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Forscher auf Höhenflug

Wissenschaftler der Freien Universität untersuchen Schwebepartikel in der Atmosphäre und entwickeln Messverfahren

15.08.2011

Auch in der scheinbar klaren Luft im Berliner Umland lassen sich Schwebepartikel wie Pollen, STaub oder Ruß nachweisen.

Auch in der scheinbar klaren Luft im Berliner Umland lassen sich Schwebepartikel wie Pollen, Staub oder Ruß nachweisen.
Bildquelle: Melanie Hansen

Wissenschaftler Thomas Ruthz misst an Bord der Cessna 207 Schwebepartikel in der Luft, wie etwa Ascheteilchen.

Wissenschaftler Thomas Ruthz misst an Bord der Cessna 207 Schwebepartikel in der Luft, wie etwa Ascheteilchen.
Bildquelle: Melanie Hansen

Er ist 68 Jahre alt, sie 28. Seit mehr als 20 Jahren gehen sie für die Wissenschaft gemeinsam in die Luft: der Meteorologe Carsten Lindemann und die Cessna 207 Turbo. Mit dem Flugzeug „Airborne Research Platform“ sind Lindemann und die anderen Forscher vom Institut für Weltraumwissenschaften der Freien Universität in bis zu 6000 Metern Höhe unterwegs. Eine ihrer Missionen: Die Erforschung winziger Schwebepartikel in der Atmosphäre, die zu den wichtigsten Faktoren des Klimawandels zählen.

Guten Morgen, Schönhagen. Delta- Echo-Alpha-Foxtrott-Uniform ist abflugbereit.“ Es ist 9.30 Uhr, Carsten Lindemann sitzt hinter dem Steuer der einmotorigen Cessna mit dem Kennzeichen D-EAFU.

Langsam setzt sich der Flieger auf dem Flugplatz Schönhagen in Bewegung, Sekunden später hebt er ab.

Carsten Lindemann ist im Dienst der Wissenschaft unterwegs. Der Meteorologe steuert das Forschungsflugzeug des Instituts für Weltraumwissenschaften der Freien Universität. Die Cessna 207 ist mit Messgeräten zur Untersuchung der Atmosphäre sowie zur Fernerkundung von Land- und Wasseroberflächen ausgestattet. Eigentlich hat die Cessna Platz für acht Personen, doch fünf Sitze sind ausgebaut und durch Gerätschaften ersetzt: bis zu 300 Kilogramm technisches Equipment hat das Flugzeug an Bord, und das braucht seinen Platz.

Egal ob Kohlendioxid, Ozon oder winzige in der Luft schwebende Teilchen, sogenannte Aerosole – den Instrumenten entgehen nicht die kleinsten Partikel oder Gaskonzentrationen. Pollen, Staub, Ruß und Nebel sind auch in der scheinbar saubersten Atmosphäre vorhanden. Sie entstehen bei natürlichen Prozessen wie Waldbränden, können aber auch durch den Menschen verursacht sein, etwa durch Autoabgase oder Industrieschmutz.

Sichtbar werden diese Aerosole jedoch erst bei „dicker Luft“: ab einer Konzentration von einer Million Teilchen pro Kubikzentimeter. Als der Ausbruch des isländischen Vulkans Eyjafjallajökull im April 2010 den europäischen Flugverkehr lahmlegte, trübten die Aerosole als Aschewolke deutlich erkennbar die Luft. Das Forschungsflugzeug der Freien Universität war eines der wenigen, das bereits kurze Zeit nach dem Vulkanausbruch wieder in den Berliner Himmel aufstieg – um den Aerosolgehalt in der Atmosphäre zu messen.

Auch heute wollen die Wissenschaftler die Konzentration der kleinen Partikel untersuchen. Während sich Berlin oft unter einer Dunstglocke aus Ruß- und Staubteilchen versteckt, ist die Luft südlich der Hauptstadt an diesem Tag klar. Gestochen scharf zeichnen sich die Wälder und Wiesen des Brandenburger Umlandes dort unten am Erdboden ab, 600 Meter zeigt der Höhenmesser auf der Instrumententafel vor Carsten Lindemann. Durch das Fenster der hinteren Tür der Cessna blicken drei 20 Zentimeter lange Teleskoprohre. Das sogenannte Sonnenphotometer, das am Institut für Weltraumwissenschaften entwickelt wurde, ist direkt auf die Sonne gerichtet. Damit können die Forscher die Trübung der Luft messen. „Eine Spezialität unseres Hauses“, nennt Professor Jürgen Fischer, Leiter des Instituts für Weltraumwissenschaften der Freien Universität, die Messmethode. „Mit dem Photometer schauen wir geradewegs in die Sonne und messen ihre Strahlenintensität in verschiedenen Wellenlängen.“ Anhand der Werte können die Wissenschaftler Rückschlüsse auf die Menge der vorhandenen Teilchen in der Atmosphäre ziehen. Durch das Messen in unterschiedlichen Höhen bekommen sie ein Bild über die Aerosolverteilung in den einzelnen Luftschichten.

Doch für was sind die Messungen von Aerosolen gut – abgesehen von der Warnung des Flugverkehrs vor Vulkanasche? „Die kleinen Partikel haben großen Einfluss auf das Klima“, sagt Professor Jürgen Fischer. „Mit unseren Messungen wollen wir diese Auswirkungen genauer bestimmen.“ Denn Aerosole können je nach ihren optischen Eigenschaften einen abkühlenden, aber auch erwärmenden Einfluss auf das Klima haben: je nachdem ob sie die Sonneneinstrahlung – wie ein aufgespannter Sonnenschirm – verringern oder die Sonnenenergie wie ein Schwamm aufsaugen, um sie anschließend in Wärme umgewandelt wieder an die Luft abzugeben.

Beim heutigen Aerosol-Messflug zeigt sich die Sonne von ihrer besten Seite. Nur wenige Wolken trüben den Himmel. Carsten Lindemann rückt seine Pilotenbrille zurecht. Seit mehr als zwei Jahrzehnten betreut der Meteorologe im Ruhestand die Cessna 207 Turbo. Einen Kosenamen, wie viele Autofahrer ihn ihren Fahrzeugen geben, hat er für den Flieger mit dem unpersönlichen Namen „Airborne Research Platform“ nicht: „Es ist kein richtig schönes Flugzeug verglichen mit einem Segelflugzeug, aber sehr nützlich“, sagt Carsten Lindemann.

Diese Einstellung teilt er mit Thomas Ruhtz. Der 45-Jährige sitzt hinten im Flieger und schaut konzentriert auf den Bildschirm seines Laptops, den er auf den Knien balanciert. Das Sonnenphotometer übermittelt seine Daten direkt an den Rechner. Die gemessene Strahlendichte taucht als Zahlenwert auf seinem Monitor auf. Der Aerosolgehalt ist heute durchschnittlich.

Auch wenn Carsten Lindemann mit rund 1100 Flugstunden auf der Cessna ein routinierter Pilot ist, bei kleineren Thermik-Turbulenzen schaukelt die Cessna natürlich hin und wieder ziemlich kräftig. Nicht gerade ein ruhiger Arbeitsplatz für Thomas Ruhtz: „Ab und zu muss ich meinen Blick vom Laptop lösen und den Horizont fixieren“, sagt er, „sonst kann einem da schon mal schwindelig werden.“

Auch Ruhtz arbeitet mittlerweile seit 20 Jahren am Institut für Weltraumwissenschaften. Der promovierte Meteorologe ist dort hauptsächlich verantwortlich für die Entwicklung neuer Messgeräte mit mehr Leistung. „Wir sind nämlich nicht nur ein Wissenschafts-, sondern auch ein Entwicklungsbetrieb. Nur deshalb dürfen wir an unserem Flugzeug Umrüstungen vornehmen, die einem Privatmann nicht erlaubt würden“, sagt er. Umrüstungen wie die zwei 30 Zentimeter großen Löcher, die in den Boden des Fliegers gefräst sind und aus denen Messinstrumente herausschauen. Die Geräte Marke Freie Universität Berlin kommen auch außerhalb der eigenen Hochschule zum Einsatz: Auf dem größten Forschungsschiff Deutschlands, dem Eisbrecher Polarstern, wurden mithilfe der Dahlemer Messinstrumente Aerosolverteilungen maritimer Luftmassen von Bremerhaven bis nach Costa Rica gemessen.

Bevor die Instrumente bei so großen Messkampagnen eingesetzt werden können, müssen sie erst mehrere Tauglichkeitstests an Bord der Cessna bestehen. Das gilt auch für Instrumente, die später in Satelliten ihren Dienst tun werden.

Vor ihrem Einsatz als fliegende Forschungsstation war die Cessna ein reines Privatflugzeug. Der Astronaut und Gründungsdirektor des Instituts für Weltraumwissenschaften der Freien Universität, Professor Reinhard Furrer, hatte das Flugzeug 1988 einem Farmer in den USA abgekauft – um es umzurüsten und in Berlin als Forschungsflugzeug zu nutzen.

Furrer, der drei Jahre zuvor mit der Raumfähre „Challenger“ ins Weltall abgehoben war, ließ es sich nicht nehmen, die Cessna persönlich die knapp 8000 Kilometer von den USA nach Berlin zu fliegen - mit einigen Zusatztanks an Bord und Zwischenlandungen in Neufundland, Grönland und Island. „Furrer ist oft an die Grenzen des Möglichen gegangen“, kommentiert Professor Fischer die fliegerisch anspruchsvolle Aktion. Er hat jahrelang am Institut gemeinsam mit dem Astronauten geforscht. Professor Furrer kam 1995 im Alter von 54 Jahren beim Absturz mit einem historischen Flugzeug ums Leben. Das Kennzeichen des Forschungsflugzeugs erinnert noch heute an den verstorbenen Wissenschaftler: D-EAFU ist auf der Unterseite des linken Flügels zu lesen. „Das FU am Ende steht sowohl für die Freie Universität als auch für Furrer“, sagt Professor Fischer.

Es ist 10.40 Uhr. Der heutige Messflug neigt sich dem Ende zu. Der Schönhagener Flugplatz ist in Sicht. Thomas Ruhtz klappt seinen Laptop zu. Carsten Lindemann schaut auf die Bordinstrumente – der Höhenmesser zeigt 200 Meter, 100 Meter, 50 Meter. Mit einem Ruck setzen die Reifen auf. Delta-Echo-Alpha-Foxtrott-Uniform ist wieder gut gelandet.