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Gemeinsam für die Zukunft forschen

Vor hundert Jahren begann die Geschichte des Campus Dahlem – heute ein herausragender Wissenschaftsstandort in Deutschland

23.05.2011

Inmitten des Zentrums für die Geistes- und Sozialwissenschaften der Freien Universität ist die von Lord Norman Foster entworfene Philologische Bibliothek gelegen.

Inmitten des Zentrums für die Geistes- und Sozialwissenschaften der Freien Universität ist die von Lord Norman Foster entworfene Philologische Bibliothek gelegen.
Bildquelle: Bavaria Luftbild, Archiv der MPG, Berlin-Dahlem

Von Kerrin Zielke

Dahlem verbinden die meisten Berliner mit alten Villen, viel Grün und der Nähe zum Wannsee. Doch der Südwesten der Hauptstadt hat mehr zu bieten: eine außergewöhnliche Dichte an wissenschaftlichen Top-Adressen. Neben der Freien Universität finden sich hier zahlreiche außeruniversitäre Wissenschaftseinrichtungen, die in vielfältiger Weise kooperieren. Die Zusammenarbeit auf dem Forschungscampus Dahlem soll noch enger werden.

Das Thema ließ Friedrich Althoff auch nach seinem Rückzug in den Ruhestand 1907 nicht los. Der Ministerialdirektor im preußischen Kultusministerium arbeitete unermüdlich daran, in Berlin-Dahlem einen Standort für herausragende Wissenschaft zu schaffen.

Seine Pläne füllten viele Akten; einer trägt den Titel: „Begründung einer durch hervorragende Wissenschaftsstätten bestimmten vornehmen Kolonie, eines deutschen Oxfords“.

In Dahlem wurden im 19. Jahrhundert noch Kartoffeln angebaut und Schafe gezüchtet; um die Jahrhundertwende entstanden hier Villen und Landhäuser. Bereits 1892 wurde der Botanische Garten von Schöneberg nach Dahlem verlegt, 1902 folgte der Neubau des Pharmazeutischen Instituts der Unter den Linden gelegenen Friedrich-Wilhelms-Universität. Andere wissenschaftliche Einrichtungen und Museen zogen nach. Am 20. Oktober 1908 sollte Friedrich Althoff dem technik- und wissenschaftsbegeisterten Kaiser Wilhelm II. Bericht erstatten zu Plänen, außeruniversitäre Institute zu errichten. Dazu kam es nicht; niemand konnte wissen, dass dieser Tag Althoffs Todestag werden würde.

Drei Jahre später, 1911, wurde die größtenteils privat finanzierte Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG) gegründet. In ihren Instituten konnten Wissenschaftler sich ganz der Grundlagenforschung widmen. Die ersten Kaiser-Wilhelm-Institute (KWI) wurden bereits 1912 eröffnet: das KWI für Chemie an der Thielallee und das KWI für physikalische Chemie und Elektrochemie am Faradayweg – heute das Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft, an dem der Nobelpreisträger Gerhard Ertl forscht.

Schnell entwickelte sich Dahlem zu einem dynamischen Forschungsstandort, und Berlin wurde zum weltweit bedeutenden Zentrum der Naturwissenschaften. Von den Kaiser-Wilhelm-Forschern wurden 15 mit Nobelpreisen ausgezeichnet, darunter die Physiker Albert Einstein, Max Planck und Werner Heisenberg sowie der Biochemiker Otto Warburg und der Chemiker Fritz Haber. Am KWI für Chemie entdeckten Otto Hahn und Fritz Straßmann 1938 die Kernspaltung, an der Lise Meitner – die sich als Jüdin ins Exil gezwungen sah – maßgeblichen Anteil hatte.

Im Gebäude des KWI für Chemie forschen 73 Jahre später Biochemiker der Freien Universität Berlin, und der Campus ist geprägt vom Mit- und Nebeneinander der außeruniversitären Einrichtungen und der Freien Universität. 1948 ist das gemeinsame Gründungsjahr der Freien Universität und der Max- Planck-Gesellschaft, die als Nachfolgeorganisation nach und nach die Kaiser-Wilhelm-Institute übernahm. Nach dem Krieg hatten die Alliierten auf einer Neugründung der Max-Planck-Gesellschaft bestanden, da einige KWI-Forscher in das nationalsozialistische Regime verstrickt gewesen waren. Die Freie Universität wurde im Westen der geteilten Stadt auf studentische Initiative gegründet, unterstützt von Professoren sowie Berliner und US-amerikanischen Politikern. Grund war der zunehmende politische Einfluss auf die im Ostteil gelegene Universität Unter den Linden und der Ausschluss von Studenten.

In Dahlem liegen die Freie Universität und vier Max-Planck-Institute in enger Nachbarschaft, außerdem sind im Südwesten Berlins das Deutsche Archäologische Institut angesiedelt, das Zuse-Institut Berlin, das Wissenschaftskolleg zu Berlin, die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung sowie das Bundesinstitut für Risikobewertung. Die Einrichtungen sind miteinander vernetzt wie sie auch mit Einrichtungen an den Standorten Charlottenburg, Mitte, Adlershof und Buch kooperieren. „In Dahlem ist die Grundlagenforschung besonders stark“, sagt Peter-André Alt, Präsident der Freien Universität Berlin. „Die Max-Planck-Institute bringen im Spektrum der hier vertretenen Fächer eine wissenschaftliche Vielfalt ein, die Dahlem zu einem bundesweit einmaligem Standort macht.“

Grundlagenforschung ist die Voraussetzung aller anwendungsbezogenen Wissenschaft und mündet oft in Erfindungen, wenn der Weg auch lang sein kann. So vergingen Jahrzehnte, bis die ersten Erkenntnisse von Max Planck und Albert Einstein zur Quantenphysik die Halbleiter- und Lasertechnik ermöglichten – die das moderne Leben wesentlich bestimmen.

Einen kürzeren Zeitraum im Blick haben die Doktoranden an der International Max Planck Research School (IMPRS) for Computational Biology and Scientific Computing. In der IMPRS – Sprecher ist Martin Vingron, Max- Planck-Forscher und Honorarprofessor an der Freien Universität – bilden Universität und das MPI für molekulare Genetik gemeinsam Doktoranden aus. Nachwuchswissenschaftler forschen hier an der Schnittstelle von Mathematik, Informatik und Biologie. Sie untersuchen Protein- und Genfamilien, um Indikatoren zum Beispiel für Krebs herauszufinden, modellieren die Ausbreitung von Viruserkrankungen und erarbeiten neue patientenspezifische Diagnoseverfahren. Christof Schütte, Mathematik-Professor der Freien Universität und einer der Betreuer an der Graduiertenschule, schätzt „die kollegiale, unbürokratische und produktive Zusammenarbeit“ zwischen den Instituten. Die Kooperation ziehe eine Vielzahl von herausragenden Nachwuchswissenschaftlern aus aller Welt an. Die IMPRS wird bereits in ihrer zweiten Phase überwiegend mit Mitteln der Max-Planck-Gesellschaft gefördert. Die Graduiertenschule ist in die Dahlem Research School (DRS) aufgenommen worden, das Dach für strukturierte Promotionsprogramme der Freien Universität. In der DRS können sich die Doktoranden regelmäßig miteinander austauschen und werden von einem kleinen Team betreut. Außerdem vermitteln Dozenten Schlüsselqualifikationen für den Beruf und Know-how für die Lehre. „Auch wenn die wissenschaftliche Lehre nicht zu unseren Kernaufgaben gehört, legen wir auf Nachwuchsförderung größten Wert", sagt Max-Planck-Präsident Gruss. In der Regel seien MPG-Direktoren in die universitäre Lehre eingebunden. „Im Rahmen der Exzellenzinitiative sind beispielsweise vier Max-Planck-Institute am Exzellenzcluster der Freien Universität ,Languages of Emotion‘ beteiligt.“ Der Präsident der Freien Universität kann sich eine noch stärkere Kooperation mit den außeruniversitären Partnern gut vorstellen: „Ein Beispiel sind gemeinsame Professuren wie am MPI für Wissenschaftsgeschichte. Nachwuchsforscher können Erfahrungen in der Lehre gewinnen, was auch für die Projekt- und Teamverantwortung von Bedeutung ist“, sagt Alt.

Auch mit der Helmholtz-Gemeinschaft hat die Freie Universität gemeinsame Projekte, die auf gesellschaftsrelevante Themen ausgerichtet sind. In dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit insgesamt rund 4,6 Millionen Euro geförderten Projekt „Innovationsnukleus Polymere für die Biomedizin Berlin-Brandenburg“ kooperieren 20 Wissenschaftler unter Leitung der Chemie-Professoren Rainer Haag von der Freien Universität und Andreas Lendlein vom Helmholtz-Zentrum Geesthacht am Standort Teltow. Beteiligt ist weiterhin die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung. Die Wissenschaftler arbeiten an Materialien für die Medizin und an der Lösung eines klinischen Problems: Sie suchen nach neuen Wegen, um zu verhindern, dass Blut mit der Oberfläche von synthetischen Kunststoffen reagiert, wenn beispielsweise Blutkonserven gelagert oder Katheter gelegt werden.

Am Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie leitet der Juniorprofessor der Freien Universität Emad Aziz eine Nachwuchsgruppe. Für seine Forschungen erhält er am 24. Juni den Karl-Scheel- Preis der Physikalischen Gesellschaft zu Berlin. Aziz hat es sich zur Aufgabe gemacht, Flüssigkeiten mit sogenannter weicher Röntgenstrahlung zu untersuchen. Dafür entwickelte er mit seiner Arbeitsgruppe verschiedene Experimentierkammern, mit denen es ihm zum Beispiel gelang, erstmals Proteine in Lösung zu untersuchen und daraus wichtige Informationen über deren enzymatische Funktion zu erlangen. In der Arbeitsgemeinschaft wurde auch untersucht, welche Eigenschaften Solarzellen haben, abhängig davon, auf welche Weise sie hergestellt wurden.

Ob solch innovative Forschungen Kaiser Wilhelm II. gefreut hätten? Der preußische Ministerialdirektor Friedrich Althoff jedenfalls erlebte nicht mehr, dass Teile seiner Pläne Wirklichkeit geworden sind. Dahlem ein deutsches Oxford? „Hier gibt es zahlreiche hervorragende Wissenschaftsstätten im Grünen, wie von Althoff geplant“, sagt Peter-André Alt von der Freien Universität. „Dahlem ist eine der größten und leistungsstärksten Wissenschaftsregionen Deutschlands. Dieses Privileg wollen wir weiter nutzen, indem wir den Standort ausbauen.“