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„Im Sport entwickelt man Persönlichkeit“

Petra Niemann-Peter ist die erfolgreichste deutsche Seglerin, neben ihrer Sportkarriere absolvierte sie ein Pharmazie-Studium an der Freien Universität. Ein Gespräch über kleine Boote, große Ziele und ein bisschen Angst auf dem Ozean.

12.06.2019

Die ehemalige Studentin der Freien Universität. Petra Niemann-Peter, ist die erfolgreichste deutsche Segelerin. Sie nahm an drei Olympischen Spielen teil, die ersten waren in Sydney.

Die ehemalige Studentin der Freien Universität. Petra Niemann-Peter, ist die erfolgreichste deutsche Segelerin. Sie nahm an drei Olympischen Spielen teil, die ersten waren in Sydney.
Bildquelle: Heinrich Hecht

wir: Frau Niemann-Peter, Sie sind dreimal im Olympischen Wettkampf gesegelt: 2000 in Sydney, 2004 in Athen und 2008 in Peking. Welche Olympischen Spiele waren für Sie am schönsten?

Petra Niemann-Peter: Sydney, auf jeden Fall. Das ganze Land hat mitgefiebert. Oft finden die Segel-Wettkämpfe ja gar nicht in der Stadt der Olympischen Spiele statt, aber in Sydney waren wir mittendrin und das war gigantisch. Unsere Fahrt zur Wettkampfstrecke dauerte anderthalb Stunden, mit einer langen Fährfahrt unter der Harbour-Bridge hindurch, an der die olympischen Ringe hingen. Das war schon ein ganz besonderes Gefühl.

wir: War die Stimmung im olympischen Dorf so besonders, wie man immer hört?

Niemann-Peter: Wir waren wirklich eine große Familie. Beim Essen saßen wir alle in einer Riesenhalle und egal, welche Sportart man machte: Wir haben uns ganz schnell an den deutschen Tischen zusammengefunden. Einige kannte man auch aus dem Fernsehen, wie Franziska van Almsick.

wir: Bei den Olympischen Spielen sind ein gutes Drittel der deutschen Teilnehmerinnen und Teilnehmer Studierende. Haben Sie manchmal darüber gesprochen, wie sich Leistungssport und Studium vereinbaren lassen?

Niemann-Peter: Eigentlich nicht. Manche sind zwar an einer Universität eingeschrieben, konzentrieren sich aber voll auf den Sport. Andere sind auf Sporthochschulen. So ein anspruchsvolles Studium wie ich haben die wenigsten gemacht.

wir: Sie haben sich 1998 an der Freien Universität für Pharmazie eingeschrieben.

Niemann-Peter: Schon in der Schule interessierte mich, wie unser Körper funktioniert – und Medizin war mir zu „blutig“. Bei der Studienberatung haben sie sich sicher gewundert, dass ich nur eine einzige Frage gestellt habe: „Darf ich auch fehlen?“ Ich musste ja an mehrwöchigen Trainingslagern und Wettkämpfen im Ausland teilnehmen.

wir: Haben die Dozentinnen und Dozenten später ein Auge zugedrückt, weil Sie für Olympia trainierten?

Niemann-Peter: Mir liegt der ehrliche Weg. Irgendwie durchschummeln wollte ich mich nicht. Stattdessen habe ich mir überlegt, wie ich die Studienleistungen nachweisen kann, obwohl ich nur in bestimmten Wochen anwesend bin. Indem ich zum Beispiel verschiedene Arbeitsgruppen miteinander kombiniere. Die meisten Dozentinnen und Dozenten fanden es gut, dass ich nicht nur mit meinem Problem ankam, sondern auch gleich eine Lösung präsentierte. Das ist sicher etwas, das ich im Sport gelernt habe.

Die ehemalige Olympionikin Petra Niemann-Peter schaffte den Spagat zwischen Leistungssport und Pharmaziestudium.

Die ehemalige Olympionikin Petra Niemann-Peter schaffte den Spagat zwischen Leistungssport und Pharmaziestudium.
Bildquelle: Miriam Klingl

wir: Wie sah für Sie ein typischer Tag mit Leistungssport und Vollzeitstudium aus?

Niemann-Peter: Oft hatte ich gar keine Zeit für das Training. Im Pharmaziestudium hatten wir lange Tage, acht Stunden, wie ein richtiger Arbeitstag. Deshalb bin ich so schnell wie möglich mit dem Rad zur Uni gefahren, um mich dabei auszupowern. Während unseres Praktikums in der Apotheke bin ich in der Mittagspause nach Hause gefahren und habe eine Sporteinheit mit Liegestützen und Bauchmuskeltraining gemacht. Dann ging’s schnell unter die Dusche und wieder zur Arbeit.

"Während der Wettkämpfe war ich froh, wenn ich abends überhaupt nochmal die Nase in meine Bücher stecken konnte"

wir: Mussten Sie nicht auch Zeit für den Sport reservieren?

Niemann-Peter: Ungefähr die Hälfte des Semesters habe ich mich komplett auf das Segeln konzentriert. Meistens waren wir dann unterwegs, weil wir zu den Wettkampf-Orten fahren mussten. Und während der Wettkämpfe war ich froh, wenn ich abends überhaupt nochmal die Nase in meine Bücher stecken konnte. Im ersten Semester habe ich oft geheult, weil ich entweder nicht richtig trainieren konnte oder nicht richtig studieren.

wir: Wie haben Sie das in den Griff bekommen?

Niemann-Peter: Als ich mich für die Olympischen Spiele qualifiziert hatte, im Wintersemester 1999/2000, habe ich ein Urlaubssemester genommen, um mich voll auf den Sport zu konzentrieren. Nach den Olympischen Spielen habe ich mein Studium so organisiert, dass ich in beiden Bereichen Erfolge feiern konnte. Das ist wichtig, denn sonst lässt man es irgendwann sein. Aber es war schon schwierig. Vor Prüfungen habe ich meine Mitschriften durchgesehen: Das war zwar meine Schrift, aber ich hatte mitgeschrieben, ohne irgendwas zu verstehen. Und wenn mir andere ihre Unterlagen gaben, konnte ich gar nicht glauben, wie viel ich komplett verpasst hatte.

wir: Trotzdem haben Sie schon 2006 Ihr Studium beendet.

Niemann-Peter: Ich bin „Frau Ehrgeiz“, ich will immer in allen Bereichen das Beste leisten. Das ist auch heute noch so. Ich bin Unternehmerin und habe oft das Gefühl, gar nicht alles schaffen zu können, was ansteht. Ich habe zwei Kinder und beide segeln auch hier im Verein Seglerhaus am Wannsee. Mit einer Freundin organisiere ich ein sehr großes deutschlandweites Hallen-Hockeyturnier für Kinder. Dazu kommen noch einige Ehrenämter, unter anderem als erste Vorsitzende im Heinz Nixdorf Verein zur Förderung des Segelsports. Dieser Verein hat mich während meiner aktiven Zeit unterstützt, jetzt bin ich zur Funktionärin aufgestiegen.

wir: Heinz Nixdorf – ist das der Computer-Nixdorf ?

Niemann-Peter: Genau. Er hat sehr spät mit dem Segeln angefangen und wollte dann mit den Besten trainieren. Er hat also alle ins Trainingslager nach Mallorca eingeladen und für die Sieger der Trainingswettfahrten Aktien seiner Firma ausgelobt. Heinz Nixdorf war überzeugt, dass Leistung Perspektiven schafft. Wir versuchen, diesen Gedanken weiterzugeben. In unseren Seminaren zeigen wir jungen Seglerinnen und Seglern, dass es sich lohnt, parallel zum Studium Leistungssport zu machen. Im Sport entwickelt man Persönlichkeit. Man geht anders auf Menschen zu. Man lernt, sich Ziele zu setzen und sie auch einzuhalten.

„Bei den Berliner Hochschulmeisterschaften übernehmen mein Mann und ich seit vielen Jahren die Wettfahrtleitung.“

„Bei den Berliner Hochschulmeisterschaften übernehmen mein Mann und ich seit vielen Jahren die Wettfahrtleitung.“
Bildquelle: Miriam Klingl

wir: Früher hieß es: Sport bildet den Charakter.

Niemann-Peter: Das ist ganz wichtig – gerade in einem Alter, in dem Eltern den Jugendlichen sagen: „Du kannst doch nicht nur Sport machen. Mach was Vernünftiges!“

"Ich durfte nur segeln, wenn ich in der Schule gut war"

wir: Haben Sie das von Ihren Eltern auch gehört?

Niemann-Peter: Ich durfte nur segeln, wenn ich in der Schule gut war. Ich war gut, weil ich schon damals sehr diszipliniert war. Aber die Ansage war klar: Das Wichtige ist die Schule, nicht das Segeln.

wir: Wann haben Sie denn mit dem Segeln angefangen?

Niemann-Peter: Da muss ich sieben gewesen sein oder acht. Mein Bruder kam aus der Schule und erzählte, dass es eine Veranstaltung gibt, bei der Kinder alleine im Boot sitzen dürfen. Meine Eltern sind mit ihm hingegangen, und er hat dann angefangen zu segeln, auch hier im Verein Seglerhaus am Wannsee. Mich haben sie natürlich auch gefragt, aber ich fand das ziemlich doof. Ich kannte das von meinem Vater: Der war Freizeitsegler und ich saß immer vorne im Boot. Nicht so spannend.

wir: Warum haben Sie es sich dann doch anders überlegt?

Niemann-Peter: Weil mein Bruder direkt im ersten Jahr einen wunderschönen Pokal gewonnen hatte. Den fand ich so toll, dass ich unbedingt auch segeln wollte. Leider gab es diese Art von Pokal im Folgejahr nicht mehr. Ich habe im Laufe der Zeit aber noch sehr viele Pokale und Medaillen gewonnen.

wir: Sie wurden die beste deutsche Seglerin – was wichtig war, denn für Olympia konnte sich immer nur eine einzige Sportlerin qualifizieren.

Niemann-Peter: Segeln gilt als Mannschaftssport, aber innerhalb der Mannschaft gibt es je de Bootsklasse nur einmal. Weil meine Bootsklasse allein gesegelt wird, war es in der Vorbereitung für Olympia oft schwierig: Wir Seglerinnen brauchten einander in der Trainingsgruppe, wussten aber von Anfang an, dass nur eine von uns für das deutsche Team starten darf.

wir: In welcher Bootsklasse sind Sie gesegelt?

Niemann-Peter: Zweimal war ich mit der Europe bei Olympia. Danach wurde der Laser Radial für die Damen olympisch und die Europe aus dem Programm genommen. Beide Boote sind recht klein, die passen gerade noch auf ein Autodach. Sie wiegen 45 bis 60 Kilo, haben nur ein Segel und keinen Kiel, sondern nur ein Schwert. Das heißt, sie können schnell umkippen und kentern. Wenn ich schnell segeln will, muss ich also möglichst viel Wind auffangen. Der Wind drückt das Boot aber auch zur Seite – und das muss ich mit meinem Gewicht ausgleichen, indem ich mich mit dem Großteil meines Körpers auf der zum Wind geneigten Seite aus dem Boot hänge. In der Mitte des Bootes ist ein Gurt, an dem ich mich mit den Füßen festhalte, denn mit der einen Hand steuere ich das Boot und mit der anderen muss ich das Segel bedienen. Das ist körperlich sehr anspruchsvoll.

wir: Sie sitzen also in einem winzigen Hightech- Boot mitten auf dem Ozean.

Niemann-Peter: Nicht einmal Hightech. Der Laser ist ein sehr einfaches Boot, ursprünglich wurde er als Strandboot für Urlauber entwickelt. Als olympische Klassen sollten immer Boote gewählt werden, die weit verbreitet und nicht teuer sind, damit möglichst viele Länder teilnehmen können.

"Manchmal muss man seine Angst eben überwinden"

wir: Gab es jemals Situationen, in denen Sie Angst hatten, allein da draußen zu sein?

Niemann-Peter: Angst ist eine Empfindung, die man nicht einfach ausschalten kann. In Sydney zum Beispiel besteht der Hafen aus vielen verästelten Flüssen und einer Hafenausfahrt raus zum Ozean. Meistens habe ich mich dort gut gefühlt, aber an einem Tag gab es Riesenwellen. Ich weiß nicht, ob ich mehr Angst vor der Geschwindigkeit hatte oder weil die Wellen so groß waren. Mein Trainer hat dann gesagt: „Petra, du musst es nicht mögen, aber du musst es können.“ Manchmal muss man seine Angst eben überwinden.

wir: Das heißt, Sie mussten nicht nur körperlich fit sein, sondern auch mental. Und jeder, der mal mit einem Segelschein geliebäugelt hat, weiß, wie viel theoretisches Wissen dann noch hinzukommt.

Niemann-Peter: Da ist einerseits die ganze Segeltechnik für das Boot: Wie kann ich mein Boot schnell steuern? Das benötigt viel Übung. Dann ist Taktik wichtig. Die Bedingungen sind jeden Tag anders, der Untergrund beeinflusst die Strömung, der Wind kann sich drehen. Außerdem muss ich immer die gesamte Regattafläche im Auge behalten: Wo sind die anderen Boote? Das hat etwas von Schachspiel. Segeln ist sehr vielseitig und immer spannend.

wir: Beim Hochschulsport der Freien Universität kann man in den Sport hineinschnuppern und den Sportbootführerschein Binnen Segeln machen. Was ist für Anfänger das Schönste beim Segeln?

Niemann-Peter: Die Natur! Man spürt, wie abhängig man von den verschiedenen Elementen ist, vom Wind und vom Wasser, die einen vorantreiben. Das macht wahnsinnig viel Spaß. Bei den Berliner Hochschulmeisterschaften übernehmen mein Mann und ich übrigens schon seit vielen Jahren die Wettfahrtleitung. Für viele ist das etwas Besonderes, wenn der Wettkampf von einer ehemaligen Olympiateilnehmerin geleitet wird.

wir: Wann haben Sie Ihre Karriere als Seglerin beendet?

Niemann-Peter: Direkt nach den Olympischen Spielen in Peking 2008. Da war ich krank und deshalb nicht erfolgreich. In so einer Situation fragt man sich natürlich, ob man sich nochmal vier Jahre Vorbereitungszeit antun will. Irgendwann wollte ich auch eine Familie haben, da hat man als Frau ja nicht ewig Zeit. Als ich schließlich aufgehört hatte und im Winter mit einer Tasse Tee drinnen saß, anstatt zu trainieren, wusste ich, dass es eine gute Entscheidung war.

wir: Haben Sie dann als Apothekerin gearbeitet?

Niemann-Peter: Ja, in Moabit. Da sagte mir die Chefin allerdings gleich am Anfang: „Pass auf, hier ist fruchtbarer Boden.“ Ein gutes Jahr später habe ich geheiratet und wurde sofort schwanger, habe etwas später noch ein Kind bekommen und drei Jahre ausgesetzt. Aber heutzutage übt ja kaum jemand 40 Jahre lang den Beruf aus, den er gelernt hat. In der Elternzeit habe ich meinen Trainerschein gemacht. Und dann kam ein Angebot einer holländischen Firma, deren Segelbekleidung wir jetzt in Deutschland vertreiben. Meine Bekanntheit im Segeln hat mir so nochmal neue Möglichkeiten eröffnet. Ich war immer jemand, der sich Wege offengehalten hat und sich gut darauf einstellen konnte, wenn der Wind sich dreht.


Das Interview führte Stefanie Hardick