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„Champion der Menschenrechte“

Die ehemalige irische Staatspräsidentin und frühere UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Mary Robinson, erhält den diesjährigen Internationalen Freiheitspreis der Freien Universität Berlin

19.11.2010

Menschenrechte sind nicht gottgegeben – sie müssen stets von Neuem erkämpft werden. Eine Frau, die dieses Gefecht seit vielen Jahren an vorderster Front bestreitet, ist die ehemalige irische Staatspräsidentin und frühere UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Mary Robinson. Für ihren unermüdlichen Einsatz für Freiheit und Menschenrechte wurde die Jura-Professorin jetzt mit dem Internationalen Freiheitspreis der Freien Universität ausgezeichnet. An dem Festakt im HenryFord-Bau in Dahlem nahmen auch der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker teil und die ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Professorin Jutta Limbach, die die Laudatio hielt.

„Mary Robinson ist eine außergewöhnliche Frau“, sagte der Präsident der Freien Universität, Professor Peter-André Alt, in seiner Ansprache. Ihr Mut und ihre Tatkraft seien eine Inspiration „für alle, die für Freiheit und Gerechtigkeit eintreten“.

Das Siegel der Freien Universität trägt noch heute die einstigen Gründungsideale der Hochschule: Freiheit, Gerechtigkeit, Wahrheit: „Drei wunderbare Werte“, betonte die Preisträgerin in ihrer Ansprache. Doch leider seien diese weltweit in den vergangenen Jahren mehr und mehr in Mitleidenschaft gezogen worden. Bezeugen würden dies hunderte Vorkämpfer für die Freiheit, wie die Friedens-Nobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi. Die Oppositionsführerin im früheren Burma war erst vor wenigen Tagen aus einem 15 Jahre dauernden Hausarrest entlassen worden. Daher sei es wichtig, betonte Robinson, sich selbst und anderen immer wieder aufs Neue bewusst zu machen, wie unentbehrlich Werte wie Freiheit, Gerechtigkeit und Wahrheit seien „und sich für sie stark zu machen“.

Im Folgenden drucken wir Auszüge aus der Laudatio von Jutta Limbach:

„Mary Robinson ist eine Frau, die sich die Menschenrechte auf das Panier geschrieben hat. Nicht etwa, indem sie der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte Lippendienste zollt. Vielmehr ist sie eine derjenigen, die begriffen haben, dass Menschenrechte nicht gottgegeben sind, wie noch die Antigone des Sophokles glaubte. Sie weiß, dass es sich um politische Errungenschaften handelt, die in Auseinandersetzungen mit staatlichen und kirchlichen Mächten erkämpft wurden und stets von Neuem erkämpft werden müssen.

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Die Reichweite und Durchsetzbarkeit der wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Rechte ist vor allem in der Dritten Welt ein vordringliches Problem. Mary Robinson hat die Hilferufe aus Afrika nicht überhört. Als Staatspräsidentin Irlands hat sie im Jahr 1992 Somalia besucht und die internationale Öffentlichkeit über die dort herrschende Hungersnot und das politische Chaos unterrichtet. Sie hat in ihrem Bericht und in ihren Briefen an die anderen Staatoberhäupter den Menschen Somalias eine Stimme gegeben – so ihre eigenen Worte.

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Jüngst ist Mary Robinson als Aktivistin der 3. Generation der Menschenrechte im Nahen Osten in Erscheinung getreten. Hierzu zählen unter anderem das Recht auf Frieden und das Recht auf Entwicklung. Weil Mary Robinson – gemeinsam mit Ela Bhatt und Jimmy Carter – die Stirn hatte, auch die Führer der Hamas anzuhören, sind die Drei in Israel recht kühl aufgenommen worden.

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Mary war nach zwei Söhnen als Tochter von einem Arztehepaar freudig erwartet worden. Ja, beide, Vater und Mutter hatten Medizin studiert und promoviert, auch die Mutter war berufstätig. (…) Der häusliche Wohlstand wurde nicht als selbstverständlich hingenommen. Die Eltern hatten ihren Kindern früh vermittelt, dass sie dafür der Gesellschaft etwas schulden. Das elterliche Beispiel, auch mitten in der Nacht für einen Kranken da zu sein, lehrte Mary Robinson, dass jeder Einzelne zählt, und begründete ihr soziales Verständnis, ihre Feinfühligkeit für die Schwachen und Hilfsbedürftigen.

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Rhetorische feministische Attacken waren ihre Sache nicht. Sie überzeugte lieber durch ihr beispielhaftes Verhalten als durch Worte (…) Sie zog es vor, durch Taten zu beweisen, dass sie ihre Ämter gut und effizient auszuüben vermochte. Mary Robinson hatte von frühen Jahren an einen besonderen Nerv für Menschengruppen, die wegen ihres Geschlechts, ihrer sozialen Lage oder wegen ihrer sexuellen Orientierung benachteiligt wurden. Die Gleichstellung der Homosexuellen und der Frau wie die Verhütung unerwünschter Schwangerschaften, die Liberalisierung des Scheidungs- und des Abtreibungsrechts waren ihre rechtspolitischen Vorhaben, die sie von früh an mit Verve verfolgte. Das sagt sich so schnell her. Doch bedenken wir, dass sie mit jedem dieser Probleme an Tabus des konservativen Irlands rührte.

(…)

Das soziale und wissenschaftliche Umfeld erwies sich als dieser jungen mutigen Frau gewachsen: Nicht nur gewann sie ein Stipendium für den Besuch der Law Faculty Havard-University. Mit 25 Jahren wurde Sie am(…) Trinitiy College Dublin (…) Professorin für Verfassungs- und Staatsrecht.

Ihre besondere Gabe war es, scheintote, von der Bürokratie in den Dornröschen-Schlaf versenkte Ämter mit Leben zu erfüllen. Das galt sowohl für das rein protokollarische Amt des irischen Staatspräsidenten wie für das der Hohen Kommissarin für die Menschenrechte der Vereinten Nationen.

Als sie für die Präsidentschaft kandidierte, versprach sie, deren Rolle zu verändern. Niemand glaubte ihr, bis sie die Menschen durch ihr soziales Engagement vom Gegenteil überzeugt hatte. Nicht nur besuchte sie Zentren für vergewaltigte Frauen und Kongresse, die sich mit Obdachlosigkeit beschäftigten. Durch ihr selbstbewusstes Auftreten als Staatsgast in Großbritannien, durch den Besuch der dortigen irischen Gemeinden/Kolonien und ihre wiederholten Kontakte mit irischen Emigranten, schuf sie ein nationales Selbstbewusstsein, eine irische Identität.

(…)

Mary Robinson verfügt über einen sicheren moralischen Kompass und soziales Verständnis für Benachteiligte. Sie wusste und weiß nur zu gut, dass eine Politik für Frieden und Menschenrechte ohne einen allgemein akzeptierten moralischen Code nicht erfolgreich sein kann. Stets war und ist sie sich des Wertes und der Rolle der Weltreligionen bewusst. Auch hat sie früh erkannt, dass es viele Wege zu einer höheren Spiritualität gibt. Mit vielen religiösen Denkern und Führern hat sie das Gespräch gesucht. Unter anderem auch mit dem Dalai Lama und Hans Küng, von dem wir wissen, dass er auf der Suche nach einem Weltethos ist.

Zum Schluss darf eine Kraftquelle nicht unerwähnt bleiben, die für Mary Robinson ein Leben lang sprudelte: die Familie. Ihr liberales Elternhaus hat ihren Geist beflügelt, herkömmlichen, aber überholten gesellschaftlichen und rechtlichen Schranken den Kampf anzusagen. Ihre Glaubwürdigkeit, Unaufgeregtheit und Kritikverträglichkeit ist auch den Eltern, den vier Brüdern, dem Ehemann Nick und den drei gemeinsamen Kindern zu danken, die sie nicht nur gestützt, sondern in ihren politischen Kämpfen und Aktivitäten stets auch unterstützt haben.

Die festen familiären Bande verbürgten für sie nicht nur Geborgenheit und die Möglichkeit des seelischen Auftankens. Dieser familiäre Rückhalt überzeugte ihre konservativen Kritiker, dass diese Frau trotz ihrer radikalen Politik zugleich eine feste Burg humaner Werte und des gesellschaftlichen Zusammenhalts ist.

Mary Robinson, Sie sind nicht nur ein Champion der Menschenrechte. Sie sind ein Vorbild für all jene, die sich die Freiheit herausnehmen und aushalten wollen, in dieser Welt etwas zum Besseren zu wenden. Wer, wenn nicht Sie, hat daher den Freiheitspreis der Freien Universität Berlin verdient?!“