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Der ganz unbefangene Blick

Im Weiterbildungsprogramm „Kunst und Kinder“ der Freien Universität lernen Jung und Alt voneinander

18.12.2010

Mit gerunzelter Stirn schlendern einige Erwachsene an dem fast acht Quadratmeter großen pink-orange gesprenkelten Bild „Lysander I“ von Jules Olitski aus dem Jahr 1970 vorbei. Die vierjährige Lilith dagegen bleibt neugierig vor dem abstrakten Kunstwerk im Museum „Deutsche Guggenheim“ stehen und prustet heraus: „Das ist eine leckere Aprikose!“ In solchen Momenten freut sich Beate Zimmermann ganz besonders. Wenn die promovierte Kunsthistorikerin erlebt, wie unbefangen die Jüngsten die moderne Kunst interpretieren und diese mit ihren Lebenswelten verbinden, dann weiß sie, dass das Konzept ihrer Kinderführung auch in der aktuellen Ausstellung „Color Fields“ aufgegangen ist.

An diesem Tag staunen auch die Teilnehmerinnen der Kursreihe „Kunst und Kinder“, einem Angebot des Weiterbildungszentrums der Freien Universität Berlin, über die Leichtigkeit, mit der die Kinder die knallbunten Flächen, Klekse, Kreise und Striche wahrnehmen. Es funktioniere allerdings nicht immer ganz so gut wie mit den aufgeweckten neun Kindern aus dem INA-Kindergarten im Virchow-Klinikum, weiß Beate Zimmermann aus ihrer langjährigen Arbeit in der frühästhetischen Bildung. „Auch wenn man sich auf jede Gruppe neu einlassen muss, braucht man einen Plan und muss für viele unerwartete Kinderfragen gewappnet sein“, erklärt die Dozentin und zweifache Mutter den Kursteilnehmerinnen, die sich aus unterschiedlichen Motiven in dem Programm weiterbilden möchten.

Judith Schühle etwa hat vor Kurzem ihr Kunstgeschichts-Studium abgeschlossen und hätte sich darin manchmal einen stärkeren Praxisbezug gewünscht. Die 27-Jährige hofft, dass ihr diese Zusatzqualifikation bessere Chancen auf dem hart umkämpften Arbeitsmarkt ihres Faches eröffnet. Gabriele Knoth dagegen arbeitet seit mehr als 40 Jahren als Erzieherin und sagt, sie habe wenig Ahnung von Kunst, vor allem von zeitgenössischer. „Ich mache die Weiterbildung also aus zwei Gründen – für mich persönlich und für die Arbeit mit den Kindern“, erklärt die Kita-Leiterin. Einen ganz anderen Zugang hat Theresa Beitl: Sie ist selbst Künstlerin und sucht Anregungen dafür, wie sie Kinder animieren kann, ihre Wahrnehmung weiterzuentwickeln und ihre Kreativität zu entdecken.

In der Kursreihe „Kunst für kleine Zeitgenossen“ gibt Beate Zimmermann nicht nur ihr Fachwissen und ihre museumspädagogischen Erfahrungen weiter. Ziel sei es darüber hinaus, gemeinsam in der Gruppe praktische und inhaltliche Ideen für neue Kunstvermittlungs-Projekte mit Kindern zu entwickeln. „Ganz bewusst ist ,Kunst und Kinder‘ für pädagogische Profis wie für interessierte Laien offen“, sagt Felicitas Wlodyga, Programm-Verantwortliche am Weiterbildungszentrum der Freien Universität. „Denn gerade durch unterschiedliche Perspektiven und Vorkenntnisse ergeben sich spannende Konstellationen und Gespräche.“

Dieser Ansatz gefällt den Teilnehmerinnen. Sie profitierten untereinander von ihren unterschiedlichen Vorerfahrungen und kämen so auf neue Ideen – da sind sie sich einig. „Ein Projekt in einem Kindergarten würde mir als Kunsthistorikerin bestimmt helfen, in meinen Führungen besser auf die Lebenswelten der Kinder einzugehen“, erläutert Judith Schühle. Sibylle Fischer, Erzieherin in der Virchow-Kita, hat bereits an zwei früheren Durchgängen von „Kunst und Kinder“ teilgenommen und sich schon für die nächste Runde angemeldet. Denn dank des Austauschs und der Verbindung von Theorie und Praxis in der Kursreihe könne sie Methoden und Themen direkt in ihre Kita-Arbeit integrieren, berichtet die 46-Jährige.

Für den Ausstellungsbesuch mit den Kindern haben sich die Frauen gemeinsam Konzepte und Handwerkszeug erarbeitet und sich viele Fragen gestellt: Passt Bewegung in eine Kinderführung? Wie setzt man Techniken moderner Künstler mit Kindern um – etwa das Aufspritzen von Farbe? Wie viel Inhalt ist Vorschulkindern zuzumuten? Alle sind dann positiv überrascht, als sie beobachten, wie unvoreingenommen und aufmerksam die Kinder Beate Zimmermanns Erklärungen zu den abstrakten Kunstwerken aufnehmen. Die Jungen und Mädchen dürfen mit Mal-Utensilien, die in der Halle für sie bereitliegen, auch gleich selbst ans Werk gehen, was sie voller Eifer tun. Manche von ihnen gestalten frei und kreativ darauf los, andere bilden ausgestellte Werke erstaunlich detailliert ab. „Solche Erfahrungen nehmen einem Hemmschwellen, mit Kindern in Kunstausstellungen zu gehen“, resümiert Sibylle Fischer. Während Erwachsene oft mit vorgefertigten Gedanken an Kunst herangingen, könne schon ein einziger Farbklecks bei Kindern eine Assoziations-Lawine in Gang setzen, so wie bei Lilith, die eine Aprikose sieht. Den Rahmen für solche Prozesse zu schaffen, die Kinder scheinbar nebenbei mit Wissen zu füttern, bei ihnen Interesse und Spaß an Kultur zu wecken und ihnen beizubringen, wie man sich in einem Museum verhält – all das lernen die Teilnehmerinnen bei der Fortbildung.

Der Besuch einer Ausstellung fördere, bei Kindern eine ganze Reihe von Entwicklungen, betont Sibylle Fischer: die Sprache durch den Austausch über die Bilder, die Feinmotorik und die eigene Kreativität etwa durch das Nachmalen eines Kunstwerks oder die soziale Kompetenz im Gruppenerlebnis. Nicht zuletzt werde auch die Aufmerksamkeit beim Anschauen und Zuhören trainiert. „Als Künstler wünscht man sich eigentlich Betrachter wie Kinder“, sagt die Malerin Theresa Beitl nach der Begegnung mit der Kita-Gruppe: „Sie hinterfragen Kunst nicht sofort, sondern geben erst einmal etwas zurück.“