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Der Steinflüsterer

Archäologe Dominik Bonatz erforscht die Siedlungsgeschichte auf Sumatra und bringt Megalithen zum Sprechen

31.05.2010

Wie ein gefällter Baumstamm liegt der zylindrische Gesteinsbrocken auf der Erde, vom eigenen Schwergewicht fest in den Boden gedrückt. Seit vielen Jahrhunderten hat sich der vier Meter lange Megalith mit einem Durchmesser von einem Meter im Dschungel von Sumatra nicht einen Millimeter von der Stelle bewegt. Er ist dort „sesshaft“ geworden und hat die Bewohner einer der ersten Siedlungen auf der indonesischen Insel längst überlebt – ein schönes Symbol, stand doch der Megalith einst für Sesshaftigkeit und markierte das Territorium einer neu gegründeten Siedlung.

Der Stein hat sogar einen Namen: „Batu Petah“ wird er genannt. „Batu“ bedeutet Stein, „Batu Petah“ so viel wie „geschmissener Stein“. Auf der Frontseite wurde eine reliefartig eingelassene betende Figur herausgearbeitet, sie zeigt in Richtung eines nahegelegenen Vulkans: „Die heute muslimischen Bewohner des Hochlandes glauben, dass früher hinduistische Götter auf den Vulkanen saßen und einander mit Steinen bewarfen“, erklärt Dominik Bonatz, Professor für Vorderasiatische Archäologie der Freien Universität. „So erklären sie sich die Existenz der für sie rätselhaften Steine, die damit auch in einen mythologischen Bezug zu den häufigen Vulkanausbrüchen auf der Insel gesetzt werden.“

Unterschlupf findet der Forscher bei Einwohnern des Hochlandes

Bonatz ist mittlerweile ein Ortskundiger im Hochland von Jambi, im Südwesten von Sumatra. Seit dem Jahr 2000 hat er dort mehrere umfangreiche Feldforschungsprojekte abgeschlossen, ein neues ist schon in Vorbereitung. Indonesien gehört eigentlich nicht zu Bonatz’ Schwerpunktgebiet Vorderasien, aber das Land ließ ihn nicht mehr los, nachdem ihn seine Hochzeitsreise im Jahr 1997 nach Sumatra geführt hatte. Er verliebte sich sofort in die Insel und ihre archäologischen Schätze. Seitdem leistet er mit seinem Team Pionierarbeit bei der archäologischen Erforschung der Siedlungsgeschichte auf Sumatra: „Die Archäologie ist ein noch sehr junges Forschungsgebiet in Indonesien, bislang gibt es dort vor allem eine ethnologische Forschungstradition“, sagt Bonatz.

Wenn Dominik Bonatz im Hochland von Jambi forscht, findet er Unterschlupf bei den Bewohnern der nahegelegenen Dörfer im Dschungel. Sie leben dort autonom, bauen Reis, Chili und Kaffee an. Seit den achtziger Jahren kommen wieder Siedler in das Hochland, die Geschichte ihrer Vorgänger ist ihnen aber weitgehend unbekannt. Bonatz hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Siedlungsgeschichte im Hochland von Jambi mithilfe des Fundes erster Spuren für Sesshaftigkeit aus dem ersten Jahrtausend v. Chr. bis in das 19. Jahrhundert zu rekonstruieren. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Erfassung aller Megalithen in diesem Gebiet, die Aufschluss über das Leben der ersten Siedler geben.

Die Megalithen konnte Bonatz auf das 10. bis 14. Jahrhundert n. Chr. datieren. Um sie herum entdeckte das Archäologenteam tiefe Löcher in der Erde, die von den auf Holzpfeilern gebauten Häusern der Siedler stammen. Die Pfeiler dienten als Schutz vor Erdbeben und extremen Witterungsverhältnissen; sie verhinderten auch, dass Ungeziefer aus dem Dschungel in die Wohnräume gelangte. Unter den Häusern – praktisch als „Gründungsdepot“, wie Bonatz es nennt – vergruben die Bewohner wertvollen Besitz, zum Beispiel Glasperlenketten, hochwertige Messer aus Eisen und manchmal auch chinesisches Porzellan. Doch wie gelangte dies in die Berge? Bonatz forschte nach den Beziehungen der Siedler im Hoch- und Tiefland und fand heraus, dass es einen regen Handel zwischen Berg und Tal gegeben hatte.

Über das Tiefland herrschten in der Zeit zwischen dem 7. und 14. Jahrhundert n. Chr. die Königreiche von Srivijaya und Melayu. „Diese beiden Reiche kontrollierten den gesamten Seehandel zwischen Indien und China“, sagt Bonatz, „sie besaßen ihre eigene Handelsflotte und lebten außerdem von den hohen Zolleinnahmen, die sie von fremden Handelsschiffen kassierten.“ Im Hochland boten die Menschen kostbare Duftharze wie Kampfer und Gold an, das aus Flüssen gewaschen wurde, im Tiefland zahlte man mit chinesischem Porzellan, verarbeiteten Metallen, Glasperlen und Textilien, die aus dem internationalen Handel stammten. Der Handel mit natürlichen Ressourcen ist für Bonatz auch ein Grund dafür, dass Menschen plötzlich in den Bergen sesshaft wurden: „Zuerst durchstreiften nur Jäger und Sammler das Hochland, der Handel mit Rohstoffen aus dem Gebirge machte es als dauerhaften Wohnsitz attraktiv.“ Nach seinen Untersuchungen in den Regionen Kerinci und Serampas im Hochland von Jambi will Bonatz in den nächsten Jahren ein neues Stück Siedlungsgeschichte über die Minangkabau im nördlichen Hochland von Sumatra schreiben. Seine Forschungsergebnisse stellt er auf der Konferenz „Crossing Borders in Southeast Asian Archaeology“ vor, die vom 27. September bis 1. Oktober 2010 an der Freien Universität stattfindet. Es ist die 13. Konferenz der Europäischen Assoziation für Südostasien-Archäologen, alle zwei Jahre ist sie in einer europäischen Stadt zu Gast. Für Südostasienarchäologen, sagt Bonatz, „ist die Tagung eine wichtige Plattform, um sich auf einem großräumigen Forschungsgebiet miteinander zu vernetzen, für das es in Europa bislang leider kaum eine universitäre Anbindung gibt.“