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Geschichte für Kopf und Herz

Projekt „Zwangsarbeit 1939–1945“ macht Zeitzeugen-Berichte für Schulen sowie Wissenschaft und Forschung zugänglich

31.05.2010

„Die direkte Begegnung ist eindringlich“: Schülerin Mariam Mogge im Gespräche mit der ehemaligen Sklavenarbeiterin Jutta Pelz-Bergt.

„Die direkte Begegnung ist eindringlich“: Schülerin Mariam Mogge im Gespräche mit der ehemaligen Sklavenarbeiterin Jutta Pelz-Bergt.
Bildquelle: Katja Egli

Jutta Pelz-Bergt hat als 18-Jährige Sklavenarbeit in Auschwitz geleistet und 1945 einen der „Todesmärsche“ von Auschwitz nach Ravensbrück überlebt. Mit dieser Vergangenheit bezeichnet sich die heute 86-Jährige selbstironisch und distanziert als „Auslaufmodell“. Schließlich gehöre sie schon zu den jüngeren Opfern des Nationalsozialismus, und es lebten nicht mehr viele. Mehr als zwölf Millionen Menschen haben wie die gebürtige Berliner Jüdin damals für Deutschland Zwangs- und Sklavenarbeit geleistet. Um die Erinnerung daran zu bewahren und die historisch-politische Bildung zu fördern, haben Wissenschaftler verschiedener Fächer der Freien Universität Berlin das Online-Archiv „Zwangsarbeit 1939–1945“ für Wissenschaft und Bildung sowie digitale Materialien speziell für die Nutzung in Schulen entwickelt.

Das digitale Archiv entstand in einem Kooperationsprojekt der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (EVZ) mit der Freien Universität Berlin und dem Deutschen Historischen Museum. Es basiert auf einer Sammlung von fast 600 Audio- und Video-Interviews mit ehemaligen Zwangsarbeitern aus 26 Ländern. Viereinhalb Stunden berichtet Jutta Pelz-Bergt darin von ihrem Leben vor, während und nach dem Holocaust: Bescheiden schätzt sie ihre Rolle und die des Archivs ein, was die Wirkung auf junge Menschen angehe. „Ein bisschen“, sagt die alte Dame, „helfen die Berichte vielleicht, die Geschichte an nachfolgende Generationen weiterzugeben.“

Miriam Mogge hat davon einen anderen Eindruck. Die 19-Jährige, die an der Sophie-Scholl-Oberschule gerade Abitur gemacht hat, hat die Lernsoftware während der Entwicklung getestet und Jutta Pelz-Bergt auch persönlich kennengelernt. Zwar sei die Begegnung mit Menschen, die den Holocaust überlebt haben, durch nichts zu ersetzen. Doch bereits durch die Interviews bekomme Geschichte ein Gesicht und trete aus der Anonymität heraus, sagt die Berliner Schülerin: „In dem Archiv geht es um Menschen; es geht nicht um Zahlen und Fakten wie im Geschichtsbuch. So bekommt man neue Informationen, die nicht nur in den Kopf gehen, sondern auch ins Herz – das merkt man sich besser.“ Eine Beobachtung, die auch Geschichtslehrer Bodo Förster gemacht hat: „Diese Wirkung und Authentizität in der Vermittlung sind durch normalen Unterricht nicht zu erreichen.“ Der Oberstudienrat sieht deshalb einen großen Bedarf an Unterrichtsmaterialien zum Thema, die Zeitzeugen-Berichte einschließen.

Mit dem Online-Archiv, der Lernsoftware, Hintergrund-Filmen und einem Begleitheft für Lehrer möchten die Initiatoren des Projekts „Zwangsarbeit 1939–1945“ genau diesen Bedarf decken, sagt Nicolas Apostolopoulos, Leiter des Centers für Digitale Systeme (CeDiS) an der Freien Universität. Dort wurden das Archiv und die Bildungsmaterialien mit einer Förderung der Stiftung EVZ erarbeitet. Günter Saathoff, Vorstand der Stiftung, die bis 2007 Entschädigungen an ehemalige Zwangsarbeiter auszahlte, hebt die Bedeutung des Projekts hervor: „Wir wollen die Erinnerungen nicht nur archivieren, sondern sie den Menschen zugänglich machen.“

Die Unterrichtsmaterialien für Schulen sollen zukünftig über die Bundeszentrale für politische Bildung angeboten werden. Das Online-Archiv steht im Internet nach einer Registrierung zur Verfügung und ist an der Freien Universität seit 2009 in Lehre und Forschung im Einsatz.