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Giftig oder genießbar?

Bei ihm holen sich sogar Ärzte Rat: Hansjörg Beyer ist neuer Leiter der Pilzberatung im Botanischen Museum

31.05.2010

Rotfußröhrling, Nelkenschwindling oder Grünblättriger Schwefelkopf – als die meisten Kinder noch nicht einmal wussten, dass es sich hierbei um Pilze handelt, kannte der siebenjährige Hansjörg Beyer schon ihre komplizierten Namen. Die frühe Faszination für Pilze hat ihn nicht mehr losgelassen. Heute, als 43-Jähriger, leitet er die kostenlose Pilzberatung im Botanischen Museum – als Nachfolger von Ewald Gerhardt, der 2009 in den Ruhestand gegangen ist.

Als Schüler verblüffte Hansjürgen Beyer Experten mit seinem Wissen

Hansjörg Beyer kennt das Botanische Museum gut: Schon als Grundschüler war er hier gelegentlich zu Besuch und versetzte die Experten in Staunen, als ihm ein gravierender Fehler auf einer historischen Stelltafel aufgefallen war. „Dort wurde der sehr giftige Pantherpilz als essbar nach Abziehen der Huthaut bezeichnet“, erzählt Beyer. „Der Irrtum reicht bis in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Damals war der Unterschied zwischen dem sehr giftigen Pantherpilz und dem täuschend ähnlich aussehenden, aber essbaren, Grauen Wulstling noch nicht so bekannt.“

Einen Großteil seiner frühen Fachkenntnis verdankt Beyer seinem Onkel und dessen Partnerin. Noch heute erinnert er sich daran, wie er mit den beiden als Siebenjähriger zum ersten Mal „in die Pilze ging“. Seitdem ist er stets mit „dem aufmerksamen Blick des Pilzkundlers“ unterwegs. Da passiert es schon einmal, dass er mit vollen Taschen nach Hause kommt, auch wenn er gar nicht der Pilze wegen unterwegs war: „Vor ein paar Tagen war ich im Freibad und habe auf der Liegewiese viele Pilze entdeckt, sodass ich erst einmal die Runde gemacht habe und unverhofft zu einem sehr großen Fund an Nelkenschwindlingen gekommen bin.“

Die Leidenschaft für Pilze und die neue Tätigkeit als Pilzberater betrachtet Beyer als Berufung. Nach dem Studium der Politikwissenschaften an der Freien Universität absolvierte er eine Ausbildung für den nichttechnischen Verwaltungsdienst. Heute ist er beim Land Berlin beschäftigt.

Seit 2005 ist Beyer geprüfter Pilzsachverständiger nach den Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Mykologie und bereits seit mehr als zehn Jahren Mitglied der Pilzkundlichen Arbeitsgemeinschaft Berlin-Brandenburg (PABB). Hier bekommt er immer wieder seltene Funde aus der Region zu sehen. „In den letzten Jahren wurde beispielsweise wiederholt der Fransige Wulstling präsentiert – eigentlich ein eher mediterraner Pilz, doch heute vermehrt auch in Brandenburg zu finden“, sagt der Experte. „Ob das mit dem Klimawandel zu tun hat oder eine zufällige Häufung ist, müsste näher untersucht werden.“

Berlins Wälder und Umgebung sind mit mehr als 1500 bekannten Pilzarten ein überaus interessanter Ort für Pilzsucher. Der Sammlererfolg hängt stark von der Jahreszeit, den örtlichen Bedingungen und der Witterung ab: „Im Mai lässt sich der Mairitterling in Laubwäldern finden. Im Oktober gibt es im sandigen Kiefernwald massenweise Butterpilze oder Maronenröhrlinge“, sagt Beyer. Was bei der Suche auf keinen Fall fehlen darf, sind ein Korb zur luftigen Aufbewahrung der Pilze und ein scharfes Messer zum Reinigen der Funde. Werden die Pilze jedoch damit abgeschnitten, gilt besondere Vorsicht: „Der tödlich giftige Grüne Knollenblätterpilz weist einen knolligen Stielgrund mit häutiger Scheide auf, was leicht übersehen werden kann, wenn der Pilz über dem Erdboden abgeschnitten wurde“, warnt der Experte.

Ist nun der gefundene Pilz giftig oder nicht, ist er essbar oder ungenießbar? Wie unterscheidet er sich von ähnlich aussehenden Pilzen? Anfänger sollten sich beraten lassen, auch Pilzbücher helfen bei der Bestimmung. „Wer Pilze essen möchte, muss den betreffenden Pilz mit absoluter Sicherheit erkennen können und über seine Genießbarkeit Bescheid wissen“, sagt Beyer.

In Berlin und Brandenburg wachsen rund 1500 Pilzarten

Wie schwierig die Unterscheidung einzelner Arten sein kann, stellten viele Pilzsammler fest, die Anfang des Monats den Rat des Pilzexperten einholten: „Unter den mitgebrachten Pilzen war der Karbolchampignon besonders oft vertreten, weil er in Berlin sehr häufig wächst. Es handelt sich dabei aber um einen giftigen Champignon“, sagt Beyer.

In der Praxis stellen verdorbene Speisepilze, Beyer zufolge, eine größere Gefahr dar als Pilze mit arteigenen Giftstoffen: „Das wird meist unterschätzt. Pilze im Verkauf können angeschimmelt sein, wenn sie einen langen Lagerungsprozess hinter sich haben“, sagt Beyer.

Verwechslungen mit echten Giftpilzen beruhen oft auf grobem Leichtsinn mit schwerwiegenden Folgen. Treten erst mehrere Stunden nach einer Pilzmahlzeit Symptome einer Vergiftung auf, beispielsweise Erbrechen und Durchfälle, handelt es sich immer um eine schwere Vergiftung, und der Betroffene muss sofort in ein Krankenhaus gebracht werden. Bei früher auftretenden Symptomen kann es sich zwar ebenfalls um eine schwere Vergiftung handeln, muss aber nicht so sein. „Mitunter suchen Ärzte uns Pilzberater auf, wenn unklar ist, welcher Pilz die Vergiftung hervorgerufen hat“, sagt Beyer. Die Therapie sei von Art zu Art sehr unterschiedlich: „Um die Bestimmung zu erleichtern, sollte man beschreiben können, was man gegessen hat und Abfälle sicherstellen.“

Die kostenlose Beratung im Botanischen Museum Berlin-Dahlem unterstützt Pilzsammler bereits seit 1890 bei der Bestimmung ihrer Funde. Hier gibt es auch den einen oder anderen Zubereitungstipp. Und welchen Pilz mag der Experte am liebsten? Hansjörg Beyer hat gleich drei Favoriten: „Der Rotbraune Milchling gilt zwar als nur eingeschränkt genießbar, ist aber ein wirklich schöner Pilz des Kiefernwaldes. Der Orangerote Graustieltäubling ist ebenfalls eine interessante Art, er gehört zu den guten Speisepilzen, ist aromatisch und bissfest. Im tiefsten Winter sind außerdem Samtfußrüblinge ein schöner Anblick, und sie schmecken auch sehr gut.“