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Verbote als Innovationsprogram

Wissenschaftler der Freien Universität belegen, dass strenge Umweltgesetze ein Marktvorteil sind

18.04.2011

Energie aus der Sonne: In Deutschland ließe sich der Markt für Solarenergir stärker ausbauen.

Energie aus der Sonne: In Deutschland ließe sich der Markt für Solarenergir stärker ausbauen.
Bildquelle: BMU/Christoph Busse/transit

Von  Sven Lebort

Wenn es wieder einmal heißt, die strikten Umweltgesetze in Deutschland schadeten der Wirtschaft, kann Klaus Jacob nur milde lächeln. „Wer seine Märkte stark reguliert, ist in einer Lead-Market-Position", sagt der Forschungsleiter des Forschungszentrums für Umweltpolitik (FFU) der Freien Universität. Gemeinsam mit seinem Kollegen Rainer Quitzow erforscht Jacob, wie sich Lead-Markets, also führende Märkte, für Umwelttechnologien herausbilden – in Industrieländern und in Schwellenländern. Obgleich das Forschungsprojekt erst wenige Monate läuft, hat es bereits die Erkenntnis erbracht, dass strenge umweltpolitische Gesetze innovative Kräfte freisetzen.

Für ihre Fallstudien konnten Klaus Jacob und Rainer Quitzow auf umfassende Arbeiten am Forschungszentrum selbst zu Lead-Markets in der Umwelttechnik zurückgreifen. Das FFU gehört zu den weltweit führenden Instituten in der vergleichenden und internationalen Umweltpolitikforschung und der Forschung zur nachhaltigen Energiepolitik. Wie etwa Deutschland zum führenden Markt für Windkraft und Japan wiederum für Solartechnik wurde, hat das FFU in mehreren Arbeiten nachvollzogen. Doch welche Strategien verfolgen Schwellenländer wie Indien, Japan, China oder Brasilien?

Zwei Wege haben die Wissenschaftler des FFU bislang ausgemacht: Die Länder träten entweder in einen Preiswettbewerb mit den Industriestaaten beim Handel mit bereits existierenden Technologien. Das macht China derzeit bei den Solarmodulen vor, die es in größerer Stückzahl und – dank des dortigen Lohnniveaus – deutlich günstiger den westlichen Staaten anbieten kann, wenn auch derzeit mit geringerer Qualität. Der zweite, wenn auch schwierigere Weg ist, selbst Lead-Markets zu begründen. Darin versucht sich Indien, das die Windkrafttechnik für solche Länder weiterentwickelt, deren Stromnetze schlecht ausgebaut sind. Die deutsche Windkrafttechnik etwa lässt sich dort bislang nur unzureichend einsetzen und daher auch kaum verkaufen. Indien könnte mit seinen Entwicklungen aber ein Lead-Market in diesem Feld werden.

Welche Bedingungen es genau sind, die ein Land zu einem führenden Markt für bestimmte Produkte werden lassen, das untersuchen die FFU-Forscher derzeit gemeinsam mit zwei anderen Instituten im Rahmen eines Projektes, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird. In Fallstudien wird die Entwicklung von Lead-Markets in der Wassertechnologie, der Verpressung von Kohlendioxid im Boden, bei den Biokraftstoffen und der Elektromobilität erkundet. „Dazu werten wir alle verfügbaren Quellen aus, es ist eine außerordentliche Detektivarbeit“, sagt Klaus Jacob.

China zum Beispiel ist bei der Elektromobilität bereits auf dem Weg zur Weltspitze – auch wegen strikter Umweltgesetze. „Der Erfolg hängt von anspruchsvollen Innovations- und Umweltpolitiken ab“, sagt Klaus Jacob. „In vielen chinesischen Städten herrscht eine sehr rigide Luftreinhaltungspolitik. Motorroller mit einem Verbrennungsmotor sind dort nicht mehr erlaubt.“ Weil sich aber immer mehr Chinesen wegen des Aufschwungs einen Roller leisten können, können dort nur Elektroroller verkauft werden. Die Hersteller gewinnen damit einen wichtigen Innovations- und Erfahrungsvorsprung in der Produktion dieser Gefährte – vor den europäischen Staaten oder den USA.

In anderen Bereichen wiederum hat sich China von der Europäischen Union abgeschaut, wie man erfolgreich agiert. Wegen der ambitionierten Regulierungen haben die Mitgliedsstaaten bisher eine gute Position auf dem Weltmarkt für Umwelttechnologien. Deshalb übernahm China zum Beispiel die Abgasnormen der Europäischen Union für die eigenen Automobile. Positiver Nebeneffekt: Die chinesischen Autohersteller sind auf diese Weise gezwungen, ihre PKW fit für den europäischen Markt zu machen.

Lead-Markets allerdings seien dynamisch, Europa dürfe sich auf seiner sehr guten Position keinesfalls ausruhen, warnt Klaus Jacob. Sollte die EU beim Klimaschutz und den vorgeschriebenen Kohlendioxid-Einsparungen „einen Gang herunterschalten“, bestünde ein großes Risiko, dass Länder wie China diese Märkte übernehmen. Denn es sei nicht, wie oft behauptet, allein die technische Kompetenz, die Europa und Deutschland nach vorn gebracht habe, sagt der Forscher, sondern vor allem die strenge Umweltpolitik.