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Gesund bleiben durch Möchten und Wollen

Wie Sprachmuster unser Lernen und unser Wohlbefinden beeinflussen

31.05.2010

Das „Müssen“ und das „Sollen“ sind ungesund. Sie steigern den Blutdruck, verkrampfen die Muskeln und lassen die Blutfettwerte steigen. Das „Dürfen“ und das „Wollen“ hingegen tun dem Körper gut: Die Muskulatur entspannt sich, der Blutdruck sinkt und das klare Denken wird leichter. Sechs Modalverben kennt die deutsche Sprache: eher fremdbestimmende wie „müssen“ und „sollen“, selbstbestimmte wie „möchten“ und „wollen“ und schließlich „dürfen“ und „können“, die zwischen beiden Polen stehen. Wer noch zwischen mögen und möchten unterscheidet, kommt auf sieben. Jeder verwendet diese Modalverben hundertfach im Alltag – meistens, ohne über die Auswirkungen nachzudenken.

Das könnte ein Fehler sein, sagt Jens Fleischhut, Lehrbeauftragter für Neuropädagogik am Institut für Erziehungswissenschaft und Psychologie der Freien Universität Berlin. In einem mehrjährigen Forschungsprojekt ist er der Frage nachgegangen, wie sich das unbewusste Aktivieren von Gefühlen durch Sprachmuster zur Entwicklungs- und Lernförderung nutzen lässt – und zur Gesundheitsförderung. Seine zentrale Frage lautete: Gibt es spezielle Sprachmuster, die die Entwicklung hemmen, das Lernen stören und sogar die Gesundheit beeinträchtigen?

„Das Projekt ist erst durch die stürmische Entwicklung der Neurobiologie möglich geworden“, sagt Fleischhut. Denn durch neue bildgebende Verfahren lasse sich das Gehirn beim Denken und Fühlen beobachten. So lernten die Neurologen, dass die im Gehirn eingehenden Signale – Bilder ebenso wie Töne, Gerüche oder Berührungen – gemeinsam mit den dabei entstehenden Gefühlen, der momentanen Körperhaltung und den zugleich gesprochenen Worten gespeichert werden – als ein verknüpfter Komplex. Dieser Vorgang läuft unterhalb der Bewusstseinsschwelle ab, ist also willentlich nicht steuerbar.

Das Vermeiden negativer Formulierungen kann das Lernen erleichtern

Die jüngeren Erkenntnisse zeigen ohnehin, dass der Kognition – dem Verstand – keineswegs die Hoheit über die eigenen Lebensentscheidungen zukommt: Zu 90 Prozent regeln Emotion und Intuition – früher das „Unbewusste“ genannt – unsere Entscheidungen, nur etwa zehn Prozent bleiben dem Verstand. Wer einmal versucht hat, mit mehr oder weniger lieb gewonnenen Gewohnheiten wie dem Rauchen aufzuhören, nur weil er deren Schädlichkeit einsah, hat das am eigenen Körper erfahren.

Positive Sprachmusterkopplungen, darunter das bewusste Verwenden der selbstbestimmten Modalverben wie „möchten“ und „wollen“, aber auch das Vermeiden negativer Formulierungen, können helfen, solche ungesunden Muster zu durchbrechen, denn sie erleichtern das Lernen: „Die Automatismen der frühen Kindheit verkümmern, ungünstige Verknüpfungen lösen sich auf“, sagt Jens Fleischhut, der aus seinen Erkenntnissen ein „mentales, neurowissenschaftliches Kommunikationstraining“ entwickelt hat. Der Effekt positiver Sprachmuster und ihrer körperlichen Rückkopplungen auf den Sprechenden sei „enorm“, schwärmt der Forscher.

Da es sich um wirkstofflose Mechanismen handelt, gebe es quasi keine Nebenwirkungen. Der Nutzen sei dagegen groß, sowohl im persönlichen und beruflichen Bereich als auch in der Wirtschaft: Es mache nicht nur für den Kunden, sondern auch für den Angestellten einen Unterschied, ob er auf die Frage nach einem Produkt „Nein, das haben wir nicht!“ sage oder „Ja, das bestelle ich gern für Sie!“ Positive Sprachmuster würden nämlich nicht nur der Gesundheit helfen, sondern auch dem Selbstvertrauen, dem Selbstbewusstsein und dem Selbstwertgefühl. „Den größten Effekt haben die Sprachmuster dabei auf den Sprecher selbst“, sagt der Forscher, „doch selbst Zuhörer können gesundheitlich profitieren, wenn auch in geringerem Maße.“

Vier Jahre lang hat Jens Fleischhut recherchiert und seine Erkenntnisse zusammengetragen, als „Ein-Mann-Projekt“, wie er sagt, aber mit einem „virtuellen Team“ aus Neuropädagogen, Psycholinguisten und den führenden Neuroforschern wie Gerald Hüther, Joachim Bauer, Wolf Singer, Gerhard Roth und Manfred Spitzer. In einer zweiten Phase soll nun eine umfassende empirische Überprüfung folgen.

Die Studierenden der Freien Universität profitieren gleich doppelt von dieser Forschung: Zum einen, weil Jens Fleischhut die Ergebnisse in seine Lehre einbezieht, zum anderen, weil er sie dabei auch anwendet. Das erleichtert das Lernen.