autobahn“, erklärt die Veterinäranatomin, „,da geb ich Gas‘, sagt der sich, und dehnt sich schnell aus.“ Anti-angiogene Wirkstoffe sollen das Wachstum bremsen. Sie sind aber nicht nur wichtig für die Behandlung von Krebs, sondern auch von Rheuma oder Erblindung.

Um die richtigen Pflanzen zu finden, recherchiert Dlamini in Fachkreisen, befragt ihre südafrikanische Familie und die lokale Bevölkerung, in der das Wissen um Heilpflanzen noch immer weit verbreitet ist. Derzeit untersucht die Biochemikerin zehn verschiedene Pflanzen, die dort so gängig und auch in Apotheken erhältlich sind wie etwa Kamillenblüten in unseren Breitengraden. Welche das sind, verrät sie noch nicht. Sie fertigt Extrakte an, die sie gefriergetrocknet an Johanna Plendl schickt, die deren Wirkung untersucht und quantifiziert. „Es geht darum, die Sicherheit und Effektivität der Pflanzen zu kennen und zu nutzen“, sagt Zodwa Dlawini. Die Pflanzen würden zwar seit Generationen eingesetzt, bisher gebe es allerdings keine Studie, die eine statistisch gesicherte Wirkung belegt.

Johanna Plendl und ihr Team haben 2005 ein preisgekröntes Verfahren entwickelt und validiert, das Blutgefäßforschung ohne Tierversuche ermöglicht. Dank dieses Ersatzmodells testet sie die Pflanzen-Extrakte nun an Endothelzellen in einer Zellkulturschale. Gewonnen werden diese aus Schlachthofabfällen, vor allem aus Eierstöcken von Rindern. Eierstöcke gehören zu den wenigen Geweben im ausgewachsenen Körper, in denen sich im Rhythmus des Hormonzyklus ständig neue Kapillaren bilden. Johanna Plendl, 2009 als erste Frau aus der Veterinärmedizin in die Nationale Akademie der Wissenschaften, die Leopoldina, aufgenommen, rechnet in den nächsten Monaten mit ersten Forschungsergebnissen. Abhängig davon sollen in einer späteren Projektphase auch Pflanzen verwendet werden,die im Handel üblicherweise nicht erhältlich sind. „Dann wird eine engere Kooperation mit traditionellen Heilern notwendig sein, die auch davon profitieren sollen“, sagen die Kooperationspartnerinnen.

Muthi nennt man im südlichen Afrika die traditionelle Medizin. Der Begriff wird aus dem Zulu-Wort für „Baum“ abgeleitet und bezeichnet die Mischung aus Pflanzen, wie sie von traditionellen Heilern angewandt wird. Diese spielen im kulturellen Leben bis heute eine große Rolle und werden von einem Großteil der Bevölkerung eher konsultiert als Schulmediziner – für die Behandlung von Krankheiten, für rituell-zeremonielle Zwecke oder psychologische Unterstützung.

Wem aber gehört das Wissen über Medizinalpflanzen? Darf es als Allgemeingut von allen genutzt werden – auch von der weltweiten Pharmaindustrie? Wie geht man in Südafrika mit dem Thema um? Mit diesen Fragen beschäftigt sich Britta Rutert in ihrem von der DFG geförderten Promotionsprojekt. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Ethnologie der Freien Universität, das mit dem „Indigenous Knowledge Health Lead Program“ kooperiert, einer Forschungseinheit des „Medical Research Council“ (MRC) der Regierung Südafrikas. „In der südafrikanischen Bevölkerung und der Politik werden die Fragen nach intellektuellen Eigentumsrechten verstärkt diskutiert – vor allem in Zusammenhang mit Krankheiten wie Malaria oder HIV/AIDS“, sagt Professor Hansjörg Dilger, der die Arbeit betreut.

In den 1990er Jahren beschwor Staatspräsident Thabo Mbeki die sogenannte afrikanische Renaissance: Lokale Werte sollten wiederbelebt und lokales Wissen gestärkt, gleichzeitig aber auch global vermarktet werden – ein Spagat, der Spannungen mit sich bringt. Nationale und internationale Organisationen versuchen heute, Regularien zu schaffen, um gegen Biopiraterie vorzugehen und Patentrechte für die indigene Bevölkerung einklagen zu können. Angesichts der kulturellen Vielfalt in Südafrika ist die Frage nach intellektuellem Eigentum jedoch nicht einfach zu beantworten.

Britta Rutert betrachtet die politischen Akteure und Netzwerke, die sich zum Thema Medizinalpflanzen einschalten und beobachtet die Auswirkungen auf ökonomische und gesellschaftliche Entwicklungen. Entscheidend ist für sie der ganzheitliche Ansatz. So verfolgt die Ethnologin den gesamten Weg des Muthi: Von der traditionellen Herstellung der Pflanzenmischung über Testverfahren in Laboren bis hin zu einem weltweit vermarktbaren medizinischen Produkt. Dabei zeigt sie, wie unterschiedliche Wissens- und Wertevorstellungen aufeinanderstoßen. Sie hat Muthi-Märkte besucht, Heiler im Alltag begleitet und sich sogar selbst behandeln lassen. Und dabei erfahren, dass indigenes Wissen in unterschiedlichsten Formen und Ausprägungen genutzt wird – Heiler ist nicht gleich Heiler: „Sangoma kommunizieren durch bestimmte spirituelle Praktiken mit den Ahnen“, sagt Rutert. „Inyanga dagegen sind klassische Pflanzensammler, sie verabreichen Pflanzen ohne explizite Techniken. Da die Leute zum Teil ein wenig Angst vor Wirkung und Kraft dieses Wissens haben, sprechen sie den Inyanga auch Fähigkeiten sogenannter Hexerei zu.“ Wie auch immer eingesetzt, stellt das indigene Wissen eine Lebensgrundlage dar. Für manche ist Heilen eine Berufung, für andere ein lukrativer Nebenjob, wieder andere betreiben Handel mit den Pflanzen. Ein Problem für viele Heiler ist – so absurd es klingt – der Naturschutz: Durch immer größer werdende Naturreservate verlieren sie frei zugängliche Landflächen. Das macht nicht nur das Sammeln schwieriger, sondern auch die Anwendung der Pflanzen und letztendlich die Wissensvermittlung an nachfolgende Generationen. Zurück in Berlin analysiert Britta Rutert ihre Daten. Ihre Überzeugung: „Die Kenntnisse über die Heilpflanzen sollten wachsen und dem Menschen dienen, aber ihre Nutzung sollte nicht denjenigen die Wurzeln entreißen, die das Wissen über Generationen ausgesät und gepflegt haben.“