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DHCL mit Earl Jeffrey Richards und Danielle Buschinger

Das Rolandslied im interkulturellen Zusammenhang

Earl Jeffrey Richards (Bergische Universität Wuppertal)

Crestïens unt dreit, Païen unt tort: Feindbilder im altfranzösischen Rolandslied

Das altfranzösische Rolandslied wird traditionell entweder als französisches Nationalepos oder als "das" Kreuzzugsepos schlechthin betrachtet, als eine Vorwegnahme, wenn nicht sogar als Beweis für einen ‚Kampf der Kulturen‘ bereits im Mittelalter. "Die Heiden haben Unrecht, die Christen haben Recht" heißt es im Gedicht (paien unt tort, chrestiens unt dreit). Man sieht normalerweise in dieser Äußerung den Beleg für die grundsätzliche Intoleranz gegenüber dem Islam, die mit der Entstehung der Kreuzzugsideologie des Westens eng verknüpft ist. Moslems erscheinen automatisch als Urfeinde der Christen, und diesen Automatismus leitet man aus dem streng dialektischen Aufbau des Werks ab: Verschiedene "Binome" (Roland/Olivier; Charlemagne/ Marsile; Aude/Bramimunde, etc.) werden vom Dichter verwendet, um die Opposition von Christen und Moslems zu illustrieren. So erfindet der Dichter auch eine sarazenische ‚Trinität‘. In diesem Vortrag möchte ich die übliche Bewertung dieser binären Gegensatzpaare als textuelle Belege einer Opposition von Christen und Moslems in Frage stellen, ausgehend von der These, dass das Rolandslied nicht die Situation der Kreuzfahrer des 12. Jahrhunderts, sondern die historischen Erlebnisse der Normannen im Mittelmeerraum des 11. Jahrhunderts widerspiegele.

 

Danielle Buschinger (Université de Picardie-Jules Verne, Amiens)

Die Chanson de Roland und Konrads Rolandslied

Konrad ist mehr als ein Bearbeiter in der Art eines Hartmann, Wolfram oder Gottfried, deren Vorlagen schon mit einer „conjointure“ ausgestattet waren. Deren Einführung und das Deutlich­machen des Sinnes des Textes, dazu noch die bewusste Auslassung der typischen Kennzeichen des heldenepischen Stils markieren, wie Eugène Vinaver gezeigt hat, den Übergang vom Heldenepos zum Roman. Während der Autor der „Chanson de Roland“  nicht auslegend in seine Erzählung eingreift und um des Erzählens willen erzählt – erst die modernen Exegeten werden den im Werk unter­schwellig gebliebenen Sinn klar verdeutlichen –, distanziert sich Konrad wie jeder Romandichter von seinem Thema, um das Warum der Geschehnisse zu ergründen. Er geht über die Geschichte hinaus, deckt den Sinn der erzählten Ereignisse für sein Publikum auf und gestaltet seine Erzählung nach diesem Sinn, in Einklang mit diesem Sinn, diesem „sen“ oder „senefiance“. Anders ausgedrückt: Konrad hat den Text seines Werkes als den Ausdruck einer Idee, die es durch seine eigene Erzählung deutlich zu machen, zu veranschaulichen gilt, verstanden. Kurz, Konrad nimmt an dem teil, was Vinaver „the discovery of meaning“ nennt: sein „Rolandslied“ ist ein Roman.