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Die Biografen der Universität

48er treffen auf 68er: Alumni arbeiten gemeinsam an einer Buchreihe zur Wissenschaftsgeschichte der Freien Universität Berlin

12.12.2011

Der Malteser Kreis heute: Ursula Besser, Ruth Recknagel, Siegward Lönnendonker und Stanislaw Karol Kubicki (v. l.) treffen sich regelmäßig in der Büroküche des Forschungsverbundes SED-Staat in der Koserstraße.

Der Malteser Kreis heute: Ursula Besser, Ruth Recknagel, Siegward Lönnendonker und Stanislaw Karol Kubicki (v. l.) treffen sich regelmäßig in der Büroküche des Forschungsverbundes SED-Staat in der Koserstraße.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

„Von einst mehr als 30 Teilnehmern leben heute noch vier“, sagt Siegward Lönnendonker. Er zeigt auf die vielen Kreuzsymbole hinter den Namen auf der Mitgliederliste des Malteser Kreises. Nicht der Aquavit, nicht der Hilfsdienst und auch nicht die Insel standen mit ihrem Namen Pate für die Gesprächsrunde über die Geschichte der Freien Universität Berlin, sondern die Malteser Straße in Lankwitz. Dort befindet sich das Archiv „Außerparlamentarische Opposition und soziale Bewegungen“. Begründet hat es Lönnendonker, der bereits zu Studienzeiten in den Sechzigern begonnen hatte, Flugblätter der aufkeimenden Studentenbewegung zu sammeln.

Dort, im sogenannten APO-Archiv der Freien Universität, fanden seit Beginn der neunziger Jahre regelmäßige Zusammenkünfte von Gründungsstudenten und Mitgliedern der 68er-Generation statt. Ungeklärtes aufzuarbeiten und die Puzzlesteinchen der individuellen Erinnerungen zu einem möglichst vollständigen Bild zusammenzufügen, das war das Ziel des Kreises.

Initiiert hatte ihn Horst Hartwich, der ehemalige Leiter des Außenamtes der Universität. Denn die Alumni haben viel und Einzigartiges erlebt: 1948, das erste Jahr der Freien Universität mit seinen Provisorien und der unvergleichlichen Aufbruchstimmung. Die deutsche Studentenbewegung mit der turbulenten Zeit der Studentenunruhen. Den „Aderlass“ der Freien Universität nach der deutschen Vereinigung mit der Verlagerung etlicher Disziplinen an die Humboldt-Universität. Und natürlich den Erfolg der Freien Universität in der Exzellenzinitiative 2006 und 2007.

Doch was war ausschlaggebend dafür, dass im Malteser Kreis auch einstige politische Kontrahenten hinwegsehen konnten über den Zwist von damals? Was veranlasste sie, sich in ihrem Ruhestand mit der Geschichte ihrer Universität auseinanderzusetzen? „Die 48er und 68er unterscheidet von heutigen Studierenden, dass sie sich zu einem sehr hohen Grad mit ihrer Universität identifizierten“, sagt Siegward Lönnendonker, der das Siegel der Freien Universität als Anstecker am Revers trägt. „Eine freie Universität besuchen zu können, das war für uns keine Selbstverständlichkeit. Unser politisches Engagement begann im Studium. Die Zeit dafür hatten wir, denn über einen Arbeitsplatz mussten wir uns damals noch keine Gedanken machen. Der war uns relativ sicher.“

Den Teilnehmern des Malteser Kreises war schnell klar, dass bei vielen die Erinnerungen verblassten. „Wir sahen, dass wir die Anfänge der Freien Universität festhalten müssen, solange es noch geht“, sagt Lönnendonker. „Ehrendoktorwürden zum Beispiel waren ja selten erfasst.“ Auf diese Weise entstand 1998 auf der Basis einer Vorlesungsreihe mit Zeitzeugen ein Buch zum 50-jährigen Jubiläum der Freien Universität. Und im Gesprächskreis lag die Idee nahe, nun die wissenschaftlichen Leistungen der Freien Universität zu dokumentieren. Heute betätigt sich Siegward Lönnendonker gemeinsam mit Stanislaw Karol Kubicki, der „Matrikelnummer 1“ der Freien Universität, als deren Herausgeber – auch wenn sich die beiden zu Studienzeiten nie kennengelernt haben. Mit heute 85 und 72 Jahren erlebten sie die Universität zu völlig verschiedenen Zeiten, doch gleichermaßen verbunden sind sie ihr bis heute. Ebenso verhält es sich bei Ruth Recknagel und der 95-jährigen Ursula Besser, die mit den beiden Männern das Quartett des heutigen Malteser Kreises bilden.

Auf welche Weise die Geschichte der Freien Universität neu zu erzählen ist, sei eine der wesentlichen Fragen im Malteser Kreis gewesen, sagt Kubicki. Musste man sich nicht lösen vom Ansatz anderer bisheriger Geschichtsschreibungen der Universität, deren Schwerpunkt deutlich auf den politischen Wirren lag? Und passt die Geschichte zwischen zwei Buchdeckel? Der Ausgang der mitunter hitzigen, langwierigen Diskussionen war eindeutig: „Die Bücher sollten würdigen, wie erfolgreich die Freie Universität aus der Zeit der Studentenrevolte hervorgegangen ist und welche internationalen Spitzenleistungen die Wissenschaftler errungen haben“, sagt Kubicki. Dieser Fokus auf der Wissenschaftsgeschichte zeigt sich in der programmatischen Ausrichtung der insgesamt sieben Bände, von denen der fünfte im Januar erscheint: „Das erste Buch von 2008 sollte die hochschulpolitische Geschichte abhandeln. Da gab es natürlich viel Gesprächsbedarf – etwa, wie viel Platz wir den linken Gruppierungen einräumen sollten“, sagt Lönnendonker. Das Ziel, Politisches in den Folgetiteln grundsätzlich von der Wissenschaft getrennt zu halten, erwies sich des Öfteren als schwierig. So sei nicht nur die Geschichte des Otto-Suhr-Instituts untrennbar mit politischen Aspekten verbunden, ebenso wie manche Persönlichkeiten: „Manche heutige ,lupenreine Demokraten‘ befürchteten, öffentlich damit konfrontiert zu werden, was sie vor mehr als 20 Jahren gesagt hatten“, sagt Lönnendonker. „Ich glaube bewiesen zu haben, dass so etwas nie in meiner Absicht lag.“

Den Disziplinen Geschichtswissenschaften, Kultur- und Ethnowissenschaften sowie Naturwissenschaften haben sich die Herausgeber bereits gewidmet. Verfasser der Beiträge sind fast ausnahmslos bereits emeritierte Wissenschaftler der Freien Universität, die die betreffenden Institute selbst gegründet und ihre Fachgebiete mitgestaltet haben. „Viele haben eigentlich keine Zeit, nebenbei zu schreiben“, sagt Kubicki, „aber manchmal hilft inständiges Bitten.“ Grundsätzlich zeigen die beiden Verständnis, wenn es einmal länger dauert, aber irgendwann hat auch ihre Geduld ein Ende: „Einigen Beiträgen laufen wir bereits seit Jahren hinterher“, sagt Lönnendonker. Durch fehlende Texte verzögere sich das Erscheinen eines ganzen Bandes. Und so gab es durchaus Fälle, in denen Autoren die Veröffentlichung ihrer Texte nicht mehr erlebt haben. Seit der Malteser Kreis auf vier Personen geschrumpft ist, sind auch die Treffen seltener geworden. Zwar besprechen sie neue Beiträge immer noch gemeinsam – doch die Sitzungen im APO-Archiv gehören mittlerweile der Geschichte an.

Inzwischen tagen die vier in der Büro-Küche des Forschungsverbundes SED-Staat in der Koserstraße. „Küchenparlament nennen die uns da“, sagt Kubicki. Dieses sucht weiterhin – oft mühevoll – die richtigen Autoren für die ausstehenden Wissenschaftsgeschichten, grenzt Themenbereiche ab, verfasst Anmerkungen und findet letzte Fehler. Dass auch die Geschichte der Medizin noch aussteht, lässt Lönnendonker in Richtung seines Mitherausgebers blicken: Kubicki absolvierte sein Medizin-Studium sowie seine Promotion an der Freien Universität und war von 1974 bis 1991 Leiter der Abteilung für Klinische Neurophysiologie. „Er wäre prädestiniert“, sagt Lönnendonker. Doch Stanislaw Karol Kubicki winkt ab: „Keine Zeit!“ Er ist bereits als Autor tätig. Auf der Agenda steht das Lebenswerk seiner Eltern, die beide Maler waren – der Vater wurde 1943 von der Gestapo ermordet. Keine Frage, dass ihm der Malteser Kreis dafür Zeit lässt.

Die Wissenschaftsgeschichte der Freien Universität Berlin erscheint bei V&R unipress, Göttingen.