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Blick zurück in die Zukunft

Kooperation des Instituts für Kultur- und Medienmanagement mit der Bahçesehir-Universität Istanbul

18.12.2010

Sie sollten in Fabriken am Fließband arbeiten und Aufgaben erledigen, die andere für den geringen Lohn nicht machen wollten – und so Nachkriegsdeutschland beim Wiederaufbau und auf dem Weg zum Wirtschaftswunder helfen: Die ersten Gastarbeiter kamen vor rund 50 Jahren in die Bundesrepublik, viele stammten aus der Türkei. Die Unterzeichnung des Gastarbeitervertrages zwischen Deutschland und der Türkei feiert im Herbst 2011 ihren 50. Jahrestag. Unter anderem daran will eine einzigartige Kooperation des Instituts für Kultur- und Medienmanagement der Freien Universität Berlin mit der Fakultät für Kommunikation der Istanbuler Bahçesehir-Universität erinnern.

Vor allem aber sollen Studierende, Lehrende und Professoren die Möglichkeit bekommen, sich zwischen Deutschland und der Türkei auf universitärer Ebene auszutauschen.

"Wir haben ein völlig verzerrtes Bild der Türkei, eine Art Tunnelblick“, sagt Professor Klaus Siebenhaar, Direktor des Instituts für Kultur- und Medienmanagement und Initiator der Kooperation. Denn während bei uns wieder einmal die hitzige Debatte um die Integration von – vor allem türkischen – Migranten geführt werde und viele Deutsche in der Türkei nur ein eher armes Urlaubsland sähen, gebe es eine andere Realität. „Es ist unglaublich, welche Wandlungen sich in der Türkei vollziehen und vollzogen haben“, sagt Siebenhaar. „Unser Wissen um die gegenwärtige Türkei ist völlig unterentwickelt, wir werden der Realität nicht gerecht. Wir haben zum Beispiel die immense wirtschaftliche Entwicklung der Türkei völlig verschlafen.“

Das merkte Professor Siebenhaar selbst, als er die Zusammenarbeit mit einer türkischen Hochschule beginnen wollte. „Ich dachte, die warten auf uns und sind froh darüber, dass wir als deutsche Hochschule kommen – aber das war nicht so.“ Denn auch die Hochschullandschaft hat sich gewandelt: „Bildung steht weit oben auf der Agenda. In der Türkei wird dafür sehr viel Geld investiert.“ Kooperationen mit dem Ausland seien dabei wichtiger Bestandteil, allerdings habe die Türkei dabei bisher eher Länder wie die USA und Großbritannien oder Asien im Blick gehabt.

Dass es trotzdem zur Zusammenarbeit mit der Bahçesehir-Universität kam, verdankt Klaus Siebenhaar glücklichen Zufällen und der Offenheit der Partner auf türkischer Seite. Das Institut für Kultur- und Medienmanagement unterhält mehrere Kooperationen mit Institutionen im Ausland. Auch die Türkei war in den Studien des Instituts immer wieder Thema gewesen, und dieses Wissen wollte Professor Siebenhaar in diesem Jahr mit einer Kooperation ausbauen. Mit der Hilfe von Özcan Mutlu, dem bildungspolitischen Sprecher der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, wurde im Februar 2010 der erste Kontakt zur privaten Bahçesehir-Universität geknüpft. Dann ging alles ziemlich schnell: Nur kurze Zeit später wurde im vergangenen Sommer die Vertragsunterzeichnung gefeiert. Geplant sind nun zahlreiche und sehr unterschiedliche Projekte, denn die Zusammenarbeit soll nach den Plänen Siebenhaars zu einem sehr konkreten Austausch führen. Anfang Oktober ging es bereits los: Im Rahmen der Herbstakademie des Instituts für Kultur- und Medienmanagement der Freien Universität Berlin kamen zehn türkische Studenten und Professoren nach Berlin, um die deutsche Medienlandschaft durch Diskussionsrunden und in einem Besucherprogramm besser kennenzulernen.

Im Frühjahr 2011 werden Studenten der Freien Universität zum Gegenbesuch nach Istanbul reisen, um dort einen Einblick in die türkische Medienlandschaft zu erhalten. Bereits im Januar ist außerdem ein deutsch-türkisches Medien-Colloquium in Istanbul geplant, bei dem unter anderem Neue Medien, Medienethik und Medienwirkungsforschung im Fokus stehen sollen.

Hinzu kommt ein Filmprojekt, das ebenfalls bereits begonnen hat: Hierbei besuchen Berliner Studierende als sogenannte Medienbotschafter verschiedene Schulen, dort vor allem Klassen, in denen viele Schüler einen Migrationshintergrund haben. Die Mädchen und Jungen erzählen, welche Themen sie bewegen und worüber sie gern einen Film drehen würden. Zum Beispiel über Liebe oder das Leben der Kaufleute in Kreuzberg.

Gemeinsam erarbeiten die Studierenden und Schüler sogenannte Storyboards – eine Art Drehbuch für Filme –, dann drehen und schneiden sie die kurzen Werke innerhalb weniger Tage. Ein ähnliches Filmprojekt, eine Gemeinschaftsarbeit von deutschen und türkischen Studenten, soll das Leben der türkischen Migranten in Berlin dokumentieren. Diese Dokumentation könnte möglicherweise ein Bestandteil der Feierlichkeiten im Herbst aus Anlass der 50jährigen Geschichte türkischer Gastarbeiter in Deutschland sein.

„Wir planen eine Kombination aus Festival und wissenschaftlicher Konferenz, eventuell auf Istanbul und Berlin verteilt“, sagt Siebenhaar. Dabei sollen Lebenswege der Gastarbeiter ebenso beleuchtet werden wie deren Alltag und Zukunft in Deutschland. Man wolle ein aktuelles und realistisches Bild der Türkei vermitteln, betont der Wissenschaftler. Auch und gerade im Rahmen der Integrationsdebatte. „Wir möchten ein paar andere Bilder der Türkei zeigen als die von Bauern in Anatolien – zum Beispiel vom Aufbruch, aber natürlich auch von den Schwierigkeiten wie der Zensur in den Medien.“

Es soll ein produktiver Austausch sein – wie die gesamte Kooperation mit der Bahçesehir-Universität. „Denn auch das ist sehr spannend an der Zusammenarbeit: Wir sind Teil der aktuellen Diskussion über Migration und Integration, gehen dabei aber nicht die ausgetretenen Pfade, sondern öffnen unsere Blicke für Neues“, sagt Klaus Siebenhaar.