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Doyen des Urheberrechts

Der Inder Vidya Sagar promovierte in den 50er Jahren an der Freien Universität

15.10.2010

„Ich bin ein eher schüchterner Mensch“, sagt der Mann mit den buschigen Augenbrauen, dem wachen Blick und dem blauen, perfekt sitzenden Anzug. Vidya Sagar gibt sonst kaum Interviews, und fotografieren lässt er sich auch nicht so gerne. Ein wenig verloren sieht er aus, da auf der Bank, eine Flasche Wasser vor sich auf dem Tisch im Borchardt, dem Restaurant in Berlin-Mitte. Hier treffen sich Schauspieler, Politiker, Journalisten – und oft hat man das Gefühl, dass sie alle nur hier sind, um miteinander gesehen zu werden.

Vidya Sagar braucht die ganze Aufregung nicht, er muss sich nichts beweisen, er ist auch so der „Doyen der Urheberrechts-Branche“, wie ihn die Presse in seiner indischen Heimat nennt: Seniorpartner der wichtigsten Kanzlei für Urheberrechte mit dem Namen „Remfry & Sagar“. Einer Firma, deren Geschichte bis ins Jahr 1827 zurückreicht und auf deren Klientenliste neben 7000 anderen Honda, Mercedes-Benz und Rolex stehen. Seine Firma, 220 Mitarbeiter, fast 100 Anwälte, hat vor gut 120 Jahren für Bayer Aspirin als Markenzeichen in Indien eintragen lassen. Anfang vergangenen Jahres ist sie im Namen der amerikanischen Studios Warner Bros. Entertainment gegen den indischen Film „Harri Puttar“ vorgegangen, weil er zu sehr an „Harry Potter“ erinnere. Seine Leute vertreten die größten und namhaftesten Firmen, viele der Klienten kommen aus Deutschland, Mittelständler ebenso wie Großkonzerne.

Sagar sitzt im Borchardt, weil es verkehrsgünstig liegt. Es ist sein drittes Meeting binnen sechs Stunden. Die wenigen Tage in Deutschland hat er sich vollgepackt, wie üblich: Termine, ICE-Fahrten, Anrufe, Mails, Besuch bei der Ehefrau, die noch in Zehlendorf lebt, und übermorgen muss er schon wieder zurück nach Indien. Mehrmals im Jahr pendelt er die 9000 Kilometer hin und wieder zurück und spricht darüber, als wäre der Weg nach Delhi vergleichbar mit einem Ausflug nach Potsdam. In einem bequemen Flugzeugsitz könne er eh viel besser schlafen als in einem Bett. Mit ihm Schritt zu halten sei schwierig, heißt es im indischen Magazin „Businessworld“, „selbst für uns, die vier bis fünf Jahrzehnte jünger sind als er“.

Sagar lacht, wenn er so etwas hört. Mit seinem Alter kokettiert er gern ein bisschen. „Ich bin jung“, sagt er, „ich bin erst 85.“ Und damit ist das Thema vom Tisch.

„Wie geht es der FU?“, fragt er zur Begrüßung – seiner alten Universität fühlt er sich noch immer verbunden. In London beim Studium hatte er seine spätere Frau kennengelernt, sie kam aus Berlin. Er besuchte die Stadt zum ersten Mal 1951: „Alles lag in Schutt und Asche“, erinnert er sich, aber er habe auch gespürt: „Hier liegt die Zukunft.“ Der Wille zum Wiederaufbau, zum Neuanfang der Berliner beeindruckte ihn, „der Fleiß und die Arbeitsamkeit.“ Kurzerhand entschloss er sich, an der noch jungen Universität die Promotion anzustreben: in Rechtswissenschaften, mit einer Arbeit über den einflussreichen österreichischen Rechtsphilosophen Hans Kelsen. Wahrscheinlich war Sagar der erste Inder, der an der Freien Universität promoviert wurde, jedenfalls kann er sich an keinen anderen erinnern. Deutsch spricht er fließend, ebenso wie Englisch, Französisch, Panjabi und Urdu.

Die Justiz hat ihn schon als Kind fasziniert, allerdings aus ganz pragmatischen Gründen: In den Gerichtsgebäuden sei es sehr sauber gewesen. „Da habe ich entschieden, Anwalt zu werden“, sagt er. Viel mehr erzählt er nicht aus jenen Tagen, nur dass er gerade acht Jahre alt war, als sein Vater starb.

Pragmatismus und Zielstrebigkeit – beides zieht sich durch sein Leben und seine Karriere. Studium in London, Paris, Berlin; Rückkehr nach Indien, als Anwalt, wie geplant. Er wittert die Chance, in einem neuen Markt Fuß zu fassen – und hat den richtigen Riecher. Heute ist das Urheberrecht eine boomende Branche in Indien: Europäische und amerikanische Firmen wehren sich zunehmend gegen Kopien und wollen ihre Patente, Warenzeichen und Ideen auch auf dem Subkontinent schützen lassen. Allein in den vergangenen zehn Jahren entstanden in Indien 200 Kanzleien und Firmen, die sich auf dieses Feld spezialisiert haben. Allein am „Delhi High Court“, etwa vergleichbar mit einem deutschen Landesverfassungsgericht, sind derzeit 1700 Urheberrechtsverfahren anhängig.

Er ist zufrieden mit sich und dem, was er geschafft hat, das merkt man Vidya Sagar an. Aber stolzer als auf alle geschäftlichen Erfolge ist er auf seine Schule: Vor zehn Jahren hat er ein Internat auf einem 60 Hektar großen Landstück errichtet – die Sagar School in Rajasthan für bis zu 450 Schüler. Die Jungs und Mädchen kommen nicht nur aus Indien, sondern auch aus asiatischen Nachbarländern, ebenso aus Afrika und Amerika. Umgerechnet mehr als 30 Millionen Euro habe er mittlerweile in die Schule investiert, sagt er. Soziales Engagement ist zwar üblich unter wohlhabenden Indern, aber bei Sagar hat man den Eindruck: Er engagiert sich aus tiefer Überzeugung für das Internat, auch weil er als Kind in einer ähnlichen Schule ein neues Zuhause gefunden hatte. „Mein Leben lang haben mich die Werte, das kulturelle Erbe Indiens und europäische Traditionen gleichermaßen geprägt“, so Sagar, in der Schule verbinde sich das Beste aus beiden Welten.

Er hat dafür gesorgt, dass ein Schüleraustausch auch mit Deutschland organisiert wurde, beispielsweise mit Schulen aus Ulm und Stuttgart. Aber auch studentische Gäste seien jederzeit willkommen, etwa Lehramtsstudenten, sagt er: „Aber sie müssen etwas beitragen.“ Er glaubt daran, dass in jedem Schüler ungeheures Potenzial steckt, das nur entdeckt werden muss. Dass man es ganz an die Spitze schaffen kann, hat er selbst erlebt.