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Takt und Timing

Nach mehr als zwei Jahrzehnten verabschiedet sich Manfred Fabricius als Dirigent und künstlerischer Leiter des Collegium Musicum Berlin

23.05.2011

Manfred Fabricius wird zum letzten Mal das traditionelle Semesterabschlusskonzert dirigieren. Die Aufführungen in der Philharmonie finden am 1. und 2. Juli statt.

Manfred Fabricius wird zum letzten Mal das traditionelle Semesterabschlusskonzert dirigieren. Die Aufführungen in der Philharmonie finden am 1. und 2. Juli statt.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Von Nicole Körkel

Noten über Noten stapeln sich auf dem großen Tisch im Geschäftszimmer des Collegium Musicum: Werke von Beethoven, Brahms und Debussy werden sortiert und wieder neu geordnet. Nach 22 Jahren bereitet Manfred Fabricius seinen Abschied vor; er ist der sechste und bis dato dienstälteste Dirigent der gemeinsamen Einrichtung von Freier und Technischer Universität Berlin.

Manfred Fabricius wirkt zufrieden. Umtriebig und zugleich entspannt. Man merkt ihm an, dass er das, was er macht, gerne tut. „Es gibt kaum etwas Schöneres als die musikalische Arbeit mit jungen Menschen“, sagt er, „gerade bei Laien, wo der Spaß und nicht die Pflicht dominiert.“ Disziplin sei natürlich wichtig – beim Musizieren wie im Studium. Aber vielseitig zu sein und auch Interessen neben der Ausbildung zu pflegen, halte er ebenfalls für wichtig.

Vielseitig war Fabricius schon als Kind. Aufgewachsen ist der Sohn eines Pfarrers mit sieben Geschwistern in der Oberlausitz. Leise war es im Elternhaus selten: Alle Kinder lernten ein Instrument, der kleine Manfred gleich mehrere: Orgel, Klavier, Flöte, Trompete, Posaune. „Von allem etwas“, sagt er. Ein Lieblingsinstrument hat Fabricius bis heute nicht – jedes habe seinen besonderen Reiz. Früh war daher für ihn klar: Er wollte dirigieren, das müsse ein Gefühl sein, als würde man alle Instrumente gleichzeitig spielen. Fabricius zog nach Berlin und studierte an der Hochschule für Musik Hanns Eisler Dirigieren, Chordirigieren und Kirchenmusik. Er wurde Kapellmeister an verschiedenen Opernhäusern, arbeitete mit Laienorchestern und Chören.

Allerdings fehlte ihm in der DDR die Freiheit, sich als musikalischer Leiter so zu entfalten, wie es seinen Vorstellungen entsprach. Im März 1989 durfte der Musiker mit Frau und Tochter in den Westen ausreisen – und zog auf die Schwäbische Alb. Er lehrte an der Hochschule für Musik im badischen Karlsruhe, als er die Einladung zur Vorstellung beim Collegium Musicum erhielt, wo er sich beworben hatte.

An einem Sonntagvormittag im Juni 1989 – es war der 18., daran erinnert er sich noch heute – erschien Fabricius mit fünf von 130 weiteren Bewerbern zum Vordirigieren im Henry-Ford-Bau. Im Audimax grüßte er das Orchester freundlich, platzierte seine Partituren auf dem Pult, legte seine Armbanduhr ab und begann mit dem Pflichtstück: Brahms 1. Sinfonie. Mit seiner Kür, der Ouvertüre zur romantischen Oper „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber, traf er bei den Musikern ins Schwarze: Orchester und Chor wählten ihn als neuen Chef ans Pult. Der frisch ernannte künstlerische Leiter zog also wieder zurück nach Berlin. „Vieles ist glücklich verlaufen“, sagt er. „Ich hatte eine geteilte Stadt verlassen, kehrte für die Musik zurück, und fast zeitgleich fiel die Mauer.“

Fabricius‘ erstes Konzert im Februar 1990 in der Berliner Philharmonie war der Auftakt einer langen Reihe von musikalischen Erfolgen. Sein Wunsch nach Vielseitigkeit schlug sich im Repertoire nieder – in mehr als zwei Jahrzehnten gab es kaum Doppelungen im Programm. Außerdem sorgte er für Neuerungen bei den Ensembles: Unter seiner Leitung entstanden zusätzlich das Kleine Sinfonische Orchester, der Kammerchor und die Bigband – noch mehr Möglichkeiten für Studierende, sich musikalisch auszutoben.

Austauschstudierende erhielten immer Plätze: „Es war mir wichtig, Leute, die hier fremd sind, in Kontakt mit anderen zu bringen“, sagt Fabricius. Sie sollten Berlin ja mit einem guten Eindruck verlassen. Die Verständigung sei nie ein Problem gewesen, die Sprache der Musik sei ja international. Man duzt sich untereinander – auch den „Manfred“. Ob er die Namen aller 500 Mitglieder kenne? „Alle vielleicht nicht immer, aber ich bemühe mich.“ An Manfred können sich viele offensichtlich auch Jahre nach ihrer Uni-Zeit noch gut erinnern. In Fabricius' Arbeitszimmer steht ein Ordner mit der Aufschrift „CM-Kinder“. Darin sammelt er Post von Mitgliedern und Ehemaligen: Geburtsanzeigen und Babyfotos oder auch Hochzeitseinladungen. Hunderte Ehemalige müssen es mittlerweile sein. Diese werden für das Abschlusskonzert im Juli eingeladen: Beim letzten Stück, dem Finale aus der 8. Sinfonie von Mahler, wirken sie mit – zwei reisen sogar aus Versailles an.

Weit gereist ist auch Fabricius in den 22 Jahren als Leiter des Collegium Musicum: Konzerte führten ihn quer durch Europa bis an den Persischen Golf nach Kuwait. Dahinter steht der Organisator Bernhard Wyszynski. Er begann vor 40 Jahren als Cellist und ist längst nicht allein Geschäftsführer, sondern die „gute Seele“ des Collegium – und stets an der Seite des Dirigenten. Gemeinsam hat das Duo dessen Nachfolge in die Wege geleitet, die Entscheidung liegt wie damals bei Chor und Orchester. Was sich Manfred Fabricius für die Zukunft der Einrichtung wünscht? „Dass die Vielseitigkeit erhalten bleibt“, seiner Meinung nach eine der größten Stärken der fünf Ensembles.

Als seine Stärke sehen viele sein gutes Takt- und Zeitgefühl. Musikalisch und menschlich. Warum er gerade jetzt aufhöre? Das sage ihm sein Gespür für den richtigen Zeitpunkt: „Lieber verabschiedet man sich, bevor sich die Leute fragen, wann man endlich in Rente geht.“ Mit seiner Frau, einer ehemaligen Sängerin im Berliner Rundfunkchor, möchte der 60-Jährige künftig häufiger selbst Konzerte besuchen. Zuvor bereitet er seine Abschiedskonzerte am 1. und 2. Juli in der Philharmonie vor. Sie werden beginnen wie sein Auftakt vor 22 Jahren: mit Webers „Freischütz“. Ganz romantisch.