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Der Druck wächst

Eine Studie der Freien Universität Berlin zeigt, wie Politikjournalisten ihre eigene Branche sehen

31.05.2010

Es klingt nach Selbsthass, wie prominente Hauptstadtjournalisten ihren Berufsstand beschreiben: „Meute“, „Journaille“, „Wegelagerer“, „Wichtigtuer“; kaum ein Buch über den Berliner Medienbetrieb der vergangenen Jahre, das nicht ohne Beleidigung der eigenen Branche auskommt – manchmal ironisch, meistens weniger.

„Die publizistisch-politische Klasse ist betriebsblind geworden, weil sie sich zu viel im eigenen Getriebe bewegt“, beklagt Tissy Bruns vom „Tagesspiegel“ in ihrer Analyse „Republik der Wichtigtuer“. Eine unheilvolle „Allianz“ der Medienmacher, die alle in dieselbe Richtung senden und schreiben, sieht der Fernsehjournalist Gerhard Hofmann. Und Tom Schimmeck, Mitbegründer der „taz“ und Freier Journalist für „Die Zeit“ und den „stern“, wettert unter der Überschrift „Am besten nichts Neues“ über Medien, die zu Handlangern derer würden, die sie selbst kontrollieren sollten. Der „Spiegel“, das stolze Sturmgeschütz der Demokratie, sei zur „Spritzpistole Angela Merkels“ umgerüstet worden. Es klingt nach Wut und Resignation und Trauer. Es klingt, als verzweifele der politische Journalismus an sich selbst, als sei er dringend therapiebedürftig. Oder ist es nur eine kleine Elite, die sich grämt? Ist die breite Masse politischer Berichterstatter eigentlich zufrieden mit ihrem Job?

Eine Studie zum Selbstverständnis, vor allem aber zur beruflichen Situation der politischen Journalisten in Deutschland, hat Margreth Lünenborg, Professorin an der Arbeitsstelle für Journalistik der Freien Universität Berlin , im Auftrag des Deutschen Fachjournalisten-Verbandes (DFJV) durchgeführt. Rund 1000 Korrespondenten und Redakteure haben dafür einen Online-Fragebogen ausgefüllt. Die Auswertung zeigt, wie sehr sich die Branche im Umbruch befindet – und wie sich das Selbstbild vieler Berichterstatter wandelt. „Die Finanzkrise erleben viele Journalisten als Medien- und Anzeigenkrise“, sagt Margreth Lünenborg, „viele der Befragten geben an, dass sich ihre Arbeitssituation in den letzten fünf Jahren verschlechtert hat.“ Die Verlage streichen Stellen, der Einzelne muss mehr arbeiten – unabhängig davon, ob die Befragten bei Zeitungen, Zeitschriften, beim Radio, beim Fernsehen oder in Online-Redaktionen arbeiten. Bei Tageszeitungen allerdings sei der Druck besonders stark gestiegen: Knapp die Hälfte der dort Beschäftigten beklagt, dass die Zeit für intensive Recherchen fehle.

Viele Redaktionen wurden in den vergangenen Jahren grundlegend umgebaut, die klassischen Ressortstrukturen zunehmend aufgelöst. Der sogenannte Newsdesk hat Einzug gehalten: Alle Redakteure arbeiten dieser zentralen Stelle zu, an der schließlich die Zeitung oder Sendung produziert wird. Die befragten Journalisten sehen auch hierin eine Ursache für ihre Mehrbelastung; sie bezweifeln allerdings, dass die journalistische Qualität unter der Umstrukturierung leidet.

„Mindestens eine positive Entwicklung“ hat Kommunikationswissenschaftlerin Lünenborg auch zu vermelden: „Die Orientierung am Publikum ist deutlich stärker ausgeprägt.“ Demnach streben Politikjournalisten von heute stärker danach, „komplexe Sachverhalte zu erklären und zu vermitteln“ als noch vor wenigen Jahren. Sie kommunizierten intensiver und häufiger mit ihren Lesern und Zuschauern, informierten sich über die Reichweite ihrer Angebote und über die Akzeptanz. „Sie schreiben und senden weniger für Kollegen und Experten, als sie das früher getan haben“, sagt Margreth Lünenborg.

Die Attraktivität des Berufsfeldes Politikjournalismus scheint nicht gelitten zu haben. Noch immer sind es im Schnitt die besser ausgebildeten Journalisten, die sich mit Kanzleramt, Bundestag oder Landesregierung beschäftigen. Jeder Zehnte gibt an, promoviert oder habilitiert zu sein. Deutlich unterrepräsentiert sind – wie fast in jeder Redaktion – allerdings Frauen; auf ein Drittel beziffert Lünenborgs Studie ihren Anteil. „Und die Situation verschlechtert sich mit steigendem Alter und steigender Hierarchie.“

Der typische Politikjournalist ist demnach männlich, Mitte 40, verheiratet, Akademiker, verdient rund 2900 Euro netto und neigt politisch den Grünen zu.

Trotz des als hoch empfundenen Drucks scheint die Zufriedenheit mit dem eigenen Beruf aufgrund des gesellschaftlichen Ansehens, das ein politischer Berichterstatter genießt, gegeben zu sein. „Den Prototypen journalistischen Handelns“, nennt ihn Lünenborg; er ist derjenige, der den Mächtigen auf die Finger schaue, das sei noch immer das Selbstverständnis. Gut seien auch die Karriereaussichten: „Er hat deutlich bessere Entwicklungschancen als Kollegen anderer Ressorts“, sagt Lünenborg.

Das alles sage natürlich wenig aus über den Zustand des Politikjournalismus, warnt sie, lediglich das Selbstbild sei klarer umrissen. Nun sollen Masterstudierende von Margreth Lünenborg intensiver forschen: In persönlichen Gesprächen werden sie Motive und Ursachen erkunden und gezielt nachfragen. Spätestens dann wird sich zeigen, ob tatsächlich eine ganze Branche der Therapie bedarf.

Die Studie ist auf der Homepage des Deutschen Fachjournalisten-Verbandes verfügbar unter www.dfjv.de.