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Weniger ist mehr

Das Forschungszentrum für Umweltpolitik der Freien Universität analysiert die Deregulierung in der Sozial- und Umweltpolitik

18.04.2011

Aus alt mach neu: Das Recycling von Elektrogeräten lohnt.

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Bildquelle: BMU/Rupert Oberhäuser

Von David Bedürftig

Die Mülltrennung gilt als Steckenpferd deutscher Umweltpolitik. Als der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) im Jahr 2000 das Grüne-Punkt-System evaluierte, sah er jedoch erheblichen Reformbedarf. Vor allem stünden die Kosten der getrennten Sammlung und Verwertung von Verpackungsabfällen in einem ausgesprochen ungünstigen Verhältnis zum Umweltnutzen. Neue Sortiertechniken ermöglichten es darüber hinaus, Verpackungsabfälle in der normalen Mülltonne zu sammeln und recyclebares Material erst beim Entsorger vom Restmüll zu trennen.

Nach mehr als zehn Jahren privater Abfalltrennung dominierte jedoch in der Politik die Angst, eine Abschaffung des Dualen Systems könne von den Bürgern als grundsätzliche Abkehr der Bundesregierung von Recycling und Umweltschutz verstanden werden.

Außerdem gab es die Befürchtung, dass Medien und Opposition die Debatte anheizen würden und auch die auf der Mülltrennung gegründete private Abfallwirtschaft stark dagegenhalten würde.

„Deregulierung, das heißt der Abbau von staatlichen Vorschriften, fällt der Politik oft schwer“, erklärt Helge Jörgens, Geschäftsführer des Forschungszentrums für Umweltpolitik (FFU) der Freien Universität Berlin. „Neue Gesetze zu erlassen, scheint leichter zu sein, als bestehende Regeln zu streichen.“ Dennoch werde ein Abbau von Regelungen in politischen Debatten oft gefordert. Das FFU ist dieser Problematik mit der Frage nachgegangen, ob Industrieländer versuchen, Konflikte zwischen wirtschafts-, sozial- und umweltpolitischen Zielen durch den Abbau von Vorschriften zu lösen: „Soziale und ökologische Nachhaltigkeit in Zeiten ökonomischer Globalisierung: Ausgleich von Zielkonflikten durch Deregulierung?“ heißt das dreijährige, von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebene internationale Projekt, das Ende Februar abgeschlossen wurde. Das FFU analysierte gemeinsam mit fünf Universitäten und Instituten – die Gesamtkoordination übernahm Professor Christoph Knill von der Universität Konstanz – den Wandel von Umwelt- und Sozialpolitik in 25 Ländern der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in der Zeit zwischen 1975 und 2005.

Hierfür durchforstete eine große Gruppe von Wissenschaftlern Gesetzestexte der vergangenen 30 Jahre nach Veränderungen in der Umwelt- und Sozialpolitik. Mithilfe einer statistischen Analyse stellten Jörgens und seine Kollegen fest, dass in den 25 Ländern eher eine Zunahme und Verschärfung von Regulierungen stattgefunden hatte. Besonders deutlich war der Anstieg in der Umweltpolitik. In der Sozialpolitik war er schwächer, insgesamt stellten die Wissenschaftler aber auch dort wenig Deregulierungsbewegung fest.

In Fallstudien beobachteten sie drei Motive, die die Deregulierung in der Umweltpolitik oftmals verhinderten: wirtschaftspolitische Interessen, die Angst vor Imageverlust und gesellschaftlicher Protest gegen Rückschritte im Umweltschutz. Auch der Versuch einzelner Parteien, ihre Position als Gegner des Umweltschutzes zu stärken, wie es zum Beispiel bei den Republikanern in den Vereinigten Staaten unter Präsident George W. Bush der Fall war, blieb letztlich erfolglos. In Deutschland war in den vergangenen 30 Jahren der politische Wandel besonders stark. Insgesamt wurden in Deutschland allerdings weitaus weniger Regelungen abgebaut als verordnet.

„Noch sind nicht alle Datensätze ausgewertet“, sagt Jörgens. Mit allgemeinen Schlussfolgerungen will sich der Wissenschaftler deshalb zurückhalten. An einer zweibändigen Veröffentlichung wird aber schon gearbeitet – diese mag einer Neigung zu überbordenden Regelungen entgegenwirken.