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Modernisierung im Fokus

Das Osteuropa-Institut und das Center for Global Politics der Freien Universität engagieren sich im Deutsch-RussischenWissenschaftsjahr.

13.10.2011

Weder der Kalte Krieg noch der Eiserne Vorhang konnten der Beziehung etwas anhaben Seit rund 40 Jahren pflegt die Freie Universität enge Kontakte zu russischen Partneruniversitäten. Wissenschaftler besuchen einander, forschen und lehren gemeinsam, mehr als 330 junge Russen studieren derzeit an der Freien Universität. Eine Beziehung mit Zukunft: Unter dem Motto „Partner im Wissens- und Technologietransfer“ richten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Freien Universität mit russischen Partnerinstitutionen noch bis Juni 2012 eine der größten Veranstaltungsreihen des Deutsch-Russischen Wissenschaftsjahres aus.

Was bedeutet eigentlich Modernisierung? Darf unser westliches Verständnis von Modernisierung als allgemeingültig betrachtet werden, oder haben andere Gesellschaften einen anderen Begriff von Modernisierung? Mit diesen Fragen beschäftigen sich Wissenschaftler der Freien Universität am Osteuropa-Institut(OEI) und am Center for Global Politics (Zentrum für Globale Politik, CGP) im Rahmen einer Vorlesungsreihe und einer Sommerschule in Moskau und St. Petersburg. Während des Deutsch-Russischen Wissenschaftsjahres richten beide Einrichtungen ein besonderes Augenmerk auf Russland.

„Es ist nicht allein das ausgerufene Themenjahr, das die Aufmerksamkeit gen Osten lenkt“, sagt CGP-Direktor und Politikprofessor Klaus Segbers – dort würden in den nächsten Jahren viele drängende Fragen entschieden. Der klassischen Modernisierungstheorie zufolge etwa provoziert eine ökonomische Modernisierung eine starke und intakte Mittelschicht, die wieder um mehrpolitische Beteiligung einfordert. Doch in Russland – und unter anderen Vorzeichen auch in China – bleibt eine solche Entwicklung bislang aus. „Die interessante Frage ist nun: Kommt das noch, oder verlaufen Modernisierungsprozesse heute anders als jahrzehntelang vorausgesagt?“, sagt Segbers. Antworten darauf wollen Wissenschaftler in einer Vorlesungsreihe geben, die das Osteuropa-Institut mit den vier großen deutschen politischen Stiftungen und dem Moskauer Staatsinstitut für internationale Beziehungen veranstaltet. Je ein deutscher und ein russischer Wissenschaftler referieren im Rahmen dieser öffentlichen Veranstaltungen über Fragen zu Modernisierungsbestrebungen und -debatten.

Die Reihe richtet sich nicht nur an Studierende, sondern auch an Graduierte und Experten aus Politik und Wirtschaft. Das Osteuropa-Institut und das Center for Global Politics stehen im Deutsch-Russischen Wissenschaftsjahr aufgrund ihres Programms an vorderster Front. Erstmals wird auch in St. Petersburg eine Sommerschule angeboten, die zum überwiegenden Teil von Professoren der Freien Universität getragen wird.Das CGP habe gute Erfahrungen mit derartigen Schulen für Studierende gesammelt, sagt Segbers – in den letzten acht Jahren fanden sie regelmäßig in China, Syrien, im Iran, in Vietnam und Kambodscha sowie in Griechenland und der Türkei statt. Bei der Premiere der Schule in Russland soll ebenfalls dasThemaModernisierung im Mittelpunkt stehen. Der Deutsche Akademische Austausch Dienst (DAAD)hat hierfür Mittel zurVerfügung gestellt.

Die gern zitierteThese eines„Wissensgefälles“ – speziell zwischen Deutschland und Russland – akzeptiertKlaus Segbers nicht: „In SachenWeltsicht oder politische Konstrukte gibt es kein Gefälle. Nur Offenheit führt zu fruchtbaren Gesprächen, wir haben keinerlei Ehrgeiz, dort belehrend aufzutreten“, sagt er.Was Lernstile und Methodenkenntnisse anbelangt, verspürt Segbers indes eine große Nachfrage: „Wissen wird häufig noch im Frontalunterricht vermittelt. Unsere interaktiven Methoden kommen bei den Studierenden deshalb gut an. Wir legen Wert darauf, dass die Studierenden zu Wort kommen, sich in Arbeitsgruppen engagieren, Präsentationen halten.“Das schlägt sich in der Nachfrage nieder: Der Wunsch nach europäischen Bildungsangeboten sei sehr groß, sagt der Professor für Politikwissenschaft, trotz des noch geringen Angebots.

Europa sei auf dem internationalen Bildungsmarkt im Vergleich zu den USA und China wenig präsent und trete vergleichsweise schüchtern auf – ohne, dass es gute Gründe dafür gebe. „Wir können trotz der aktuellen Währungskrise zeigen, dass die Europäische Union auf vielen Ebenen erfolgreich agiert. Das interessiert die Menschen weltweit“, sagt Segbers. Welche Erfahrungen nachgefragt würden, sei von Land zu Land verschieden: Während Südasien in der EU nach einem Modell für einen Staatenbund suche, interessierten sich iranische Studierende bevorzugt für europäische Erfahrungen mit Multikulturalismus und Integration. Für das Osteuropa-Institut sei per se jedes Jahr ein Deutsch-Russisches Wissenschaftsjahr, sagt Segbers.

Das Verhältnis Deutschlands zu Russland sei grundsätzlich sehr gut. Es könne weiter verbessert werden – vor allem, wenn die Impulse direkt aus derWissenschaft kämen. Das Osteuropa-Institut und das Center for Global Politics gehen daher gern voran. Das Center for Global Politics wurde auch gegründet, weil sich mit den Berufswegen der Menschen auch die Lehrformen ändern müssten, sagt Klaus Segbers.

Der früher meist linear verlaufene Bildungs- und Berufsweg von der Schule über die Universität in eine einzige Arbeitsstelle bis zur Rente ist inzwischen zur absoluten Ausnahme geworden. Regelmäßige Weiterbildung und Qualifizierung sind heute unabdingbar. Das CGP hat darauf mit dem Konzept des „Blended Learning“ reagiert, einer Mischung aus Online-Kursen und Präsenzveranstaltungen. Das Zentrum bietet zwei gebührenpflichtige Masterstudiengänge zu Osteuropa-Studien und zu internationalen Beziehungen an, die über das Internet studiert und abgeschlossen werden können – als Weiterbildung für Menschen mit einem ersten akademischen Abschluss. „Beide Masterstudiengänge tragen sichallein durch die Teilnehmerbeiträge und sind sehr gefragt“, sagt CGP-Direktor Klaus Segbers.