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Gefangen im Gefühl der eigenen Großartigkeit

Selbstbewusstsein ist wichtig, um im Beruf voranzukommen - ausgeprägter Narzissmus kann allerdings hinderlich sein

15.10.2010

Von außen betrachtet läuft bei Tom alles bestens: Er kommt im Job voran, kann andere für seine Ideen begeistern und hat genug Durchsetzungskraft, um sie umzusetzen. Er empfindet Genugtuung darüber, ein kleines Team zu leiten, und es gefällt ihm, seinen Mitarbeitern zu erklären, wie man die Dinge richtig anpackt. Vor allem, weil er findet, dass viele Kollegen weniger leisten und nur er versteht, worauf es wirklich ankommt. Jedoch halten Liebesbeziehungen meist nur kurze Zeit, in der Kennenlernphase ist er zwar sehr charmant, doch für die Alltagsprobleme seiner Freundinnen interessiert er sich kaum, ebenso wenig wie für die seiner Mitarbeiter. Denn Tom ist Narzisst – und könnte einer jener Menschen sein, mit denen sich die Psychologin Aline Vater im Rahmen ihrer Doktorarbeit am Exzellenzcluster „Languages of Emotion“ der Freien Universität beschäftigt.

Narzissmus ist ein Persönlichkeitsmerkmal, das mehr oder weniger stark ausgeprägt sein kann. Bei Menschen in Führungspositionen haben Psychologen und Organisationsforscher oft eine hohe Merkmalsausprägung festgestellt. „Narzissmus ist mit Eigenschaften wie Durchsetzungsfähigkeit oder einem hohen Selbstwertgefühl verbunden, beides Merkmale, die dabei helfen, erfolgreich zu sein“, erklärt Aline Vater. „Narzissten wirken zudem auf den ersten Blick oftmals charismatisch und können sehr interessant und überzeugend sein.“ Doch es gebe auch negative Aspekte, wie geringe Empathie und hohes Anspruchsdenken, die den Umgang mit diesen Mitarbeitern schwierig machten.

Aline Vater möchte herausfinden, bis zu welchem Punkt eine hohe Ausprägung narzisstischer Persönlichkeitszüge erfolgversprechend ist – und ab wann problematisch. Denn während manche Narzissten in Beruf und Beziehung gut zurechtkommen und der Erfolg sogar ihr hohes Selbstwertgefühl weiter verstärkt, leiden andere unter den negativen Aspekten. In Internetforen wie Narzissmus.net beklagen Betroffene ihre eigene „Gefühlskälte“, ein Gefühl der Leere und das eigene Unverständnis über die Emotionalität anderer. Am mangelnden Bezug zu den Gefühlen anderer, glaubt man den Schilderungen, zerbrechen Beziehungen und Freundschaften.

Ihre Dissertation schreibt Aline Vater bei Stefan Röpke, Psychiater an der Klinik und Hochschulambulanz für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité, Campus Benjamin Franklin. Röpke leitet eine Arbeitsgruppe, die sich mit dem veränderten Emotionserleben von Narzissten beschäftigt. Untersucht werden hier vor allem Menschen, bei denen eine narzisstische Persönlichkeitsstörung diagnostiziert wurde; der Übergang zwischen „gesundem“ Narzissmus und pathologischer Ausprägung sei dabei fließend: „Es gibt Menschen, die gerade wegen ihres Narzissmus’ beruflich erfolgreich sind. Sie kommen in vielen Bereichen ihr ganzes Leben lang gut klar, nur in Beziehungen fühlen sich die Partner oft abgewertet und klein gemacht“, sagt Röpke. Erst nach narzisstischer Kränkung, bei Trennung oder Arbeitsplatzverlust steigt der Leidensdruck, und man spricht man von einer psychischen Erkrankung.

Eine Studie der Arbeitsgruppe zur Empathiefähigkeit hat gezeigt, dass Narzissten Gefühle bei anderen zwar erkennen, sie aber nicht mitempfinden können. Die Emotionen der anderen lassen sie oft unberührt. Der Eindruck einer allgemeinen Gefühlskälte stimmt dabei nur teilweise. Narzissten empfinden ausgesprochen starke Gefühle. Diese Gefühle entsprechen aber, so Stefan Röpke, oftmals nicht der aktuellen Situation. Diese Gefühle könnten sogar übermächtig werden. Bei einer Kränkung hätten sich viele Narzissten nicht mehr im Griff, sie reagierten dann häufig unangemessen und irrational.

Narzissten überschätzen sich selbst und sie unterschätzen Risiken. Trotz ihres hohen Selbstwertgefühls haben sie wenig Selbstbewusstsein, also keine realistische Einschätzung ihrer Stärken und auch ihrer Schwächen. Deshalb sind sie sehr empfindlich und spüren genau, wenn andere nicht von ihrer Außergewöhnlichkeit überzeugt sind. Narzissten halten sich für großartig – „Grandiositätserleben“ heißt das in der Fachsprache. Sie werten andere ab, um selber glänzen zu können, gönnen den anderen ihren Erfolg nicht. „Sie sind immer wieder angewiesen auf die Bestätigung von außen. Sie brauchen den Erfolg – Niederlagen können dann zu Identitätskrisen führen“, erklärt Stefan Röpke.

Dass sie an einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung leiden, ist wenigen Betroffenen klar. Sie suchen einen Arzt oder Therapeuten auf, weil sie Beziehungs- oder Jobprobleme haben, zu viel Alkohol trinken, Drogen nehmen, unter einem Magengeschwür oder undefinierbaren Herzschmerzen leiden. Die treffende Diagnose ist nach wie vor selten, trotz des in den Medien populären Begriffs „Narzissmus“. Auch wissenschaftlich seien vor allem die klinischen Aspekte noch kaum erforscht worden, berichtet Aline Vater. Es gibt also noch viel zu tun.

Wer sich über die aktuellen Studien zu Narzissmus informieren möchte, kann sich mit den Psychologen der Freien Universität telefonisch oder per Mail in Verbindung setzen. Für Untersuchungen zur Emotionsverarbeitung werden derzeit Probanden mit niedriger beziehungsweise hoher Ausprägung an narzisstischen Merkmalen gesucht. Dabei besteht die Möglichkeit zur vertraulichen Rückmeldung in einem persönlichen Gespräch. Bei der Teilnahme an Studien werden die erhobenen Daten anonymisiert behandelt und durch eine Aufwandsentschädigung entlohnt.

Weitere Informationen

Weitere Informationen: Aline Vater, Arbeitsbereich Klinische Psychologie und Psychotherapie der Freien Universität Berlin, Cluster „Languages of Emotion“, Telefon: 030 / 838-57708 oder E-Mail: aline.vater@fu-berlin.de