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Hochleistungsrechner

Internationale Zusammenarbeit über universitäre Grenzen hinweg: 159 Studentínnen und Studenten lernen und forschen an der Berlin Mathematical School

23.05.2011

An die BMS kommen Mathematiker wegen der ausgezeichneten Studien- und Forschungsbedingungen.

An die BMS kommen Mathematiker wegen der ausgezeichneten Studien- und Forschungsbedingungen.
Bildquelle: BMS

Von Florian Michaelis

Nein, er findet das alles nicht besonders anstrengend und abstrakt; all die Zahlen, Formeln, Funktionen, Grafiken. Mathematik, findet er, Mathematik bedeutet Freiheit. „Ich muss keine tausend Seiten auswendig lernen, sondern nur den Grundgedanken verstehen“, sagt Faniry Razafindrazaka, 23. Schon in der Schule hat er Mathe geliebt, bekam Bestnoten, damals in Madagaskar. Einige Lehrer rieten ihm: Mach etwas aus deinem Talent, studiere! Er hörte auf sie und schrieb sich ein.

Wenige Jahre später führte ihn seine Liebe zur Mathematik nach Berlin. Auf einem Plakat hatte er gelesen, dass sie dort exzellente Mathe-Studentinnen und -Studenten suchen.

Also bewarb er sich, wurde zum Vorstellungsgespräch eingeladen - und aufgenommen. Jetzt ist Faniry einer von 159 Studenten der Berlin Mathematical School, BMS genannt, einer Graduiertenschule, betrieben von den Mathematikinstituten der drei großen Berliner Universitäten: der Freien Universität, der Humboldt- und der Technischen Universität. Junge Mathematikerinnen und Mathematiker bekommen hier die Chance, auf hohem Niveau schnell zur Promotion zu gelangen.

Es verrät etwas über die Berliner Mathematik-Landschaft, zu der die BMS gehört, dass „Hochleistungsrechner“ wie Razafindrazaka hier studieren und forschen wollen. Auch wenn die Mathematik eine „stille Wissenschaft“ ist, wie Günter M. Ziegler sagt, Professor an der Freien Universität und Vorstandsmitglied an der BMS, so genießen die hiesigen Institute in Fachkreisen weltweit einen sehr guten Ruf. Erarbeitet haben sie sich den durch ihre konsequente Kooperation, die so gut wie jeder Berliner Mathematiker von Rang lobt. An der BMS zeigt sich das unter anderem daran, dass es gelang, in einem Kraftakt alle Kurse aufeinander abzustimmen. Die Studenten belegen ihre Seminare an jedem Wochentag an einer anderen Hochschule und nutzen so die Vorteile jeder Einrichtung. Und an Freitag-Nachmittagen kommen junge und erfahrene Mathematiker in das Tagungszentrum Urania, um sich Vorträge von Gastrednern aus verschiedenen Ländern anzuhören, gemeinsam zu diskutieren – und auch, um zu feiern. Die „BMS Fridays“ sind längst zur Institution geworden.

„Wir haben erreicht, was wir uns vorgenommen haben“, sagt Konrad Polthier, Mathe-Professor wie Ziegler und zurzeit Sprecher der BMS. Das anspruchsvolle Auswahlverfahren garantiere, dass nur die Besten kämen. Jeder Kurs wird auf Englisch angeboten, sodass es für Studenten aus anderen Ländern keine Sprachbarriere gibt - beziehungsweise dass sie für alle ähnlich hoch ist. Mittlerweile kommt jeder zweite Student aus dem Ausland. Stipendien zwischen 800 und 1400 Euro sichern den Lebensunterhalt. Zudem ermöglicht eine Besonderheit des Programms auch jungen Mathematikern wie Faniry Razafindrazaka, an die BMS zu kommen, wenn sie noch kein Diplom oder keinen Master haben: Wer direkt nach dem Bachelor in Berlin anfängt, beginnt als sogenannter Phase-I-Student. In drei bis vier Semestern wird er dann auf Diplom-Niveau ausgebildet, muss aber keine Diplomarbeit mehr schreiben. Es reicht ein „qualifying exam“, wie es an der BMS genannt wird.

Dann geht es nahtlos weiter mit Phase zwei. In der steckt Marco Sarich. Der 26-Jährige beschäftigt sich mit Modellen, mit denen sich die Bewegung von Molekülen simulieren lässt. „Ich habe mich schon an der Schule für Mathe interessiert“, sagt er, „aber an der Uni lernt man das Fach noch einmal ganz neu kennen – es lässt sich mit einer eigenen Sprache vergleichen.“ Schon fast fertig mit ihrer Promotion ist Carla Cederbaum, 30. In ihrer Arbeit geht es um die Allgemeine Relativitätstheorie und die newtonsche Gravitationstheorie. „Ingenieure und Architekten vertrauen bei ihren Berechnungen meist auf Newton“, sagt sie. Allerdings stimmen die Ergebnisse zunehmend nicht, wenn Dinge sehr schnell oder sehr schwer werden. Sie hat in ihrer Arbeit allerdings bewiesen, dass Ingenieure trotzdem weiter auf Newton vertrauen können. Von August an will die Doktorandin in die USA, als Assistenz-Professorin an die Duke University.

Faniry aus Madagaskar wird noch länger in Berlin studieren. Er arbeitet daran, komplexe Formeln anschaulich zu machen – und dafür ist er jetzt am richtigen Platz: in der Arbeitsgruppe von BMS-Sprecher Polthier. Der Mathematiker beschäftigt sich mit dem Thema schon sein gesamtes akademisches Leben. Während seines Studiums in den Achtzigerjahren begann Polthier, Gleichungen in Bilder zu verwandeln. Damals kamen die ersten Grafik-Computer auf den Markt, die dreidimensionale Bilder erzeugen können. Polthier gehörte unter den Mathematikern zu den Pionieren, die die Technik nutzten. Später entwickelten er und seine Mitarbeiter Algorithmen, mit denen Grafik-Computer imposante Effekte im Film erzeugen können, etwa besonders elegant Texturen auf virtuelle Oberflächen zu legen. „Ich wollte Brücken bauen“, sagt er, „von der abstrakten Forschungsmathematik zu den Menschen, die sich populärwissenschaftlich dafür interessieren.“ Auch an der BMS versuchen er und seine Kollegen, keine Mauern zwischen den verschiedenen Disziplinen aufzubauen: „Mathematics as a whole“, Mathematik als Ganzes, lautet der Wahlspruch der BMS.