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Schulen und ihr demokratischer Bildungsauftrag

Diesen Einblick gibt uns Hannah Hübner.

"Wäre ich neutral, würde ich meinen Job nicht gut machen."

Viele (angehende) Lehrkräfte sind verunsichert: Dürfen sie sich im Klassenraum gegen die AfD positionieren? Unsere Studentin Hannah Hübner sagt: Unser demokratischer Bildungsauftrag verpflichtet uns sogar dazu.

Wenn ich mich mit meinen Kommiliton:innen unterhalte, nehme ich in letzter Zeit Verunsicherung wahr: Dürfen wir uns als angehende Lehrkräfte kritisch gegenüber der AfD äußern? Ich lese von Lehrer:innen, die von Eltern bedroht werden, wenn sie im Unterricht Reden von Alice Weidel oder Alexander Gauland kritisieren. Auch mein Institut, das Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin, ist kontinuierlich Angriffen von rechts ausgesetzt. Dozierende, die sich in ihrer Forschungsarbeit zur AfD äußern oder im Bereich Gender arbeiten, werden online und offline beleidigt und bedroht.

Dies sind besorgniserregende Angriffe auf unser Bildungssystem. Die AfD und ihre Mitstreiter: innen wollen uns zum schweigen bringen und so das Bildungssystem nach ihren antidemokratischen Idealen umgestalten. Dieses Machtspiel dürfen wir sie jedoch nicht gewinnen lassen. Im Gegenteil: Jetzt müssen wir erst recht für die Werte der Demokratie einstehen.

Damit das gelingt, müssen wir verstehen, wie die AfD und ihre Anhänger:innen bei ihren Einschüchterungsversuchen vorgehen. Vor einiger Zeit hat die Partei in mehreren Bundesländern Meldeportale namens “Neutrale Schule” eingerichtet. Dort sollen Schüler:innen und Eltern Lehrkräfte melden, die zum Beispiel das Parteiprogramm der AfD kritisieren. Lehrkräfte müssten ein Neutralitätsgebot einhalten, behauptet die Partei.

Diese Drohgebärde lässt sich ganz einfach entkräften. Denn erstens sind die Meldeportale keine offiziellen Beschwerdestellen. Und zweitens, noch viel wichtiger: Das Neutralitätsgebot, wie es die AfD auslegt, ist ein Mythos.

Es gibt mehrere Gebote, die regeln, was Lehrkräfte im Unterricht dürfen und was nicht. Man findet sie im Schulrecht, im Beamtenrecht und im Beutelsbacher Konsens, dem Standard für politisch-historischen Unterricht an deutschen Schulen. Dort ist etwa das Indoktrinationsverbot festgehalten, das es Lehrkräften verbietet, im Unterricht eine Partei zu bewerben. Sie dürfen keine Kugelschreiber mit dem CDU-Logo verteilen oder den Schüler:innen sagen, dass sie bei der nächsten Kommunalwahl bitte Frau Petrova von den Grünen wählen sollen. Außerdem kennt der Beutelsbacher Konsens noch das Kontroversitätsgebot. Es besagt, dass Lehrkräfte die gegensätzlichen Argumente einer politischen Diskussion auch im Klassenraum abbilden müssen. Wenn sich eine Klasse aktuell mit der Klimakrise beschäftigt, darf die Lehrkraft nicht nur Argumente der Fridays-for-Future-Demonstrant:innen wiedergeben, sondern muss zum Beispiel auch wirtschaftliche Argumente abbilden.

Diese Gebote bedeuten aber nicht, dass Lehrkräfte neutral sein müssen, dass sie alle politischen Äußerungen und Meinungen blind als gleichwertig gelten lassen sollen. Schule ist die zentrale Institution, die Kinder auf das Leben vorbereitet. In Deutschland bedeutet das: auf das Leben in einer Demokratie. Das ist ein eindeutig wertbezogener Bildungsauftrag – und das Gegenteil von neutral. Lehrkräfte müssen die demokratischen Werte des Grundgesetzes vermitteln, also etwa Menschenwürde oder die Gleichberechtigung aller unabhängig von Geschlecht, Herkunft, Religion.

Wenn ein Schüler im Unterricht eine rassistische Aussage macht, darf ich das als Lehrerin also gar nicht ignorieren. Ich muss ihn darauf hinweisen, dass diese Aussage gegen Werte unserer Demokratie verstößt. Wäre ich in einem solchen Moment einfach neutral und würde nichts sagen, würde ich meinem Auftrag nicht nachkommen. 


Und das bezieht sich nicht nur auf Situationen, die ich im Klassenraum unmittelbar mitbekomme. Als Lehrerin muss ich auch Aussagen von Politiker:innen auf ihren Demokratiegehalt prüfen. Gaulands Aussage, dass die NS-Zeit nur ein "Vogelschiss" in der deutschen Geschichte sei, Weidels Beschreibung von Muslim:innen als "Kopftuchmädchen, Messermänner und andere Taugenichtse" und auch Seehofers "Migration ist die Mutter aller Probleme" sind keine demokratischen Meinungen, sie diskriminieren Mitbürger:innen und so auch einige der Schüler:innen. Ich als Lehrkraft muss das mit den Kindern besprechen. Es ist mein Auftrag, sie vor Diskriminierung zu schützen.

Natürlich heißt das nicht, dass ich jede mir unbequeme politische Meinung in den Unterricht mitbringen darf, um sie dann auseinanderzunehmen und zurückzuweisen. Die Meinungsfreiheit ist ein zentrales Gut unserer Gesellschaft und ebenfalls im Grundgesetz verankert. Es gibt jedoch keine Meinungsfreiheit außerhalb des Grundgesetzes. Artikel 5 steht hierarchisch nicht über, sondern auf der gleichen Ebene mit Menschenwürde und Gleichberechtigung. Wenn jemand also mit einer Äußerung die Grundrechte anderer verletzt, ist dies eine illegitime Äußerung. Wenn ein Schüler einen anderen Schüler beleidigt, weil er im Rollstuhl sitzt oder weil seine Eltern aus Nigeria kommen, wird dieser in den Grundpfeilern seiner Identität verletzt. Er wird herabgewürdigt und kann nicht mehr gleichberechtigt am Diskurs teilhaben. Lehrkräfte sind in diesem Fall Schiedsrichter:innen, die dafür sorgen, dass alle am Schulleben teilhaben, sicher lernen und ihre Potenziale entfalten können.

Dabei ist Meinungspluralismus selbstverständlich erwünscht, die Verletzung von Persönlichkeitsrechten jedoch nicht. Antidemokrat:innen, die sich nicht an diese Regeln halten, müssen konsequent ausgeschlossen werden. Das gilt für Lehrkräfte, Schüler:innen, Eltern und Politiker:innen gleichermaßen.  

Eine solche klare demokratische Haltung erfordert Mut. Wenn Lehrkräfte konsequent danach handeln, kann es Kritik von Eltern geben, Drohanrufe bei der Schulleitung oder öffentliche Denunzierungen. Das ist anstrengend. Wir dürfen uns von den Feinden der Demokratie aber nicht einschüchtern lassen. Lasst uns Angriffe auf unsere Demokratie kritisch im Unterricht diskutieren. Lasst uns unsere Schüler:innen befähigen, aktive Mitglieder unserer Gesellschaft zu werden. Damit verletzten wir keine Gebote, sondern machen einfach nur unseren Job.

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