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„Licht“-Schalter im Nanomaßstab

Für seine Forschungen zur molekularen Elektronik erhielt der Chemiker Stefan Hecht den Klung-Wilhelmy-Weberbank-Preis

19.11.2010

Die Zukunft hat eigentlich schon begonnen. Noch werden konventionelle Leuchtdioden und Solarzellen überwiegend aus anorganischem Material produziert. Doch bereits jetzt verwendet man Kohlenstoffverbindungen, die ursprünglich organischen Substanzen wie Erdöl und Biomasse entstammen. Für die gewünschten elektronischen Effekte sind im Moment jedoch noch größere Mengen dieser Moleküle nötig. Zusammen mit seiner Arbeitsgruppe entwickelt der Chemiker Stefan Hecht nun Möglichkeiten, elektronische Bauelemente aus nur wenigen Molekülen zu konstruieren. „Langfristiges Ziel ist es, eine molekulare Elektronik zu etablieren, bei der Sensoren oder Schaltkreise auf nur einzelne Moleküle reduziert werden“, erklärt der Professor für Organische Chemie und funktionale Materialien an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Dafür hat Hecht entscheidende Grundlagen geschaffen. So sind ihm Design, Synthese und erfolgreiche Testung neuartiger organischer Moleküle gelungen, die sich mit Licht an- und abschalten lassen. Schon einzelne dieser Verbindungen könnten als Transistoren elektrische Signale verstärken oder abschwächen und als Katalysatoren chemische Reaktionen effizient steuern.

Damit bewegt sich der Forscher zwischen organischer Synthese-Chemie und Nanowissenschaft. Für seine richtungsweisenden Forschungsarbeiten erhielt der 36-jährige Wissenschaftler Anfang November 2010 im Rahmen eines Festaktes an der Freien Universität den Klung-WilhelmyWeberbank-Preis für Chemie. Die Auszeichnung ist einer der bedeutendsten deutschen Forschungspreise für Nachwuchswissenschaftler. Er ist mit 100 000 Euro dotiert.

Die Bausteine, mit denen Hecht elektronische Elemente konstruiert, sind nur wenige Nanometer, also millionstel Millimeter klein. In diesen Dimensionen gelten die Gesetze der Quantenphysik, die sich von den physikalischen Regeln unterscheiden, die in unserer alltäglichen, mit bloßem Auge erkennbaren Welt gelten. Statt fließender Übergänge gibt es nur unterschiedliche Zustände, beispielsweise Grün oder Blau, an oder aus. Diese von Physikern als diskret bezeichneten Zustände lassen sich mit Nanokomponenten gezielt erzeugen und für elektronische Funktionen nutzen. Außerdem können enorm viele dieser molekularen Strukturen auf einer winzigen Fläche untergebracht werden, sodass dort eine entsprechend große Zahl an Funktionen denkbar ist.

Für molekulare „Licht“-Schalter ist das Eiweiß Retinal ein natürliches Vorbild. Es ist Teil der Netzhaut unserer Augen. Trifft Licht auf die Netzhaut, verändert Retinal seine Struktur. Das löst eine Signalkaskade aus, die schließlich im Gehirn ein Bild entstehen lässt. Am Ende dieses Prozesses wird Retinal wieder in seine Ausgangsform umwandelt und kann auf den nächsten Lichtreiz reagieren. „Wenn Sie mich jetzt sehen, passiert prinzipiell nichts anderes als bei unseren fotoschaltbaren Katalysatoren“, sagt Stefan Hecht. In seinem Labor in Berlin-Adlershof wird im Rahmen vieler Projekte an solchen mit Licht fernsteuerbaren Systemen geforscht.

Ein weiteres Ziel ist es, Licht ohne Verluste direkt in Bewegung umzuwandeln und somit lichtgetriebene Nanowerkzeuge mit hohem Wirkungsgrad zu ermöglichen. Immer wieder werden Moleküle untersucht, die durch Lichteinstrahlung ihre Struktur verändern und somit an- und abgeschaltet werden können. Am Ende sollen sich Eigenschaften der Nanowerkzeuge – etwa ihre Länge – stets maximal ändern und das absolut zuverlässig viele tausend Mal.

Eine andere neuartige Nanokonstruktion von Stefan Hecht sind lange Molekülketten, die als Drähte funktionieren. Zunächst werden Ausgangsmoleküle so maßgeschneidert, dass sie sehr reaktionsfreudige Bereiche besitzen. Nur an diesen reaktiven Zentren verbinden sich die Moleküle, der Aufbau der Kette kann also exakt geplant werden. Entscheidend war, besonders stabile und leitfähige Molekülketten herzustellen. Auch hier gelang eine Sensation. Gemeinsam mit dem Physiker Leonhard Grill von der Freien Universität Berlin konnte Hecht mithilfe eines Rastertunnelmikroskops Anfang 2009 die Erzeugung solcher Ketten nachweisen. Darin konnte erstmals Strom über Distanzen von bis zu 20 Nanometern fließen. Bisher war das nur über maximal einen Nanometer möglich gewesen. „Es war schon etwas Besonderes, diese langen Molekülketten zu sehen, weil keiner vorher solche Objekte erzeugen konnte“, erinnert sich Hecht. Mittlerweile hat er mit seinem Team bereits Nanodrähte konstruiert, in denen sich molekulare Schalter befinden.

Die wissenschaftliche Karriere von Stefan Hecht begann an der Humboldt-Universität. Im Anschluss an sein Chemiestudium wechselte er an die US-amerikanische University of California in Berkeley und promovierte dort. Sein Weg führte ihn dann wieder nach Deutschland. „Wir haben hier eine sehr gute Forschungsförderlandschaft. Seit etwa zehn Jahren werden junge Wissenschaftler verstärkt gefördert, und man kommt früh in verantwortungsvolle Positionen“, sagt Hecht.

Unterstützt durch die Alexander von Humboldt-Stiftung baute der Wissenschaftler zunächst eine Nachwuchsgruppe an der Freien Universität auf und leitete im Anschluss am Max-Planck-Institut für Kohlenforschung in Mülheim an der Ruhr eine Arbeitsgruppe. Schließlich kehrte er im Oktober 2006 an die Humboldt-Universität zurück und übernahm dort den Lehrstuhl für Organische Chemie und funktionale Materialien am Institut für Chemie.

Die Auswahlkommission des KlungWilhelmy-Weberbank-Preises für Chemie an der Freien Universität habe es in diesem Jahr schwer und leicht zugleich gehabt, sagt deren Vorsitzender, Professor Hans-Ulrich Reißig vom Institut für Chemie und Biochemie. Es habe viele sehr gute Kandidaten gegeben. Da unter den drei besten nun ein Berliner Wissenschaftler war, wurden internationale Gutachter renommierter Universitäten aus den USA und den Niederlanden hinzugezogen. Die Entscheidung für Stefan Hecht war dann eindeutig. Hechts Kreativität und Originalität überzeugten die Jury. Außerdem habe er sich bereits hohes internationales Ansehen erworben, das über die Grenzen seines Fachs hinausreiche. Seinen Arbeiten wurde bescheinigt, dass sie das Potenzial haben, die Zukunft der Chemie und Technologie maßgeblich zu beeinflussen.