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Die Hüterin von Vater und Sohn

15.07.2015

Er zeichnete die bekanntesten Comicstrips Deutschlands, er spottete über die Nazis, er bezahlte dafür mit dem Leben: Um das Vermächtnis des Künstlers Erich Ohser kümmert sich Elke Schulze, Alumna der Freien Universität. Dies ist ihre Geschichte.

Im Erich-Ohser-Haus in Plauen kümmert sich die Almuna Elke Schulz um den Nachlass des wohl bekanntesten deutschen Comiczeichners.

Im Erich-Ohser-Haus in Plauen kümmert sich die Almuna Elke Schulz um den Nachlass des wohl bekanntesten deutschen Comiczeichners.

Wäre die Mauer nicht gefallen, dann wäre Erich Ohser nur eine blasse Erinnerung geblieben. Als Kind las Elke Schulze begeistert Ohsers „Vater und Sohn“-Cartoons, die sie im Wohnzimmer ihrer Großeltern fand. „In der Witzbuch-Ecke, wo auch die Westsüßigkeiten lagen“, erzählt sie. Heute pflegt sie den Nachlass des Zeichners, der sich einst auf Druck der Nazis den Künstlernamen „e.o. plauen“ zulegte – und damit berühmt wurde.

Geboren 1967 in Erfurt, zog Elke Schulze bald mit ihrer Familie nach Berlin. Ihre Jugend verbrachte sie größtenteils im Prenzlauer Berg, der zu DDR-Zeiten als aufmüpfiges Künstlerviertel galt. Die Schülerin geriet in die Auseinandersetzungen zwischen Staat und Kirche – mit der Folge, dass sie kein Abitur machen durfte. Notgedrungen absolvierte sie eine „vortheologische Ausbildung“ an der evangelischen Schule in Potsdam-Hermannswerder. Der Abschluss war im Westen als Abitur anerkannt, im Osten aber durfte sie damit nicht studieren. Nur Theologie und Kirchenmusik wären drin gewesen – oder die Ausreise in den Westen. „Ich saß zwischen Baum und Borke“, sagt Elke Schulze.

An dem Tag, an dem sie nach Berlin zurückkehrt, fällt die Mauer

Sie zog sich mit ihrem kleinen Sohn zurück ins „innere Exil“ nach Mecklenburg. In einem alten Pfarrhaus nahe Güstrow gründeten sie und ein paar Freunde eine Wohngemeinschaft mit geistig Behinderten. Ihr „Balanceakt am Rande der DDR-Gesellschaft“ – so nennt sie diese Zeit im Rückblick – endete genau am 9. November 1989. An diesem Tag kehrte sie nach Berlin zurück, „eigentlich wollte ich dort nur überwintern“.

In der Nacht fiel die Mauer. Elke Schulze und ihr Freund gehörten zu den ersten, die an der Bornholmer Straße die Grenze nach Westberlin überquerten. Sie blieben die ganze Nacht, „und am Morgen war meine Welt eine andere“, sagt sie. „Das hatte mehrere Konsequenzen. Die schönste war, dass ich studieren konnte.“ Da war sie 23. Also schrieb sie sich an der Freien Universität ein. Von den vielen Studienmöglichkeiten war sie im ersten Moment „erschlagen“, gesteht sie. „Ich habe mir dann aber Fächer ausgesucht, für die ich Leidenschaft aufbrachte“: Erziehungswissenschaften und Kunstgeschichte.

Der Ansturm der Ostberliner Studienanwärter war so gewaltig, dass die Universität sie in Gruppen abfertigen musste. Das Leben wurde aufregend und anstrengend. Zum ersten Mal kaufte Elke Schulze eine Uhr; sie muss-te ihr Leben zwischen Uni und Kindergarten durchorganisieren. „Ich kannte sämtliche S-Bahn- und Busverbindungen.“ Trotzdem seien die sieben Jahre an der Freien Universität wunderschön und sehr wichtig gewesen, „eine tolle, unheimlich schöpferische Zeit“.

Bis heute ist ihr die „fulminante“ Einführungsrede von Eberhard König, Professor am Kunsthistorischen Institut, in Erinnerung. „Er hat uns vorgeführt, was Kunstgeschichte ist: eine Schule des Sehens.“ 1997 schloss sie ihr Studium als Magistra Artium ab und wechselte dann zur Humboldt-Universität, die ihr zu DDR-Zeiten noch verschlossen war. Sie lehrte und forschte dort am Institut für Kunst- und Bildgeschichte und schrieb ihre Dissertation über die Geschichte des Zeichenunterrichts an den Universitäten.

Zwischen Berlin und Plauen pendeln

Mit Erich Ohser, dem Helden ihrer Kindheit, hatte sie in all den Jahren nichts zu tun – abgesehen von einem Reclam-Heft, das sie aus Nostalgie in einem Museumsladen kaufte. Nicht einmal sein Name sagte ihr etwas, wohl aber sein Pseudonym „e.o. plauen“, zu dem ihn die Nazis zwangen und mit dem er berühmt wurde. Erst als ihr Arbeitsvertrag nach zwölf Jahren endete, kehrte Ohser in ihr Leben zurück: Die e.o.plauen-Stiftung suchte eine wissenschaftliche Mitarbeiterin, zunächst befristet auf ein Jahr. 2010 fing Elke Schulze an, im selben Jahr konnte sie das neue, komplett renovierte Erich-Ohser-Haus in der Altstadt von Plauen mit eröffnen, das erstmals den gesamten Nachlass des Zeichners beherbergte. „Das war ein großes Glück“, sagt Elke Schulze. „So etwas passiert einer Kunsthistorikerin wahrscheinlich nur einmal im Leben.“

Vom Haus führt ein Durchbruch in einen dreigeschossigen Festungsturm, „ein riesiges Ausstellungsgelände“. Gleich vor der Tür springen „Vater und Sohn“ aus einem Buch, in Bronze gegossen. Elke Schulze stieg zum Stiftungsvorstand auf, im wöchentlichen Wechsel pendelt sie nun zwischen Plauen und Berlin. In der Hauptstadt forscht sie zu Ohser und schreibt Vorträge, im Ohser-Haus in Plauen organisiert sie Ausstellungen, wirbt Drittmittel ein und arbeitet an einem Werkverzeichnis. „Die Stiftung hat wunderbares Material zur Verfügung“, erzählt sie. 2014, zu Ohsers 70. Todestag, veröffentlichte sie seine Biografie – die erste überhaupt: „Erich Ohser alias e.o. plauen – Ein deutsches Künstlerschicksal“.

Die 1935 erschienene Bildgeschichte „Spiel am Strande” zeichnete Erich Ohser in Erinnerung an seinen Vater.

Die 1935 erschienene Bildgeschichte „Spiel am Strande” zeichnete Erich Ohser in Erinnerung an seinen Vater.
Bildquelle: Erich-Ohser-Haus Plauen

Geboren 1903 in Sachsen und aufgewachsen in Plauen, ging Erich Ohser nach seiner Schlosserlehre nach Leipzig, um an der Staatlichen Akademie für Graphische Künste und Buchkunst zu studieren. Schon da arbeitete er nebenbei als Witzbildzeichner und Karikaturist. Zwei gute Freunde – Schriftsteller Erich Kästner und Redakteur Erich Knauf – vermittelten ihm die ersten Aufträge. Zeitgenossen kannten das Trio als „die drei Erichs“.

Nach seinem Umzug nach Berlin 1927 machte Ohser Furore mit Hitler- und Goebbels-Karikaturen für die SPD-Zeitung „Vorwärts“. Als die Nazis nach der Macht griffen, sollen Ohser und Knauf die Originale in einer Gartenlaube am Berliner Stadtrand verbrannt haben. „Goebbels war eitel und nachtragend, er hat ihm die Karikaturen nie vergessen“, sagt Elke Schulze. Das Propagandaministerium entzog Ohser 1933 die Zulassung als Pressezeichner. „Vater und Sohn“ retteten ihm fürs Erste den Hals. Die „Berliner Illustrirte Zeitung“ hatte nach amerikanischem Vorbild eine sogenannte „stehende Figur“ gesucht und mit Ohsers Geschöpfen auch gefunden.

Ohser wird denunziert

Doch natürlich wussten die Redakteure, wen sie da vor sich hatten. „Sie setzten Ohser mit schlauer Rhetorik in der entsprechenden Etage des Propagandaministeriums durch“, schildert Elke Schulze. Der Kompromiss: Ohser durfte wieder zeichnen, aber nicht mehr unter seinem Namen und nicht mehr politisch. Darum erfand er das Pseudonym „e.o. plauen“. Ab 1934 erschienen „Vater und Sohn“ jeden Donnerstag; sie „bildeten eine Insel der Humanität“, sagt Elke Schulze. Überall im Blatt geiferte die Nazi-Propaganda, und mittendrin „taucht plötzlich dieser struppige Junge auf, der alles falsch macht – und damit alles richtig“. Doch Goebbels versprach sich mehr von Ohser und spannte ihn ab 1940 als Karikaturisten für seine, wie Schulze es nennt, Edel-Postille „Das Reich“ ein – freilich zeichnete er jetzt auftragsgemäß Stalin oder Churchill.

Je tiefer Ohser sich in die Kollaboration verstrickte, desto lauter tat er privat seine Verachtung für die Nazis kund, verhöhnte Hitler und Goebbels. „Ohser war hemmungslos – und schwerhörig“, sagt Elke Schulze. „Wenn seine Freunde mit ihm durch Berlin zogen und er seine dröhnenden Spotttiraden losließ, wurde ihnen himmelangst.“ Ein Nachbar denunzierte Ohser bei der Gestapo, er landete vor dem Volksgerichtshof. In der Nacht vor der Prozesseröffnung erhängte er sich in seiner Gefängniszelle.

Biografin Schulze: Die Erinnerung an Erich Ohser bewahren.

Biografin Schulze: Die Erinnerung an Erich Ohser bewahren.

Elke Schulze wollte Ohsers Biografie nicht als besserwisserische Nachgeborene schreiben. „Es ist wohlfeil, die Welt nur als eine Ansammlung von Tätern und Opfern zu begreifen. Das Spannende liegt dazwischen“, sagt sie. Seine Widersprüchlichkeit und tragische Verflochtenheit zu zeigen, ist ihr wichtig, auch im Ohser-Haus. „Wir sparen das nicht aus“, sagt sie, das Haus sei „kein Tempel“.

„Vater und Sohn“ als Werbebotschafter

Zweimal im Jahr konzipiert sie dort eine neue Ausstellung. Jede hat einen anderen Fokus, jede soll einen repräsentativen Querschnitt durch Leben und Werk zeigen. „Vater und Sohn“ sind immer mit dabei, aber oft auch Ohsers Zeichnungen für „Das Reich“. Die aktuelle Ausstellung „Gegenwartssinn und Zukunftsvision“ zeigt einerseits, wie „Vater und Sohn“ vermarktet wurden: Sie warben für Apfelsinen, Maßanzüge, sogar Zigaretten und schließlich auch für das Winterhilfswerk, die Spendenkampagne der Nazis. Andererseits sieht das Publikum dort Karikaturen „von zum Teil visionärem Witz“, sagt Elke Schulze. In einigen macht Ohser sich über den technischen Fortschritt lustig. So stellt er sich die Erfindung eines „Taschentelefons“ vor, das jedes Schäferstündchen am See zunichte macht. Heutige Smartphone-Nutzer wissen, was Ohser damals nur ahnte.