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Die Zutaten der Ur-Suppe

Der Biophysiker Dieter Braun erhält am 4. November den Klung-Wilhelmy-Weberbank-Preis für Physik

14.10.2011

Extremer Lebensraum: Aus der Hydrothermalquelle am Mittelatlantischen Rücken fließt heißes Wasser ins Meer. Für das Foto tauchte das ferngesteuerte Fahrzeug ROV Kiel 6000 bis in eine Tiefe von 3000 Metern.

Extremer Lebensraum: Aus der Hydrothermalquelle am Mittelatlantischen Rücken fließt heißes Wasser ins Meer. Für das Foto tauchte das ferngesteuerte Fahrzeug ROV Kiel 6000 bis in eine Tiefe von 3000 Metern.
Bildquelle: ROV KIEL 6000, IFM-GEOMAR

Dieter Braun ist seit 2007 Professor für Biophysik an der Ludwig- Maximilians-Universität München. Er wurde 1970 in Schwenningen am Neckar geboren und studierte Physik in Ulm.

Dieter Braun ist seit 2007 Professor für Biophysik an der Ludwig- Maximilians-Universität München. Er wurde 1970 in Schwenningen am Neckar geboren und studierte Physik in Ulm.
Bildquelle: Friedrich Schmidt / LMU

Es ist eine der Ur-Fragen der Menschheit: Woher kommen wir? Wie sich in den Ozeanen der Urzeit Leben genau gebildet hat, konnte die Forschung bislang nicht rekonstruieren. Fest steht nur: Vor etwa drei bis vier Milliarden Jahren haben sich am Grund des Meeres chemische Verbindungen gebildet, kleine Molekülketten, die ein Eigenleben begannen. Sie waren in der Lage, sich zu reproduzieren. Doch wie haben diese Molekülketten sich in dieser „UrSuppe“ des Lebens bilden können?

Professor Dieter Braun von der Ludwig-Maximilians-Universität München ist der Antwort auf diese Frage ein wenig nähergekommen; er wird deshalb am 4. November im Max-Kade-Auditorium der Freien Universität Berlin mit dem Klung-Wilhelmy-Weberbank-Preis für Physik ausgezeichnet.

„Die Forschungen von Professor Braun können dazu beitragen, dass wir bald verstehen, wie die Bausteine des Lebens entstanden sind“, sagt Martin Wolf, Professor an der Freien Universität und am Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft. Der Physiker ist in diesem Jahr Vorsitzender der Jury, die den mit 100 000 Euro dotierten Forschungspreis im jährlichen Wechsel an Chemiker und Physiker verleiht – die Ehrung gilt als bedeutendste Auszeichnung für deutsche Nachwuchswissenschaftler in Physik und Chemie.

Der Biophysiker Dieter Braun versucht, in seinem Labor eben jene Bedingungen nachzustellen, die in der Entstehungszeit des Lebens am Boden unserer Weltmeere herrschten. „Es ist ein großes Puzzle“, sagt er, denn vieles sei zusammengekommen, als vor Milliarden von Jahren aus anorganischen Stoffen wie Schwefel, Kohlenstoffdioxid, Eisen, Nickel und Wasserstoff einfache organische Verbindungen wurden – die Bausteine des Lebens.

Entstand das Leben am Grund des Ozeans?

„Die genauen Umstände sind noch immer völlig unklar“, sagt Dieter Braun. „Aber es ist sehr wahrscheinlich, dass die ersten biologisch aktiven Verbindungen sich in der Nähe von heißen Unterwasserquellen gebildet haben, wo ähnliche Bedingungen noch heute herrschen.“

Diese sogenannten hydrothermalen Quellen am Grund der Ozeane wurden erst vor wenigen Jahrzehnten entdeckt. Aus ihnen fließt mehrere Hundert Grad heißes Wasser in den eisig-kalten Ozean. Was zunächst nach einer extrem lebensfeindlichen Umgebung aussah, entpuppte sich nach genauer Untersuchung als äußerst komplexes Ökosystem, in dem Leben durchaus möglich ist, vielleicht sogar entstand.

Forscher vermuten nämlich schon länger, dass eben an diesen vulkanischen Stellen im Ozean das Leben seinen biochemischen Ursprung hat. Allerdings scheiterten die Theorien der Wissenschaft bislang immer an einem Problem: Damit aus organischen Verbindungen wirklich Zellen werden können, müssen die Moleküle, aus denen Leben entsteht, in einer sehr hohen Konzentration auftauchen. Moleküle in Flüssigkeiten sind dort allerdings ständig in Bewegung und versuchen, sich gleichmäßig zu verteilen.

Genau bei dieser Frage beginnt der Forschungsansatz von Dieter Braun – auf den er durch Zufall bei Arbeiten mit DNA-Molekülen gestoßen ist, also Bestandteilen der Trägerin der Erbinformation: „Ursprünglich wollte ich mit einem fokussierten, infraroten Laserstrahl messen, wie schnell biochemische Reaktionen ablaufen.“ Doch es sei etwas Überraschendes geschehen: Die bestrahlten Erbmoleküle wanderten vom warmen Strahl weg und konzentrierten sich in den kühleren Regionen der Reagenzgläser. „Das verstößt eigentlich gegen die Gesetze der Thermodynamik, nach denen die Moleküle sich in Flüssigkeit gleichmäßig verteilen müssten“, sagt Braun.

Der Wissenschaftler war auf einen Effekt gestoßen, den im 19. Jahrhundert bereits der Physiologe Carl Ludwig und der Schweizer Physiker Charles Soret beschrieben hatten: die Thermophorese. Bei biologischen Molekülen allerdings war dieser Effekt bislang noch nicht beobachtet worden.

Diese Beobachtung könnte nun auch dabei helfen, die Frage nach dem Ursprung des Lebens zu beantworten: „Im porösen Gestein in der Nähe von hydrothermalen Quellen treten hohe Temperaturgefälle auf“, sagt Braun: „Wir vermuten, dass die Thermophorese verantwortlich dafür war, dass sich hier komplexe Moleküle in ausreichender Zahl konzentrieren konnten, um erste Formen des Lebens zu bilden.“

Und nicht nur das: Je nach Porengröße sammelten sich größere oder kleinere Moleküle an – auch dies konnte Braun unter Laborbedingungen nachweisen. „Viele Theorien zur Entstehung des Lebens bauen darauf auf, dass sich zunächst kurze Moleküle aus RNA replizierten – eine der DNA sehr eng verwandte Nukleinsäure“, erklärt Braun. „Wir konnten mit unserer Arbeit zeigen, dass auch gerade derart kleine Verbindungen in hydrothermalen Quellen angehäuft werden können.“

Im Labor benutzt Braun Glaskapillare: Die Versuchsreihen zeigen, dass eine besonders hohe RNA-Konzentration in den Gefäßen mit einer Breite zwischen 0,1 und 0,2 Millimetern erreicht wird – eine Größe, die nicht weit von der Größe moderner Zellen in Lebewesen entfernt ist. In kleinen Poren sammelten sich vor allem größere Molekülverbindungen; kleinere Verbindungen, die nicht komplex genug waren für das Wunder Leben, wurden weniger stark konzentriert.

Braun forscht weiter. Noch muss er im Dienste der Wissenschaft ein bisschen schummeln: Er gibt Enzyme als Katalysatoren in die Flüssigkeit, um im Labor auch DNA mithilfe von thermischer Konvektion und der Thermophorese zu replizieren. Dieses Hilfsmittel hat es in der Ur-Suppe sicher nicht gegeben.

Braun weiß, dass er das Rätsel des Lebens sicher nicht wird lösen können: „Aber wir hoffen, dass wir ein Teil des Puzzles gefunden haben und sich nach und nach ein glaubwürdiges Bild zusammensetzt. Wir wären schon froh, wenn die Leute nach Abschluss unserer Untersuchungen sagen können: Ja, so könnte es damals gewesen sein.“

Die Preisverleihung am 4. November 2011 im Max-Kade-Auditorium der Freien Universität in der Garystraße 35 in Dahlem ist öffentlich. Die Veranstaltung beginnt um 17.00 Uhr.

Dieter Braun ist seit 2007 Professor für Biophysik an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er wurde 1970 in Schwenningen am Neckar geboren und studierte Physik in Ulm.