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Wir Titelgeschichte: Verdammt gute Gründer

15.07.2015

Rudermaschinen und Smartphone-Spiele, Krebstherapien und Rindergesundheit, Online-Bildung und 3D-Druck: Wie Absolventinnen und Absolventen der Freien Universität immer neue Unternehmen aufbauen – und die Gründerszene der Start-up-Hauptstadt bereichern

Die Gründer von „Augletics“, allesamt Sportruderer, haben ein Rudergerät inklusive Software entwickelt, mit der Ruderer unterschiedliche Trainingssituationen programmieren können.

Die Gründer von „Augletics“, allesamt Sportruderer, haben ein Rudergerät inklusive Software entwickelt, mit der Ruderer unterschiedliche Trainingssituationen programmieren können.
Bildquelle: MaxThrelfall

Steffen Terberl gehört zu jenen Menschen, die erfolgreich sind, wenn sie sich selbst überflüssig machen. Viele Studierende, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die in sein Büro kommen, sind nämlich nur vorübergehend auf ihn und sein Team angewiesen: auf „profund“, die Gründungsförderung der Freien Universität. „Viele wissen noch gar nicht, ob sie überhaupt gründen wollen“, sagt er – manche nicht einmal, dass sie überhaupt eine Idee haben. Um diese Ideen auszubuddeln, wendet „profund“ sich mit Aktionen wie dem „Funpreneur“-Wettbewerb schon an Bachelor-Studierende im zweiten und dritten Semester. Dort können sie spaßeshalber eine Idee entwickeln, gegenüber den anderen Teilnehmern verteidigen – und dann fünf Wochen lang unter echten Bedingungen am Markt testen. „Dafür gründen sie eine GbR, die nach fünf Wochen automatisch erlischt“, sagt Terberl. Wer sich in diesem Testlauf behauptet, hat meist schon Feuer gefangen für das Unternehmertum.

Fast täglich wird in Berlin ein Start-up gegründet

In Berlin lässt sich das Feuer leichter entfachen als anderswo: Laut „KfW-Gründungsmonitor“ sind 2,6 Prozent aller Berliner zwischen 18 und 64 Jahren Gründerinnen und Gründer – das klingt erst mal nicht nach viel, ist aber einsame Spitze im Bundesländervergleich. Alle 20 Stunden wird in Berlin ein neues Start-up gegründet – die neuen Unternehmen befeuern die wirtschaftliche Dynamik der Hauptstadt. Einen Anteil daran hat auch der Gründergeist, der an der Freien Universität gedeiht – unter Studierenden, Alumni und Wissenschaftlern gleichermaßen. In den letzten Jahren haben die Hochschulen in Berlin und Brandenburg einen regelrechten Gründungsboom erlebt – das ergab eine Analyse, die 2014 von der Technologiestiftung Berlin gefördert wurde und die insgesamt zehn Hochschulen untersucht hat.

Der Trend ist deutlich: Die Zahl der Ausgründungen steigt rasant. Etwa 70 Prozent der Befragten haben ihr Unternehmen in den letzten zehn Jahren gegründet, 40 Prozent sogar erst 2010 oder danach. Da wächst eine Akademikergeneration heran, die Unternehmertum und Selbständigkeit als Chance sieht – die zwischen Selbstverwirklichung und Vermarktung keinen Unterschied macht. Und die sehr erfolgreich ist. Immerhin 70 Prozent der eng betreuten Unternehmensgründungen können sich seit Entstehung der Gründungsförderung am Markt behaupten, schätzt „profund“-Teamleiter Terberl.

Geschäftsmodelle entwickeln, Businesspläne aufstellen

Wenn sein Team überzeugt ist, dass es die Gründer tatsächlich ernst meinen, schlägt es sie für das Programm „profund XL“ vor. Sie bekommen dann einen Berater an die Seite, der „die richtigen Fragen stellt“, sagt Terberl. Der Berater unterstützt sie dabei, ein Geschäftsmodell zu entwickeln und einen Businessplan aufzustellen. Er bringt sie mit Wirtschaftsexperten und potenziellen Kapitalgebern in Kontakt und hilft ihnen, Förderanträge zu formulieren – etwa für das „Exist“-Programm des Bundeswirtschaftsministeriums. 150 bis 200 Erstberatungsgespräche führt das profund- Team im Jahr, rund 15 bis 20 Gründer-Teams betreut es anschließend sehr intensiv parallel. Gründungen von einzelnen Personen unterstützt „profund“ nicht, vermittelt aber Kontakte zu geeigneten Stellen.

Wie lange eine Gründung Hilfe braucht, hänge auch von der Branche ab, erläutert Terberl: „Wer sich als Freiberufler selbstständig macht, kann meistens direkt loslegen. Andere müssen erst noch Prototypen erforschen und entwickeln. Im Software- und IT-Bereich dauert es einige Monate, bis man eine Beta-Version testen kann – in der Humanmedizin dagegen Jahre, auch weil man Versuche machen und Zulassungen bekommen muss, bevor man starten kann.“ Die meisten Gründungen kommen aus den Naturwissenschaften. „In der Informatik ist es inzwischen normal, dass man ein Start-up gründet“, sagt Terberl. Da gibt es Programmierer von Handy-Spielen, aber auch Programme zur Krebsfrüherkennung. Auf einmal fühlt sich das Silicon Valley ganz nah an. Eine materielle Gegenleistung, etwa eine Umsatzbeteiligung, erwartet die Freie Universität nicht – es sei denn, ein ausgegründetes Unternehmen nutzt für seine Produkte Patente der Hochschule.

Was Terberl und sein Team für ihre Unterstützung aber durchaus verlangten, sei „Commitment“, sagt er. Dazu gehört, dass die Gründer auch an den Veranstaltungen teilnehmen, die „profund“ anbietet – etwa am „Start-up-Grill“, bei dem Gründer vor einer Jury die jeweiligen Geschäftsideen vorstellen.

Das Netzwerk Unternehmertum der Ernst-Reuter-Gesellschaft

Mentorinnen und Mentoren für Gründungsvorhaben rekrutiert „profund“ auch aus den Reihen ehemaliger, erfolgreicher Gründer. Dafür hat das Team 2012 eigens ein Kapitel der Ernst-Reuter-Gesellschaft gegründet: das „Netzwerk Unternehmertum“. Es soll den unternehmerischen Nachwuchs auch nach Abschluss und Gründung an die Freie Universität binden. „Wir sind hier in Dahlem nun mal nicht in der hippen Start-up-Szene und begegnen unseren ehemaligen Gründern nicht täglich, sondern allenfalls noch zufällig“, beschreibt Terberl die Herausforderung und zugleich die Motivation des Netzwerks. Der Vorteil des Netzwerks: Es steht allen offen, und so zählen auch andere Unternehmer und Coaches zu den Mitgliedern. Sie sollen sich einerseits untereinander vernetzen, andererseits den jungen Gründerinnen und Gründern als Mentoren zur Seite stehen und auch die eine oder andere Tür zu Kunden oder Investoren öffnen. Oder vielleicht auch selbst investieren, wenn sie schon zu Geld gekommen sind. Ein paar Millionäre unter den einstigen Gründern gebe es nämlich durchaus, verrät Terberl. Für Interessierte würde er aber gern noch eine neue Institution ins Leben rufen: einen Investorenclub, der eng mit dem Kurato rium der Ernst-Reuter-Gesellschaft zusammenarbeiten und -wirken soll. „Unsere These ist: Unter den Mitgliedern der Ernst-Reuter-Gesellschaft suchen manche nach einer attraktiven Geldanlage“, erzählt er. „Sie sehen, was sie aktuell auf dem Sparbuch bekommen, und überlegen inzwischen, in Start-ups zu investieren – selbst wenn das Risikokapital ist.“

Ein Tee-Importeur war der Vorreiter

So ausgeprägt wie heute war die Gründungskultur an der Freien Universität nicht immer. „Profund“ gibt es erst seit 2006. Ausgründungen hätten lange ein schlechtes Image gehabt, erzählt Terberl. Sie waren als kapitalistisch verpönt, weil sie der reinen Grundlagenforschung zuwiderliefen. Einer der ersten Gründer der Freien Universität war Günter Faltin, Professor für Wirtschaftspädagogik, der dort den Arbeitsbereich Entrepreneurship aufbaute und leitete. 1985 gründete er den Darjeeling-Import und -Vertrieb „Teekampagne“. „Als die kleine Firma im feuchten Keller des wirtschaftspädagogischen Instituts, für den wir neunhundert Mark Miete bezahlten, zum ersten Mal Überschüsse erwirtschaftete und wir dies voller Stolz auch erzählten, kündigte uns die Verwaltung über Nacht die Räume“, schilderte Faltin seine Erfahrungen 20 Jahre später in einem Buchbeitrag. „Es war, als hätte man im Keller des Instituts einen Bordellbetrieb entdeckt.“

Die Sichtweise hat sich längst geändert – und Faltins Beispiel zeigt zudem, dass nicht nur Absolventinnen und Absolventen gründen. Auch Gründungen, an denen Professoren beteiligt sind, fördert „profund“ heute – zum Beispiel „Erdmann Technologies“ von Volker Erdmann. Der emeritierte Professor für Biochemie forscht nun auch kommerziell an chemisch erzeugten künstlichen Molekülen und Enzymen. „Gerade in den Naturwissenschaften kommt es öfter vor, dass einer was erfindet und nicht will, dass es dann jahrelang in der Schublade verschwindet“, erzählt Teamleiter Terberl. „Da ist der Antrieb oft: Ich muss das jetzt selber machen, ich muss ein Unternehmen gründen.“ Die Europäische Union glaubt inzwischen, dass das „profund“-Modell auch in anderen Ländern funktionieren könnte, und finanziert das Programm „EANET“. Das steht für „Entrepreneur-Alumni-Netzwerk“ und ist eine Art Starthilfe für elf Hochschulen in Georgien, Moldawien und der Ukraine. „Wir helfen ihnen bei einem ersten Schritt, unternehmerisch erfolgreiche Alumni zu identifizieren, sie in einer Art Club zusammenzuschließen und mit Gründungswilligen in Kontakt zu bringen“, sagt Terberl – ganz ähnlich also wie im „Netzwerk Unternehmertum“.

Alumni-Netzwerke knüpfen

Koordiniert wird EANET von der Hochschule von Amsterdam (Hogeschool van Amsterdam), „profund“ ist daran ebenso beteiligt wie die Alexandru Ioan Cuza University of Iasi in Rumänien und die Consult GmbH des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) Berlin. Drei Jahre Zeit gaben sich die EANET-Partner bei einem zweitägigen Auftakttreffen in Amsterdam im Juni 2014. In dieser Zeit sollen die Hochschulen stabile und allgemein bekannte Alumni-Netzwerke knüpfen, verlässliche Förderprogramme auflegen und die auch nachhaltig finanzieren. Dabei hilft ihnen wiederum „profund“: Die Freie Universität hat gemeinsam mit der Hochschule von Amsterdam Trainingsprogramme entwickelt und schult die osteuropäischen Partner zum Beispiel in Sachen Fundraising. Im vergangenen November lernten sie bei einem Seminar an der Freien Universität Berlin, wie sie Alumni ansprechen und Fürsprecher gewinnen und welche Organisationsstrukturen passend sind.

Auch das Alumni-Büro der Freien Universität Berlin und die Ernst-Reuter-Gesellschaft gaben während des Seminars Einsichten in ihre Strukturen und Arbeitsweisen, denn an der Freien Universität Berlin sind diese Bereiche in vorbildlicher und vielleicht modelltauglicher Art miteinander verbunden. Die Ukrainer, Moldawier und Georgier bauen ihrerseits Datenbanken und Online-Communitys auf, suchen Alumni und Gründungswillige, entwickeln Veranstaltungsformate und wollen auch Trainings für Gründer anbieten. Ganz einfach wird das nicht – in allen drei Ländern ist die politische Situation heikel, die Sicherheitslage ungewiss, und nicht überall arbeiten die Verwaltungen effizient. Das macht es schwieriger, in den Ländern Unternehmen zu gründen. Trotzdem überwog schon beim Auftakttreffen in Amsterdam die Zuversicht: „Wir brauchen das Projekt, damit sich Unternehmen in Richtung Europa öffnen und Europa sich in Richtung Ukraine öffnet“, sagte Galina Bogachenko aus Kiew damals. Sie hofft, dass sich die Situation in ihrem Land auch durch Projekte wie EANET verbessert.

Wie gründe ich richtig, Herr Terberl?

Von der ersten Idee zum Markt: So fördert profund Gründerinnen und Gründer   

wir: Herr Terberl, Sie sind Team-Leiter von „profund“. Angenommen, ich studiere an der Freien Universität und möchte ein Unternehmen gründen – was mache ich dann?

Terberl: Dann vereinbaren Sie einfach einen Beratungstermin bei uns. Zu uns kann jeder kommen, Studierende, Absolventen und Wissenschaftler, sofern ein Bezug zur Freien Universität besteht. Wenn Sie schon eine ausgearbeitete Geschäftsidee haben, sind Sie aber schon ziemlich weit. Viele wissen noch gar nicht, ob sie überhaupt gründen wollen. wir: Und was tun Sie für die, die noch nicht so weit sind? Terberl: Die qualifizieren und sensibilisieren wir mit Ideen-Entwicklungsseminaren oder Lehrveranstaltungen, in denen sie testen können, wie es ist, Unternehmer zu sein.

wir: Wann macht es bei den Leuten klick?

Terberl: Zum Beispiel bei unserem „Funpreneur“- Wettbewerb, der sich an Bachelor- Studierende im zweiten und dritten Semester wendet, also schon ganz früh ansetzt. Die Teilnehmer gründen eine GbR, die nach fünf Wochen automatisch erlischt, und mit der sie am Markt tätig werden und zeigen können, dass sie ihre Idee, ihr Produkt wirklich an den Mann bringen können. Da merken sie dann, ob sie gut Leute überzeugen können und ob sie motiviert sind, ihre Ideen umzusetzen.

wir: Wenn ich bei so einem Ideenseminar tatsächlich eine Geschäftsidee entwickle – wie geht es dann weiter?

Terberl: Unsere Gründungsberater unterstützen sie dabei, ein Geschäftsmodell zu entwickeln und es am Markt zu validieren. Die stellen die richtigen Fragen und haben Kontakte zu Experten aus der Wirtschaft, die auch noch mal Feedback geben können. Wir helfen den Leuten, Kapitalgeber zu finden und Fördermittel zu akquirieren. Wer in dieser Phase ist und am Programm „profund XL“ teilnimmt, bekommt über längere Zeit kostenlos ein Büro und einen Mentor.

wir: Welche Kriterien müssen die Gründungsteams erfüllen?

Terberl: Wir fördern in der Regel nur Teamgründungen, wir legen großen Wert auf einen hohen Innovationsgrad – und die Gründer müssen überzeugend rüberbringen können, dass sie wirklich gründen wollen. wir: Wie lange fördert „profund“ maximal? Terberl: Das „EXIST“-Förderprogramm des Wirtschaftsministeriums kann man nur in Anspruch nehmen, wenn man nicht länger als fünf Jahre aus der Hochschule raus ist. Das soll sicherstellen, dass das Hochschulwissen noch frisch ist und die Kontakte noch da sind. Daran orientieren wir uns.    

Mehr im Netz:

Profund: www.fu-berlin.de/sites/profund

Netzwerk Unternehmertum: www.fu-berlin.de/sites/profund/netzwerk/nufub