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Ein Leben zwischen Frankreich und Deutschland

Sabine von Oppeln baute die gemeinsamen Studiengänge von Otto-Suhr-Institut und Science Po Paris auf – und war damit eine Vorreiterin des europäischen Hochschulraums.

26.06.2017

Sabine von Oppeln: "Das Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich ist zentral für die Zukunft Europas."

Sabine von Oppeln: "Das Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich ist zentral für die Zukunft Europas."
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Sabine von Oppeln ist erleichtert, „und wie!“ Immer wieder musste die Politologin und Frankreichexpertin in diesem Frühjahr Interviews geben zur Lage der „Grande Nation“. Immer stand die Befürchtung im Raum, Marine Le Pen, die Kandidatin des rechten Front National, könnte als Frankreichs neue Präsidentin in den Élysée-Palast einziehen. Nach Emmanuel Macrons Sieg bei der Stichwahl konnte nicht nur von Oppeln aufatmen: „Frankreich und Europa sind noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen.“ Allerdings sagt auch sie: „Jetzt muss Macron wirklich Erfolg haben. Sonst haben wir in fünf Jahren das Problem erneut.“ Mehr als 30 Jahre lang hat Sabine von Oppeln am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin die deutsch-französischen Beziehungen untersucht. Sie war Programmverantwortliche für die deutsch-französischen Doppel-Master-Studiengänge und stellvertretende Leiterin der Arbeitsstelle Europäische Integration. Als die Akademische Rätin im März feierlich in den Ruhestand verabschiedet wurde, war eigentlich allen klar, dass die deutsch-französische Zusammenarbeit und die Europapolitik der beiden Länder sie auch nach ihrer aktiven Zeit an der Freien Universität nicht loslassen würden. So arbeitet sie zum Beispiel weiterhin mit Think Tanks wie der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V., der Stiftung Genshagen, der Stiftung Wissenschaft und Politik oder dem Institut Français des Relations Internationales zusammen, wo Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft, Politik und der Zivilgesellschaft gemeinsam Themen der deutsch-französischen Beziehungen und der europäischen Politik besprechen. Das Verhältnis der beiden Länder sieht von Oppeln als zentral für die Zukunft der Europäischen Union. Der Ausstieg Großbritanniens könne überdies dazu führen, dass Frankreich und Deutschland wieder enger zusammenarbeiten. „Ich gehöre zu der Generation, die mit der Europäischen Union groß geworden ist“, sagt sie, „Für uns war es eine Selbstverständlichkeit, dass Europa immer weiter zusammenwächst.“ Die derzeitige Krise bedeutete also auch für sie ein unangenehmes Erwachen. Die Spaltung der europäischen Gesellschaften allerdings beobachtet sie seit Jahrzehnten. „In Frankreich sehen wir exemplarisch die neue Konfliktlinie zwischen denen, die von einer offenen Gesellschaft profitieren, und denen, die Angst vor der Globalisierung haben, Migration ablehnen und die EU höchstens als Schutzschirm wollen.“ Diese Kluft zu schließen und die Gesellschaft zu reformieren, werde nicht leicht, sagt sie. Sie empfindet die Wahl Macrons als historischen Moment, als „Window of Opportunity“, wie Politologen es nennen. „Jetzt gibt es in Frankreich neuen Elan. Das sollte Deutschland nutzen und Macron unterstützen.“ Das hieße vor allem, nicht einseitig an der Sparpolitik festzuhalten und den auch von französischer Seite kritisierten Exportüberschuss Deutschlands zu korrigieren. Frankreich faszinierte Sabine von Oppeln schon früh. Die Berlinerin ging gerne ins Cinema Paris am Kurfürstendamm, lernte Französisch in der Schule. Als Jugendliche interessierte sie sich für den Existenzialismus und liebte französische Chansons. „Die Begeisterung meiner Generation für Frankreich rührt aber sicher auch von der Auseinandersetzung mit dem schwierigen Verhältnis der Deutschen zur Demokratie“, sagt sie. „Frankreich war die Positivfolie: ein Land das freier ist, eine alte Demokratie.“ Heute sehe sie allerdings auch die Vorzüge des deutschen Systems, das weniger hierarchisch sei als das französische.   

Ein Studium in den wilden 70ern

1969 schrieb sich von Oppeln an der Freien Universität ein, zunächst für die Fächer Philosophie, Geschichte und Germanistik. Berufsziel: Lehrerin. „Ich habe in den wilden 1970er Jahren studiert. Da gab es so manches Streiksemester und man konnte sich zwischen damals 65.000 Studierenden leicht verlieren.“ Dann führte das Otto- Suhr-Institut das Alternative Kernkurs-Studium- Modell ein, das ein bisschen mehr Orientierung bot. Sabine von Oppeln wechselte 1972 zur Politikwissenschaft. Als sie alle Scheine gemacht hatte, kam ihre erste Tochter zur Welt. Sie machte eine lange Pause, bekam ihre zweite Tochter. „Aber irgendwann merkte ich, dass das Dasein als Hausfrau und Mutter mir nicht reichte.“ Mit viel Durchhaltevermögen nahm sie ihr Studium wieder auf und schrieb ihre Diplomarbeit über „Die neuere energiepolitische Diskussion der SPD zwischen sozial-liberalem Krisenmanagement und demokratisch-sozialistischer Politik“. Das Thema Energiepolitik sollte sich als Glücksgriff herausstellen, denn ihm verdankte Sabine von Oppeln später die spannendste Phase ihrer wissenschaftlichen Karriere. In ihrer Doktorarbeit verglich sie die Einstellung der linken Parteien PS und SPD in Frankreich und Deutschland zu den damals neuen sozialen Bewegungen am Beispiel der Kernenergie. Dafür führte sie mehr als 60 Interviews mit Anti-AKWKämpfern und Lokalpolitikern in Midi-Pyrénées, Aquitaine und Hessen – sowie mit Abgeordneten in Paris und Bonn. Mit ihrem Kleinwagen fuhr sie dafür über die Dörfer, mit vagen Empfehlungen für Gesprächspartner, auf dem Beifahrersitz ein Schweizer Käse und eine Tafel Schokolade. „Abenteuerlich. Aber damals bin ich wirklich in die Tiefen der französischen Politik eingedrungen.“ Dieses Verständnis sollte ihr helfen, als sie wieder zu Hause war. Bereits seit 1981 arbeitete sie als Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Professor Gerhard Kiersch am Otto-Suhr-Institut. Kiersch wollte Berliner Studierenden der Politikwissenschaften die Teilnahme an Kursen des renommierten Instituts für politische Studien Sciences Po Paris ermöglichen. 1982 fuhr er mit von Oppeln zum ersten Mal nach Paris, um die Möglichkeiten einer Kooperation auszuloten. Das war noch vor den ersten Erasmus-Programmen, lange vor der Bologna-Reform. Sie erinnert sich: „Heute hat die Sciences Po einen sehr hohen Anteil internationaler Studierender. Damals war sie absolut franco-français.“ Vom ersten Studierenden- Austausch 1984 bis zur endgültigen Etablierung eines gemeinsamen Studienganges von Freier Universität und Science Po vergingen sieben Jahre mit intensiven Verhandlungen. Mit vielen der ersten Studierenden ist von Oppeln noch heute befreundet. Über die Jahre baute sie das Studienangebot weiter aus. Heute sind die gemeinsamen Bachelor- und Masterstudiengänge Aushängeschilder der beiden Hochschulen. Eine Kooperation mit der École des Haute Etudes Commerciales de Paris (HEC) ist hinzugekommen. Mit ihrem Engagement hat Sabine von Oppeln Generationen von Studierenden ermöglicht, europäisch zu lernen und zu leben. Die Erfahrungen, die sie während ihrer Zeit an der Freien Universität gemacht hat, geben ihr auch in der derzeitigen Krise der EU Zuversicht. Sie konzentriere sich auf die Herausforderungen, die man meistern könne, sagt sie. „Ich wünsche mir, dass auch meine Kinder und Enkel noch von der Europäischen Union profitieren können. Aber man kann die EU nur erhalten, wenn man sie verändert.“