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Das Märchen von Machos und Mafiosi

Konferenz an der Freien Universität untersuchte das Bild von italienischen Migranten in Deutschland von der Nachkriegszeit bis heute

31.05.2010

„Aaah, Bella!“ posaunt Giovanni und bremst seine rote Vespa vor Brigittes Haus. „Ciao, mio amore“, flötet Brigitte, und zieht das Wort „amore“ so lang wie einen klebrigen Kaugummi. Küsschen rechts und links, und los geht die Fahrt auf der Vespa. Brigitte schließt die Augen: Sie sieht Olivenhaine, sonnengelbe Häuser und lachende Menschen. Sieht ihren Giovanni, wie er in der Eisdiele seines Vaters Salvatore bunte Eisbällchen rollt und so schief wie den Turm von Pisa auf Waffeln türmt; wie er in der Pizzeria seines Onkels Alberto kross gebackene Teigplatten aus dem Holzofen zieht und zum Nachtisch mit Verbeugung und „Prego“ einen starken, heißen Espresso serviert. Brigitte seufzt und denkt sich: „Das ist Dolce Vita!“ Dabei ist Brigittes Kopfkino vielmehr eine „Deutsche Vita“ – eben so, wie sich die Deutschen das Leben der Italiener in leuchtenden Farben ausmalen. „Deutsche Vita“ – diesen Titel trug vor wenigen Wochen auch eine Konferenz an der Freien Universität, die sich den Vorurteilen gegenüber Italienern in der Bundesrepublik widmete, angefangen von der Gastarbeiter-Ära bis zur Gegenwart. Organisiert hatten sie Oliver Janz, Professor für neuere europäische Geschichte an der Freien Universität Berlin, und Roberto Sala, promovierter Historiker an der Universität Erfurt. Wissenschaftler aus Deutschland, Italien und Österreich sprachen während der Tagung über das gewandelte Bild der Italiener: Dachte man früher an arme „Gastarbeiter“, verbindet man heute mit Italienern ein Genießer-Volk und einen Lebensstil, der durchaus neidisch macht und kopiert wird – sei es durch die Anschaffung einer Espresso-Maschine oder die Bepinselung der heimischen Wände in Toskanagelb.

Italien ist nicht gleich Italiener, oder anders: Wer das Land liebt, muss seine Menschen nicht lieben. Für Kultur, Landschaft und Geschichte Italiens konnten sich deutsche Bildungseliten schon lange erwärmen. In der Nachkriegszeit machte der moderne Tourismus das Land zu einem Erholungsort, der zugänglich für die Massen war. Dass aber das positive Bild des Landes auch abfärbte auf das Bild der Menschen, war erst seit den späten siebziger Jahren zu beobachten, nicht zuletzt weil Italien infolge des wirtschaftlichen Aufstieges allmählich zum reichen Europa gezählt wurde. Die italienische Lebensweise galt immer mehr als nachahmenswert: Wenn die Deutschen „Dolce Vita“ hörten, dachten sie an fröhliche, entspannte Menschen, an Machos und Charmeure, Espresso und Eis, Sonne und Strand. Diese imaginierte Form des Italienischen wurde zur Marke – „Dolce Vita“ ließ und lässt sich verkaufen.

So war es noch nicht, als die italienischen Gastarbeiter in der Nachkriegszeit zu Hunderttausenden nach Deutschland strömten: „Die Bundesregierung bemühte sich, diese Migrationswelle öffentlichkeitswirksam als Zeichen deutscher Stärke und als Teil des deutschen Wirtschaftswunders zu präsentieren“, sagt Oliver Janz. Doch die Deutschen empfanden die Gastarbeiter eher als Schwäche. Sie fürchteten die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt, das Fremde in ihrem Land. Sie bauten sich eine geräumige Klischee-Schublade, und dort sortierten sie die eingetroffenen „Gastarbeiter“ ein: „Die zugewanderten Italiener galten vielen als arm und kriminell, machohaft und mafiös“, sagt Janz. Nicht nur die Deutschen sahen die Italiener so, auch die Franzosen und Belgier, ja sogar die eigenen Landsleute in Norditalien drückten den Zugereisten diese Negativ-Stempel auf, wie Sala betont. „Grundsätzlich wurden nicht nur Italiener, sondern alle Südeuropäer im Norden von Europa so beurteilt“, stellten Janz und Sala auf der Konferenz fest, „die Klischees waren immer ein Instrumentarium, um den Zugewanderten ihren Platz in der Gesellschaft zuzuweisen.“ Weil sie als erste große Migrationsgruppe nach Deutschland kamen, hätten die Italiener in der Bundesrepublik als Inbegriff der rückständigen und potenziell gefährlichen „Südländer“ gegolten. Laut Sala war die oft ausgesprochene Annahme, die italienischen „Gastarbeiter“ seien überdurchschnittlich kriminell gewesen und hätten zu sexuellen Übergriffen geneigt, offensichtlich falsch: „Kriminalstatistiken belegen das.“

In den achtziger Jahren wandte sich das Italien-Bild zum Positiven: Die Rolle der gesellschaftlichen „Problemgruppe“ wurde nun den türkischen Einwanderern zugewiesen, die in großer Zahl nach Deutschland strömten. „Gesellschaften neigen dazu, Rollen zu verteilen wie ,guter Ausländer‘ und ,schlechter Ausländer‘ – und weil man die Türken noch nicht kannte, die Italiener aber nun zu kennen glaubte, galten die Türken im Klischee vieler Deutschen als ,schlechte Ausländer', die Italiener dagegen als kulturelle Bereicherung", erklärt Janz. Auf einmal herrschte die Meinung vor, die Italiener seien hervorragend integriert in die deutsche Gesellschaft. Doch auch diese Meinung beruhte auf falschen Annahmen. Italiener, das waren für die Deutschen Eisdielenbesitzer, Pizzabäcker und Kellner, die ihnen mit einem freundlichen „Buona sera“ die Tür öffneten und die Damen mit Nettigkeiten und Komplimenten überhäuften. Roberto Sala nennt sie die „sichtbaren Italiener“. Die „Unsichtbaren“ waren jedoch in der Mehrzahl, die „Gastarbeiter“ nämlich, die eben nicht als Kleinunternehmer, sondern im Niedriglohnbereich arbeiteten und zu denen die Deutschen zumeist keinen Kontakt hatten.

„In Deutschland dachte man, dass all diese Kleinunternehmer den Aufstieg vom Fließbandarbeiter zum Restaurantbesitzer geschafft hätten – dabei gab es so einen Aufstieg höchst selten.“ Die italienischen Kleinunternehmer und die „Gastarbeiter“ waren keine homogene Gruppe, sondern zwei völlig unterschiedliche Personenkreise, die mit genauso unterschiedlichen Zielen und Qualifikationen nach Deutschland kamen. Sala hält es für ein Märchen, dass die Integration der Italiener gelungen sei: „Diejenigen ,Gastarbeiter‘, die in Deutschland geblieben sind, gehören auch heute noch zur sogenannten Unterschicht und arbeiten in prekären Beschäftigungsverhältnissen.“ Aufgrund der geringen sozialen Mobilität in Deutschland hätten die Kinder dieser einstigen Migranten ein ähnlich niedriges Bildungsniveau wie ihre Eltern oder Großeltern: „Überdurchschnittlich viele besuchen heute Haupt- oder sogar Sonderschulen.“ Zwar lebten in Deutschland auch gut qualifizierte und gut verdienende Italiener, aber sie hätten mit der Geschichte der „Gastarbeiter“ wenig gemeinsam, meint Sala: „Seit den achtziger und neunziger Jahren ziehen immer mehr Akademiker von Italien nach Deutschland. Sie stellen jedoch nur eine kleine Gruppe der Menschen italienischer Herkunft dar und betrachten sich als Teil einer europäischen, kosmopolitischen Bildungselite.“