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Aus Fehlern lernen – Erste Hilfe für das Auto

Informatiker der Freien Universität entwickeln gemeinsam mit einem Absolventen ein neues Kfz-Fehlerdiagnosesystem

19.02.2011

Von Sven Lebort

Wenn die Bordelektronik am Auto streikt, muss für die Fehlerdiagnose bisher schweres Gerät aufgefahren werden. Das beweist der Blick in eine beliebige Autowerkstatt: Die Computerschränke, die dort zur Fehlerdiagnose verwendet werden, stehen auf Rädern und sind meist so groß wie ein Kühlschrank. „Das liegt daran, dass in diese Geräten die ganze Intelligenz und die gesamte Hardware hineinpassen müssen“, sagt Moritz Funk. Ginge es nach ihm, könnte die Revolution der Autodiagnose etwa so groß sein wie zwei Taschentuchpäckchen mit exakt drei Anschlüssen: Einen, der mit dem Diagnoseport verbunden wird, über den jedes moderne Auto verfügt, und zwei, die sich mit jedem handelsüblichen Computer verbinden lassen.

Die kleine Box, die der Absolvent der Freien Universität und heutige Geschäftsführer mit zehn Mitarbeitern in seinem Start-up-Unternehmen „AutoAid“ entwickelt hat, muss nur die Fehlercodes der Autos lesen und verstehen. Für die Verarbeitung nutzt „AutoAid“ den handelsüblichen Rechner des Kunden, das Programm – der Kern des Systems – verbindet sich mit dem Internet.

Das spart nicht nur Platz, sondern auch bares Geld: Die Diagnosebox kostet 250 Euro, für herkömmliche Geräte müssen 4000 bis 10 000 Euro bezahlt werden. Ein Vorteil vor allem für freie Autowerkstätten, die sich unmöglich Geräte für alle großen Automarken leisten können. „AutoAid“ versteht mittlerweile die „Sprache“ von 22 Automarken, die mehr als 80 Prozent des deutschen Marktes abdecken – weitere sollen im Laufe der Zeit hinzukommen. Das ist die zweite große Stärke des Systems: Dadurch, dass der Kern der Software im Internet läuft, nutzen alle teilnehmenden Werkstätten stets die neueste Version des Programms, und die Software lernt bei der Fehlerdiagnose beständig hinzu.

Die anfängliche Idee konnte Moritz Funk verwirklichen, weil er sich nach seinem Studium wieder an die Freie Universität wandte und hier ein Forschungsprojekt in Gang setzte: Die Arbeitsgruppe für Künstliche Intelligenz am Fachbereich für Mathematik und Informatik entwickelt für AutoAid einen Algorithmus, der aus den Fehlerprotokollen der Autos und den Zusatzinformationen der Werkstatt-Mitarbeiter schnell zur richtigen Diagnose führt. Das spart in den Werkstätten Zeit und Geld und vermeidet Verdruss beim Kunden, weil Mechaniker auf der Fehlersuche zuweilen das falsche Bauteil auswechseln.

„Die Erfahrung der Werkstatt ist dennoch unverzichtbar“, sagt Moritz Funk. „Aber heute kennt niemand mehr sämtliche Automarken und deren Fehlercodes. Das sind unüberschaubare Datenmengen.“ Also bringt sein Unternehmen menschliche Erfahrung, eine riesige Datenbank, das allgegenwärtige Internet und einen pfiffigen, selbstlernenden Algorithmus zusammen, um mit wenigen Mausklicks aus einem Wust an Fehlercodes eine Lösung zu finden.

Was in der Theorie schon überzeugt, braucht einige Kopfarbeit, um in der Praxis zu funktionieren: Drei Wissenschaftler wurden für das Projekt in der Arbeitsgruppe Künstliche Intelligenz der Freien Universität zusätzlich angestellt, um diese Aufgabe zu lösen. Über das „Zentrale Innovations-Programm für den Mittelstand“ des Bundeswirtschaftsministeriums bekamen „AutoAid“ und die Freie Universität eine Förderung für ihre Zusammenarbeit. Diese deckt die auf Seiten der Universität entstehenden Kosten und bedeutet für AutoAid einen überlebenswichtigen Zuschuss. Denn während in Dahlem die Köpfe über „analytisch geeigneten Verfahren zur Modellbildung“, Suchalgorithmen und lernenden Empfehlungssystemen brüten, hat Absolvent Moritz Funk in seinen Büros im Wedding alle Hände voll damit zu tun, die Ergebnisse in sein Diagnoseprogramm umzusetzen und die Markteinführung der Box vorzubereiten, die für April 2011 vorgesehen ist. Danach kann der Algorithmus erst richtig beweisen, was in ihm steckt: Das Programm lernt besser und schneller, je genauer und umfangreicher die Daten sind, die es zum Training erhält. Wie in vielen Internetprojekten sorgt auch hier die Gemeinschaft für einen Wissenszuwachs, der letztlich allen zugute kommt: „Wenn Fehlercode x beim Modell y des Herstellers z plus klapperndes Geräusch beim Fahren oft genug auf einen defekten Nockenwellensensor hingewiesen haben, schlägt unser Programm diese Lösung gleich nach dem Anstecken des Autos als erste vor, und der Mechaniker kann sich ohne lange Suche sofort an den Austausch machen“, sagt der Jung-Unternehmer. Auf einer Fachmesse habe er mit seinem Produkt kürzlich schon für Furore gesorgt und die großen Hersteller der bisherigen Lösungen ein klein wenig nervös gemacht. Aus Sicht der Arbeitsgruppe für Künstliche Intelligenz ist die Zusammenarbeit mehr als nur Gründungsunterstützung: „Wir profitieren auch wissenschaftlich ganz handfest von den Resultaten“, sagt Patrick Vogel, kaufmännischer Leiter des Innovationslabors „AutoNOMOS“, das unter anderem mit den autonom fahrenden Autos namens „Spirit of Berlin“ und „MadeInGermany“ bereits überregional Aufmerksamkeit erregt hat. Die Erkenntnisse aus der Zusammenarbeit mit der Automobilwirtschaft kämen nicht nur der Forschung allgemein zugute, sondern insbesondere anderen themenverwandten Projekten des Lehrstuhls von Professor Raúl Rojas, dem geistigen Vater des „Innolabs“. Auch für Studierende oder Absolventen seien solche praxisnahen Erfahrungen an der Schnittstelle zwischen Informatik und Fahrzeugtechnik von unschätzbarem Wert für ihre berufliche Laufbahn. Moritz Funk kann das nur bestätigen. Wenn AutoAid richtig anläuft, braucht er auch nach dem Projektende im November gute Informatiker, die seine Diagnosesoftware weiter verbessern. Schon jetzt gäbe es statt für elf Mitarbeiter Arbeit für mindestens 33, sagt er. Doch bevor Funk an weitere Einstellungen denken kann, muss sich das System am Markt beweisen.