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Wie von Geisterhand gesteuert

Nr. Informatiker der Freien Universität testen ein autonomes Fahrzeug in der Berliner Innenstadt/2011 vom 13.10.2011

Tauben stürzen sich wie übermütig ausrosa Wolken an diesem frühen Sonntagmorgen über dem Kaiserdamm. Doch für solche Naturschauspiele haben die Männer in den weißen Jacken mit Schriftzug „AutoNOMOS Labs“ keine Zeit. Sie umringen einen VW-Passat, auf dessen Dach eine Art silberner Topf rotiert. Erst bei näherem Hinsehen fallen auch die schokoladentafelgroßen Sensoren auf, die in Kniehöhe an Seiten, Heck und Front des Fahrzeugs montiert sind. Und spätestens ein Blick in den mit Kabeln und allerlei technischen Kästen gefüllten Kofferraum macht klar: Hier parkt kein alltägliches Auto.

„Können mich alle hören?“, fragt Tinosch Ganjineh auf dem Rücksitz des Passats in sein Walkie-Talkie, „wir fahren mit dem Auto jetzt autonom die zehn Kilometer zum Brandenburger Tor und zurück.“ Der Informatiker leitet das vom Bundesforschungsministerium geförderte Auto-NOMOS-Projekt der Arbeitsgruppe Künstliche Intelligenz. Ganjinehs Stimme knistert aus den Funkgeräten von drei Autos in Blickweite. Auf dem Fahrersitz des Passats hebt Daniel Göhring demonstrativ die Hände, der Blick von Beifahrer Miao Wang ruht auf dem Monitor, der die vierspurige Fahrbahn zeigt und alle anderen Autos als bewegliche Kästen darstellt, die über Laserscanner, Radar und Videokameras erfasst werden. So ist jederzeit klar, was das Auto in der Umgebung erfasst und wie es während der Fahrt reagieren wird.

Dann setzt der Passat aus der Parklücke, ordnet sich ein und hält auf die erste Kreuzung zu – Lenkrad, Bremse und Gaspedal bewegen sich wie von Geisterhand, gesteuert vom Computer über das sogenannte Drive-by-Wire-System. Als bedürfe es eines Belegs für die Gelassenheit der Passagiere und für die zukunftsweisende Art der Beförderung, tönt aus dem Autoradio „Aus der neuen Welt“ von Antonín Dvorák. „Ich könnte jederzeit eingreifen“, sagt Daniel Göhring. Doch er lässt die Hände auf dem Schoß und die Füße auf der Matte. Ohne Zwischenfall, mit konstanter Geschwindigkeit und unter Beachtung aller Regeln der Straßenverkehrsordnung erreicht das Auto nach zwölf Minuten das Brandenburger Tor undwendet.

„Das Auto könnte jeden beliebigen Ort in der Hauptstadt selbstständig ansteuern“, sagt Tinosch Ganjineh. Der Mensch hinter dem Steuer sei gewissermaßen nur noch Passagier und Fahrlehrer. Ein Hupkonzert vor dem Kreisel am Großen Stern reißt die Passagiere aus ihren Gedanken. Doch es gilt nicht dem autonomen Fahrzeug, sondern einem Mercedesfahrer aus München, der trotz grüner Ampel an der Haltelinie klebt. Im gleißenden Licht der aufgehenden Sonne sind die Ampelfarben kaum zu erkennen. Die Roboterstimme im autonomen Fahrzeug meldet „grün“, und der Passat lässt das hupende Knäuel hinter sich. Nach 46 Ampeln und vier Kreisverkehren stoppt das Auto am Kaiserdamm.

Professor Raúl Rojas, Direktor der Arbeitsgruppe Künstliche Intelligenz, der dem Passat in seinem eigenen Auto gefolgt ist, ist zufrieden. Für ihn gehört dem autonomen Fahren die Zukunft: „Auf privatem Gelände könnten wir schon jetzt so fahren, etwa auf Flughäfen oder in Fabriken“, sagt er. Auf Autobahnen sei es denkbar, autonomes Fahren in zehn Jahren zu erleben, im Stadtverkehr in 20 bis 30 Jahren. Dann könnten autonome Taxis durch die Städte schwärmen.

Im Januar fliegt das Team um Raúl Rojas mit dem autonomen Auto erst einmal um den halben Globus: Der Bürgermeister von Mexiko-Stadt hat die Wissenschaftler eingeladen, sich auf einer Technikmesse zu präsentieren. „Er will das ganze Zentrum für uns zumachen“, sagt der Informatiker. Darf der Bürgermeister mitfahren? Rojas lacht: „Nur, wenn er früh aufsteht.“