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Alles begann mit einem Diplomatenbesuch

Die Freie Universität Berlin hält seit 40 Jahren wissenschaftliche Kontakte zu Russland

23.05.2011

Gottfried Gügold erinnert sich an die Anfänge der deutsch-russischen Beziehungen an der Freien Universität.

Gottfried Gügold erinnert sich an die Anfänge der deutsch-russischen Beziehungen an der Freien Universität.
Bildquelle: Privat

In den vergangenen Jahren habe sich in der russischen Wissenschaftslandschaft erstaunlich viel getan, sagt Matthias Kuder.

In den vergangenen Jahren habe sich in der russischen Wissenschaftslandschaft erstaunlich viel getan, sagt Matthias Kuder.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Weder der Kalte Krieg noch der Eiserne Vorhang konnten der Beziehung etwas anhaben: Seit rund 40 Jahren pflegt die Freie Universität enge Kontakte zu russischen Partneruniversitäten. Wissenschaftler besuchen sich gegenseitig, forschen und lehren gemeinsam, mehr als 330 junge Russen studieren derzeit an der Freien Universität. Eine Beziehung mit Zukunft: Wenn am 23. Mai 2011 in Moskau das „Deutsch-Russische Jahr der Bildung, Wissenschaft und Innovation“ eröffnet wird, sind Vertreter der Freien Universität dabei. Unter dem Motto „Partner im Wissens- und Technologietransfer“ richten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Freien Universität mit russischen Partnerinstitutionen während der kommenden zwölf Monate eine der größten Veranstaltungsreihen des Wissenschaftsjahres aus.

Ein Gespräch mit Gottfried Gügold vom Außenamt der Freien Universität und Matthias Kuder vom Center for International Cooperation der Universität über eine unerwartete Offerte, wissenschaftlichen Beziehungswandel und einen wertvollen „Botschafter“ in Moskau.

Wie hat die Beziehung der Freien Universität zu Russland damals begonnen?

GOTTFRIED GÜGOLD: Ende der Sechzigerjahre gab es einen folgenreichen Besuch sowjetischer Diplomaten aus Berlin-Ost an der Freien Universität. Die Delegationsmitglieder stellten der Universitätsleitung damals eine Frage, mit der wohl niemand gerechnet hatte: Können Sie sich vorstellen, dass die Freie Universität eine Kooperation mit der staatlichen Universität Leningrad eingeht? Eine solche Frage war damals in zweifacher Hinsicht pikant: Erstens waren das keine Vertreter einer russischen Hochschule, sondern Diplomaten, und dann noch von der anderen Seite des Eisernen Vorhangs, sie stammten aus einem Staat, der West-Berlin als eine „besondere politische Einheit“ ansah. An der Freien Universität wusste man mit dieser überraschenden Offerte wohl nicht so recht etwas anzufangen und reagierte zögerlich.

Was heißt das?

GÜGOLD: Es wurde erst einmal ein Hochschullehrer nach Leningrad geschickt, um das Angebot zu prüfen. Doch es zeigte sich schnell, dass man an der Leningrader Universität sehr interessiert war und gar nicht überrascht, und so gab es bald Verhandlungen über einen regelmäßigen Wissenschaftler-Austausch in den Fächern Physik, Chemie und Mathematik. Seitdem kommen jedes Jahr Forscher der Universität St. Petersburg, wie Leningrad ja heute heißt, als Gastwissenschaftler an die Freie Universität.

In welcher Sprache hat man sich verständigt?

GÜGOLD: In Russland war Deutsch noch bis Ende der Achtzigerjahre erste Fremdsprache. Damals haben jährlich eine Million Menschen in der Sowjetunion Deutsch gelernt! Und viele der älteren deutschen Wissenschaftler waren noch des Russischen mächtig, sei es durch Kriegsgefangenschaft oder familiären Hintergrund.

MATTHIAS KUDER: Das verändert sich aber spürbar, vor allem die jüngere Generation von russischen Wissenschaftlern spricht zunehmend Englisch.

Gab es Probleme in den Zeiten des Kalten Krieges?

GÜGOLD: Zumindest sind mir keine bekannt. Die Kontakte unter den Wissenschaftlern müssen damals erstaunlich offen gewesen sein, trotz des Zweiten Weltkriegs und seiner Folgen. Eine Rolle hat dabei vermutlich das gute Verhältnis zwischen deutschen und russischen Wissenschaftlern gespielt, das historische Wurzeln hat. Die Staatliche Universität Kasan in Tatarstan ist ein Beispiel dafür. Seit ihrer Gründung 1804 wurde die Hochschule von deutschen Gelehrten geprägt.

Hat sich der Zusammenbruch der Sowjetunion Anfang der Neunzigerjahre negativ auf die wissenschaftlichen Beziehungen ausgewirkt?

GÜGOLD: Im Gegenteil, es gibt heute mehr Kontakt als vorher. Früher hat der russische Behördenapparat so manchen Wissenschaftler-Austausch erschwert. Aber nach dem Zusammenbruch der UdSSR und dem Ende der Kaderpolitik drängten viele Wissenschaftler und auch Studierende an westliche Universitäten. Um dem Ansturm gerecht zu werden, hat die Freie Universität damals viele Austauschbesuche mithilfe von Fördermitteln des Bundes und auch mit Geld aus dem eigenen Haushaltstopf ermöglicht.

Auf welchen Forschungsfeldern bestehen heute Kooperationen zwischen der Freien Universität und Russland?

GÜGOLD: Der Schwerpunkt liegt nach wie vor auf der Zusammenarbeit in den Naturwissenschaften. Bestes Beispiel ist das Anfang 2010 eröffnete deutsch-russische Exzellenzzentrum an der Staatlichen Universität St. Petersburg. Dort wird interdisziplinär ausgerichtete Forschung und Lehre vor allem auf dem Gebiet der Physik, Geophysik, Physikalischen Chemie und Mathematik betrieben. Professor Eckart Rühl von der Freien Universität koordiniert die Arbeit des Zentrums, an dem sich übrigens weitere russische und deutsche Hochschulen mit Kooperationen beteiligen können.

KUDER: Weitere Kooperationen in Forschung und Lehre finden sich etwa in der Veterinärmedizin, der Rechtswissenschaft, bei den Historikern, in der Politik- und Kommunikationswissenschaft und natürlich am Osteuropa-Institut der Freien Universität.

Wie haben sich die Beziehungen im Laufe der Jahre verändert?

KUDER: Russland ist dabei, seine Hochschullandschaft umzugestalten und möchte dabei auch die Internationalisierung in der Wissenschaft systematisch vorantreiben. Die Regierung will Studien- und Promotionsaufenthalte im Ausland fördern und die Anerkennung von Abschlüssen erleichtern, die im Ausland erworben wurden. Eine russische Variante der Exzellenzinitiative hat sich zum Ziel gesetzt, die Profilbildung und Leistung der Wissenschaftslandschaft zu stärken, flankiert von Sonderprogrammen, die internationale Spitzenwissenschaftler ins Land locken und russische Wissenschaftler aus dem Ausland zurückholen sollen. Vor wenigen Jahren war das alles noch überhaupt kein Thema. Auch wenn diese Veränderungen nicht über Nacht passieren und Russland sicherlich noch vor vielen Herausforderungen steht – da ist Musik drin!

GÜGOLD: Ja, die Aufgeschlossenheit für westliche Wissenschaftsstrukturen ist deutlich gewachsen. Und das Interesse bei der Jugend an einem Auslandsstudium gerade in Deutschland ist sehr groß. Leider zieht es nicht genau so viele deutsche Studierende nach Russland. Der Austausch wäre noch intensiver, wenn wir das Gleichgewicht gewährleisten könnten.

KUDER: Dabei wäre es für die Karriere vermutlich förderlich – und für die persönliche Erfahrung allemal hoch spannend – in einem Land wie Russland zu studieren und nicht an Universitäten in westlichen Ländern, an die es alle zieht.

GÜGOLD: … zumal russische Hochschulen gerade in den Naturwissenschaften und in Mathematik auf höchstem Niveau arbeiten.

Die Freie Universität hat im Juni 2010 als erste deutsche Universität ein Büro in Moskau eröffnet. Wie wirkt sich das auf die Zusammenarbeit aus?

KUDER: Durch den Leiter des Büros, Tobias Stüdemann, haben wir nun einen Botschafter vor Ort, der die Leistungen unserer Universität bekannt macht und umgekehrt für uns den Puls der russischen Wissenschaftslandschaft erfühlt. Er unterstützt unsere Wissenschaftler bei ihren Vorhaben in Russland, baut Netzwerke auf und pflegt die Verbindungen zu unseren ehemaligen russischen Studierenden, etwa bei der nächsten großen Alumni-Veranstaltung am 24. Mai in Moskau. Nicht zuletzt wirbt er aktiv für Studiengänge und Promotionsangebote der Freien Universität und für den Austausch von Wissenschaftlern, Doktoranden und Studierenden zwischen Dahlem und unseren russischen Partnern.

Was erwarten Sie vom Deutsch-Russischen Wissenschaftsjahr?

KUDER: Ich hoffe, dass wir die einzigartige Vielfalt der Verbindungen und Kooperationen sichtbar machen und diese weiter fördern können. Natürlich möchten wir dadurch auch neugierig machen auf ein Land, das sehr spannend, aber für viele noch Terra incognita ist. Vor allem der Austausch von Nachwuchswissenschaftlern und Studierenden in beide Richtungen soll davon profitieren, und langfristig sollen neue Brücken entstehen.

GÜGOLD: Es wäre schön, wenn das Deutsch-Russische Wissenschaftsjahr dazu beitragen könnte, auf allen Ebenen auch ganz persönlich neue Bande zu knüpfen. Dann können wir in den kommenden Jahren die Früchte unserer Arbeit einsammeln.

Die Fragen stellten Christa Beckmann und Kerrin Zielke