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Die USA als wissenschaftliche Herausforderung

Doktoranden der Graduate School of North American Studies forschen auch in Harvard und Princeton

19.02.2011

Von Florian Michaelis

Manchmal gibt es Orte, an denen sich alles bündelt: Große Politik und persönliches Schicksal, Big Business und Philosophie, Staat und Markt. Manchmal verdichtet sich alles so sehr, dass sich mit wenigen Strichen Weltgeschichte nachzeichnen lässt. Ein solcher Ort ist der Hafen von New York City in den USA.

Hier zog sich der Staat zurück und privatisierte die Verwaltung, weil er meinte: Der Markt kann es besser. Hier verloren Gewerkschaften an Macht und wurden Einwanderer ausgebeutet. Hier zeigt sich, wie sehr eine Volkswirtschaft darauf angewiesen ist, Waren zu bewegen – und nicht mehr unbedingt, sie zu produzieren. Und hier wird das heutige Sicherheitsdilemma deutlich: einerseits die Angst vor Anschlägen, andererseits das Unvermögen, alles zu kontrollieren.

New York City – wie auch andere amerikanische Hafenstädte – stehen für den Wandel Amerikas seit den siebziger und achtziger Jahren. Diese Entwicklungen nachzuzeichnen und wissenschaftlich handhabbar zu machen, daran hat sich Boris Vormann gemacht. Der 29-Jährige ist Doktorand an der Graduate School of North American Studies (GSNAS) an der Freien Universität. „Am Thema hat mich gereizt, wie unterschiedlich sich Globalisierungsprozesse auf lokaler Ebene auswirken“, sagt er über sein Projekt.

Boris Vormann ist einer von mittlerweile 47 Doktoranden, die aus ganz verschiedenen Disziplinen an die Graduiertenschule kommen. Politik- und Kulturwissenschaftler sind ebenso darunter wie Soziologen und Ökonomen. Die Themen reichen von illegaler Immigration bis zur zeitgenössischen Kunst und Literatur, von Karrierenetzwerken in Mega-Churches bis hin zur Aufarbeitung der Finanzkrise. E pluribus unum steht im Wappen der USA – aus vielen eines. Ähnliches gilt für die Graduiertenschule. Die Doktoranden kommen zwar aus verschiedenen Ecken, doch die Auswahl ist keineswegs beliebig: Insgesamt acht Forschungsgebiete bilden den Rahmen.

Boris Vormann arbeitet seit mehr als einem Jahr an seinem Projekt, war für Recherchen schon drei Mal in den USA und Kanada. Er profitierte dabei, wie die anderen Doktoranden, von den engen Verbindungen, die die Graduiertenschule in die USA hat. Die Nachwuchswissenschaftler können beispielsweise an renommierten Universitäten wie Havard oder Princeton forschen und studieren.

Die Interdisziplinarität und die Zusammenarbeit mit internationalen Partnern gehören zum Kern des Konzeptes der Schule, das im Exzellenzwettbewerb erfolgreich war: Über Fächergrenzen hinweg arbeiten die Wissenschaftler miteinander und eignen sich, während sie ihre Projekte vorantreiben, zusätzlich „transferable skills“ an – Fähigkeiten, die sie später im beruflichen Alltag gebrauchen können, wie das Organisieren einer Konferenz. Im vergangenen Jahr ging es unter dem Titel „States of Emergency“ darum, aus verschiedenen Blickwinkeln die Krisen des vergangenen Jahrzehnts zu betrachten – vom 11. September 2001 bis zur Finanzkrise. Vormann und seine Kommilitonen arbeiteten ein Programm aus und luden Experten und Redner ein, darunter den Geschichts- und Literaturwissenschaftler Hayden White von der Stanford Universität. Sie kümmerten sich um Räume, Catering, Öffentlichkeitsarbeit und die wissenschaftliche Aufbereitung der Diskussionen. „Das war sehr arbeitsintensiv“, sagt Doktorand Vormann, „aber eine wertvolle Erfahrung.“

Katja Mertin, Geschäftsführerin der Graduate School of North American Studies, freut sich über das Engagement der Doktoranden – und darüber, dass es gelungen sei, das Konzept der Schule mit Leben zu füllen: „Wir haben viel positives Echo bekommen.“ Für die Zukunft haben sie und ihre Kollegen sich vorgenommen, sich noch intensiver um Bewerber aus dem Ausland zu kümmern. „Zwar kommt schon jetzt jeder Zweite aus dem Ausland, vor allem aus den USA, der Türkei und Polen“, sagt Mertin, „doch wir können mehr tun, um ihnen den Start hier zu erleichtern.“ So soll es etwa zusätzliche Beratungsgespräche in den Anfangsmonaten geben, damit sich die Nachwuchswissenschaftler schneller ans deutsche Hochschulsystem gewöhnen. Doktorand Boris Vormann muss sich hingegen in diesem Jahr wieder an amerikanische Umgangsformen gewöhnen: Von August an will er noch einmal für zehn Monate nach New York City gehen – um den Hafen dort zu erkunden.