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„Wir haben die Hochschulen alleingelassen“

Carl Wechselberg (SPD) diskutiert mit Kanzler Peter Lange über Versäumnisse der Politik und die Zukunft der Universitäten

31.05.2010

Exzellenz-Initiative, Studiengebühren, Bologna-Prozess - die deutsche Universitätslandschaft ist im Umbruch. Doch den ehrgeizigen Reformzielen der Politik steht eine nüchterne Realität gegenüber: Die Universitäten sind chronisch unterfinanziert, die Gestaltungsspielräume zur Umsetzung der Reformen gering. Wie können die Hochschulen diese Herausforderungen meistern? Antworten auf diese Frage soll die Tagung „UniFinanz 2010“ geben, zu der sich Anfang Oktober nationale Experten aus Wissenschaft, Verwaltung und Politik an der Freien Universität Berlin treffen. Mit dabei ist SPD-Politiker Carl Wechselberg, Haushaltsexperte und Mitglied im Wissenschaftsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses. Er hat sich vorab mit Peter Lange, Kanzler der Freien Universität und Mitveranstalter der Tagung, zum Streitgespräch über das Thema Hochschulsteuerung getroffen. Bei allen Meinungsunterschieden sind sich beide in einem Punkt einig: Es ist höchste Zeit in Berlin für eine wissenschaftspolitische Debatte mit Weitblick.

Wissenschaftssenator Jürgen Zöllner will den Hochschulen von 2012 an zwei Drittel ihrer Zuschüsse danach zuteilen, ob sie bestimmte Leistungskriterien in Lehre und Forschung erfüllen. „Nach der Wurst springen“ nennt Herr Zöllner das. Brauchen die Hochschulen einen Köder, um Höchstleistungen zu bringen, Herr Wechselberg?

Carl Wechselberg: Ich würde das nicht als Köder bezeichnen, es ist eher ein Anreiz. Aber auch Köder muss man ja nicht schlucken. Der Vorzug des neuen Modells liegt darin, dass die Politik selber gezwungen wird, klar zu definieren, welche Leistungen sie eigentlich von den Hochschulen erwartet – stellvertretend für den Steuerzahler. Das ist ein weit ambitionierteres Modell als wir es bisher hatten. Aus meiner Sicht ist das ein Fortschritt.

Sehen Sie das ähnlich, Herr Lange?

Peter Lange: Wenn Sie sagen, Herr Wechselberg, dass man Köder nicht schlucken muss, dann entgegne ich, dass wir gar nicht in der Situation sind, zu wählen. Wenn man einem Hungernden einen Köder vorhält, dann schluckt der ihn. Die Universitäten mussten in den vergangenen 18 Jahren mit immer weniger Geld auskommen und haben dabei immer mehr geleistet. Das Problem ist, dass das Land Anreiz-Modelle auflegt, die den Universitäten Höchstleistungen abverlangen, ohne über die Folgeprozesse zu diskutieren.

Was meinen Sie mit Folgeprozessen?

Lange: Nehmen wir das Beispiel Drittmittelprojekte. Nach dem von Herrn Zöllner geplanten Finanzierungsmodell ist die Menge des Geldes, das die Universitäten aus privater oder öffentlicher Forschungsförderung erhalten beziehungsweise verausgaben, ein Leistungskriterium, das mit Zuschüssen „belohnt“ wird. Aber jeder aus Drittmitteln Beschäftigte bedeutet gleichzeitig zusätzlichen Verwaltungs- und Personalaufwand, den die Uni bezahlt, ebenso wie sie nennenswerte Flächen und Betriebsmittel zur Verfügung stellt, die dann an anderer Stelle fehlen. Die Politik der Steuerungsanreize belohnt kurzfristig Einzeleffekte statt die Gesamtsituation der Universitäten langfristig in den Blick zu nehmen.

Blendet die Politik die Folgen ihres Handelns aus, Herr Wechselberg?

Wechselberg: Nein. Natürlich muss und kann ich die Leistung in Lehre und Forschung an Kriterien messen und zusätzlich auch Anreize setzen, dass sich die Universitäten dem Wettbewerb mit Höchstleistung stellen. Das finde ich legitim. Ich kritisiere gleichwohl – und da ist auch ein Stück Selbstkritik mit verbunden –, dass es sich die Berliner Politik in den vergangenen Jahren im Umgang mit den Hochschulen zu leicht gemacht hat. Wir haben uns um die eigentlichen Anforderungen, nämlich die Strategien zur Berliner Wissenschaftsentwicklung und damit die Profilbildung und Ausrichtung der Hochschulen, viel zu wenig gekümmert. Da haben wir die Hochschulen zu sehr alleingelassen.

Was genau hat das Land versäumt?

Wechselberg: Berlin hat eine Haushaltsnotlage. Dennoch geben wir jedes Jahr rund eine Milliarde Euro für die Hochschulen aus. Wir sind eben eine Metropole, die händeringend darauf angewiesen ist, dass durch Hochschulen, durch Forschung, unsere ökonomische Basis erneuert wird. Wir müssen in dramatischen Größenordnungen neue Arbeitsplätze schaffen. Da stellt sich beispielsweise die Frage: Wie sind eigentlich die Hochschulen und Universitäten für die Kooperation mit Hightech-Unternehmen in der Region aufgestellt? Und warum werden im Raum München drei Mal so viele Unternehmen in Zukunftsbranchen gegründet wie in Berlin? Das ist eine Kritik, die sich vor allem an die Politik richtet. Ich werfe die Frage auf, ob wir die richtige Technologieförderung machen und ob unsere Wissenschaftspolitik strategisch genug ausgerichtet ist.

Können Sie das näher erläutern?

Wechselberg: Die Elektromobilität beispielsweise ist eine Schlüsseltechnologie der Zukunft. Berlin hat hier gute Voraussetzungen. Wäre es nicht notwendig, im Rahmen der Berliner Technologie- und Wissenschaftspolitik bewusste Entscheidungen zu treffen, ob man dort mitmischen will? Die Entwicklung solcher Schwerpunkte setzt, allein wegen der Kosten, wissenschaftspolitische Entscheidungen voraus, die über die einzelne Universität hinausweisen, und die die einzelne Universität gar nicht treffen kann. Deshalb muss die Politik endlich zur Strategiefähigkeit finden.

Lange: Also werben Sie dafür, dass endlich mit uns über langfristige Strategien gesprochen wird?

Wechselberg: Ich werbe dafür, dass ganz dringend mit Ihnen gesprochen wird. Und in der Tat, das ist eine andere Diskussion als wir sie auf der Ebene von Steuerungsanreizen führen, da reden wir ernsthaft über Strategie, über die Vernetzung von Wissenschaft und Ökonomie. Andere Länder wie Bayern tun das längst. Das muss in der Berliner Politik endlich wieder Raum haben.

Lange: Ich denke, es ist zwingend erforderlich, Profil-Diskussionen zu führen. Das haben die Hochschulen untereinander auch als Aufgabe gehabt, und das haben sie geleistet. Aber es ist richtig, dass das gesamtgesellschaftliche Umfeld, die wirtschaftliche Leistungskraft und die Zukunftsentwicklung mit einbezogen werden müssen. Das können die Hochschulen nicht ganz allein leisten. Die Abstimmungsprozesse sind bisher nicht darauf ausgerichtet, die Region Berlin als Ganzes in den Blick zu nehmen. Nehmen Sie die Standortpolitik: Wir wissen, dass im Südwesten Berlins mit der Freien Universität, den verschiedenen Max-Planck-Instituten, der Bundesanstalt für Materialforschung und dem Forschungszentrum für Biomaterialentwicklung in Teltow – um nur einige zu nennen – mehr Wissenschaftspotenzial versammelt ist als in Adlershof. Doch im Gegensatz zu Adlershof wird diese Region von der Politik nicht als gemeinsames Wissenschaftspotenzial gesehen.

Was kann die Tagung im Oktober zu diesem Thema beitragen?

Lange: Die Tagung soll einen Impuls setzen, den Dialog zwischen Politik, Bund, Land und Hochschulen über Strategien der Steuerung wieder in Gang zu setzen. Die Freie Universität will in der Rolle als Gastgeberin auch deutlich machen, dass sie solche Überlegungen aktiv mitgestalten möchte und kann.

Wechselberg: Ich denke, die Tagung ist eine wunderbare Gelegenheit, sich über kritische Themen auszutauschen. Ich könnte mir vorstellen, dass es dort auch um die Frage der Arbeitsteilung zwischen Bund und Ländern geht. Wir müssen darüber reden, ob das „Kooperationsverbot“ Sinn ergibt, nach dem sich der Bund aus der Finanzierung der Hochschulen heraushält und die Länder exklusiv für die Wissenschaftspolitik und die Hochschulen zuständig sind.

Wo sehen Sie dort Probleme?

Lange: Das „Kooperationsverbot“ erweist sich als größte Fehlentscheidung in der Bildungspolitik. Denn die Länder sind nicht in der Lage, für eine auskömmliche Finanzierung der Hochschulen zu sorgen. Soll der Bildungsbereich nicht zum Nachteil der ganzen Gesellschaft weiter nachhaltig geschwächt werden, muss man Bildungseinrichtungen aus der Geiselhaft eines verfehlten Verständnisses von Föderalismus befreien.

Wechselberg: Ich bin überzeugt, dass beispielsweise international konkurrenzfähige Grundlagenforschung der Spitzenklasse ohne Finanzierungsbeteiligung des Bundes für Länder wie Berlin schlichtweg nicht finanzierbar ist. Was in diesem Bereich über die Exzellenz-Initiative des Bundes – mit Kofinanzierung wiederum der Länder – gemacht wird, reicht nicht. Ich glaube, dass wir dort, wo es um national relevante Grundlagenforschung geht, mehr tun müssen. Und deswegen muss das bestehende „Kooperationsverbot“ meines Erachtens nach fallen und der Bund muss eine besondere Finanzierungsverantwortung erhalten. Auch weil sich der Bund infolge dieses föderalen Fehlkompromisses in seinen Finanzierungsanstrengungen auf die Bereiche der außeruniversitären Forschung konzentriert und damit das Problem der Trennung zwischen Hochschulen auf der einen Seite und der außeruniversitären Forschung auf der anderen Seite weiter verschärft. Auf der Tagung „UniFinanz 2010“ im Oktober würde ich mir eine kontroverse Diskussion – auch mit Vertretern des Bundes – genau zu diesem Punkt wünschen.


Tagung Unifinanz 2010

Experten aus dem ganzen Bundesgebiet kommen am 7. und 8. Oktober an der Freien Universität zusammen, um angesichts immer knapper werdender Ressourcen Überlebens- und Entwicklungsstrategien für die Hochschulen zu diskutieren. Die Tagung „UniFinanz 2010 – Hochschulsteuerung im Spannungsfeld externer und interner Anforderungen“ wird von der Freien Universität Berlin und dem Beratungsunternehmen Syncwork AG veranstaltet. Sie wendet sich an Führungskräfte von Hochschul- und Forschungseinrichtungen, Fachpolitiker, Verwaltungsexperten und Wissenschaftler. Eine Anmeldung ist erforderlich bis zum 20. September.

Weitere Informationen und Anmeldung: www.fu-berlin.de/unifinanz2010