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„Ich hab‘ das große Glück, dass mir die Dinge, die ich mache, wirklich Spaß bereiten!

Sebastian Fitzek studierte Jura an der Freien Universität, heute ist er Bestseller-Autor. Ein Gespräch über Ängste, „Was-wäre-wenn-Fragen“ und die Universität als perfekten Thriller-Schauplatz.

27.11.2019

Sebastian Fitzek: „Ich möchte gerne verstehen, warum ein Gewalttäter handelt, wie er handelt. Warum wird jemand böse?“

Sebastian Fitzek: „Ich möchte gerne verstehen, warum ein Gewalttäter handelt, wie er handelt. Warum wird jemand böse?“
Bildquelle: H. Henkensiefken

wir: Herr Fitzek, literarisch lehren Sie Millionen Leserinnen und Lesern das Fürchten – sind Sie selbst ein ängstlicher Mensch?

Sebastian Fitzek: Ja, ich würde sogar behaupten, dass Thriller-Autoren wie ich richtige „Weicheier" sein können. Das muss auch so sein, denn wenn ich Ängste nicht nachempfinden könnte, könnte ich auch nicht über sie schreiben.

wir: Woher nehmen Sie die Ideen für Ihre Romane? Durchforsten Sie Polizeiberichte oder werden Sie von Mordfällen in den Medien inspiriert?

Sebastian Fitzek: Die meisten Ideen kommen mir im Alltag. Am Anfang steht eine „Was-wäre-wenn-Frage". Ein Beispiel: Ich stand an einer Kreuzung, neben mir hielt ein anderes Auto, auf dessen Rücksitz saß ein vielleicht dreijähriges Mädchen, das mich angelächelt hatte. Da dachte ich: „Was wäre jetzt eigentlich, wenn es ein älteres Kind wäre? Und es lächelt nicht, sondern weint und drückt einen Zettel an die Scheibe, auf dem ‚Hilfe‘ steht?" Und dann ist das Auto so schnell weg, dass ich mir das Nummernschild nicht merken kann. Was würde ich machen? Das ist für mich eine typische Thrillerfrage: „Wie würde ich als Otto Normalverbraucher reagieren, wenn ich auf einmal mit so einer intensiven Situation konfrontiert bin?"

wir: Sind sie dann sofort nach Hause gefahren und haben begonnen, die Idee als Buch umzusetzen?

Sebastian Fitzek: Nein, diese Idee hab‘ ich erstmal „geparkt", da kam ich erst später wieder drauf, während der Frankfurter Buchmesse am Stand von „Alfa-Selbsthilfe", dem Dachverband für Analphabeten. Beim Thema Analphabetismus dachte ich wieder an das Mädchen mit dem Zettel: „Was wäre, wenn auf dem Zettel des Kindes ‚Hilfe‘ gestanden hätte, und ich hätte das als Analphabet nicht lesen können? Was könnte ich in der Situation tun?" Damit war die Grundidee für meinen aktuellen Roman „Das Geschenk" geboren.

wir: Wann haben Sie gemerkt, dass Sie Talent fürs Schreiben haben?

Sebastian Fitzek: Ich hab‘ mal scherzhaft geschrieben, von dem Moment an, als ich in der Schule meine Entschuldigungszettel selbst schreiben konnte …

wir: Welche Ausreden haben Sie Ihren Lehrerinnen und Lehrern da aufgetischt?

Sebastian Fitzek: Ach, da habe ich schon mal von der kollabierten Tante berichtet, die ich schnell in die Notaufnahme bringen musste oder Ähnliches. Auf jeden Fall hatten die Entschuldigungen fast schon „Thriller-Momente".

wir: Und wann wussten Sie, dass Sie das Schreiben zu Ihrem Beruf machen wollten?

Sebastian Fitzek: Gar nicht mal unbedingt das Schreiben, aber während eines Praktikums beim Radio habe ich gemerkt, dass ich gerne Geschichten erzähle. Schreiben war mir da noch zu anstrengend. Ich wollte lieber eine gruselige Geschichte erzählen, vor allem um die Reaktionen meines Publikums mitzubekommen. Deswegen mag ich Lesungen auch unheimlich gerne, weil ich dort eine Reaktion auf das bekomme, was ich tue.

wir: Wer bekommt ein neues Skript von Ihnen zuerst zu lesen, Ihre Familie oder Ihr Freundeskreis?

Sebastian Fitzek: Das habe ich früher oft so gemacht, mittlerweile ist meine Lektorin immer die erste Leserin. Verwandte und Bekannte haben irgendwann gesagt, sie würden lieber bis zur letzten Fassung eines Textes warten. Zwischen der ersten und der dritten Version ändere sich noch so viel, dass sie sich wunderten, wie die Geschichte sich entwickelt habe. Außerdem wollten sie auch lieber ein gebundenes Buch in den Händen halten – und keine Loseblattsammlung.

wir: Gibt es denn ein Buch, das Sie selbst geprägt oder inspiriert hat?

Sebastian Fitzek: Rückblickend würde ich sagen, „Die unendliche Geschichte" von Michael Ende.

wir: Warum?

Sebastian Fitzek: Kein anderes Buch belegt für mich so sehr das Einstein-Zitat, dass die Fantasie mächtiger ist als das Wissen. Denn Wissen ist im Gegensatz zur Fantasie begrenzt. Michael Ende hat für mich die Welt der Fantasie aufgestoßen und das hat bei mir dazu geführt, dass ich selbst eigene Geschichten kreieren wollte.

wir: Ihre Geschichten handeln von Abgründen der menschlichen Seele, von Gewalt, Missbrauch, Mord. Gibt es ein Tabuthema, über das Sie niemals schreiben würden?

Sebastian Fitzek: Nein.

wir: Absolut keines?

Sebastian Fitzek: Ein Tabu wäre nur, wenn ich über etwas für mich völlig Irrelevantes schreibe, denn ein Thema muss für mich immer relevant sein, es muss eine persönliche Bedeutung haben. Wenn ich dabei Gewaltdarstellungen schildere, dann nur, wenn es für die Geschichte nötig ist. Ich ziele weniger auf den Effekt der Gewaltdarstellung ab, ich möchte gerne verstehen, warum ein Gewalttäter handelt, wie er handelt. Warum wird jemand böse? Dafür muss ich manchmal seine Tat schildern.

wir: Immer wieder stehen in Ihren Büchern Kinder und Eltern im Fokus. Sie selbst sind Vater von drei Kindern. Können Sie die grausamen fiktiven Geschichten von Ihrem persönlichen Leben trennen?

Sebastian Fitzek: Nein, ich kann es nicht trennen. Es geht in meinen Romanen oft um Eltern und Kinder, weil das Themen sind, die mir als Vater auf der Seele brennen. Es gibt aber nur zwei Möglichkeiten, mit „elterlichen" Ängsten umzugehen: Entweder wir verdrängen sie oder wir stellen uns. Verdrängung kann ein gesunder Schutzmechanismus sein, ich habe mich aber dagegen entschieden und stelle mich mit meinen Büchern den Ängsten und Sorgen, die ich als Familienvater habe. Ich verarbeite meine Ängste literarisch und lasse in meinen Romanen erfundene Figuren stellvertretend für mich Angst-Situationen durchleben.

wir: Therapieren Sie sich mit Ihren Büchern also selbst?

Sebastian Fitzek: Das habe ich früher gedacht, heute würde ich sagen, dass das zu weit greift. Meine Ängste sind nach dem Schreiben nicht ver-, sondern nur bearbeitet. Aber es gibt in der Psychotherapie eine anerkannte Therapieform, die sogenannte Schreibtherapie. Dort schreibt man sich die Sorgen von der Seele, und das hilft tatsächlich. Wenn man alles niederschreibt und damit die Angst „katalogisiert", ist sie damit zwar nicht aus der Welt, aber man grübelt nicht mehr, man hat sie sozusagen formatiert. So ist es auch mit einem Thriller. Man stellt sich während des Lesens seinen Ängsten in einem angstfreien Ambiente. Dann schließt man das Buch und stellt es mitsamt seinen Ängsten wieder ins Regal. Das ist ein kathartischer Vorgang.

wir: Was machen Sie, wenn Sie an einem Punkt in einer Geschichte nicht weiterkommen?

Sebastian Fitzek: Dann versuche ich mich abzulenken, ich schau mir einen Film an, lese ein anderes Buch, unternehme etwas mit meinen Kindern. Wenn das alles nichts hilft, gibt es wie beim Sport nur eins: Man muss sich motivieren. Wenn man den Sportkurs ein paar Mal sausen lässt, schafft man es irgendwann nicht mehr, den inneren Schweinehund zu überwinden. Für mich als Autor bedeutet das: weitermachen, weiterschreiben. Auch wenn ich dann manchmal der Meinung bin, dass ich grade den größten Murks schreibe.


Der Erfolgsautor

Sebastian Fitzek, 48, ist Deutschlands populärster Autor von Psychothrillern. Seine Bücher wurden bereits zehn Millionen Mal verkauft und in 24 Sprachen übersetzt. Der gebürtige Berliner studierte zunächst zwei Semester Veterinärmedizin an der Freien Universität, wechselte dann zur Rechtswissenschaft und promovierte später im Urheberrecht. Er arbeitete als Chefredakteur und Programmdirektor für verschiedene Radiostationen, bis er 2006 seinen Debütroman „Die Therapie" veröffentlichte.


Die meisten Ideen für meine Thriller kommen mir im Alltag, am Anfang steht immer eine „Was-wäre-wenn-Frage“.

Die meisten Ideen für meine Thriller kommen mir im Alltag, am Anfang steht immer eine „Was-wäre-wenn-Frage“.
Bildquelle: Gene Glover / Agentur Focus

wir: Den Roman „Abgeschnitten" haben Sie gemeinsam mit Michael Tsokos geschrieben, dem Direktor des Instituts für Rechtsmedizin der Charité. Wie ist es zu der Zusammenarbeit gekommen?

Sebastian Fitzek: Wir sind uns bei einer Talkshow begegnet, Michael Tsokos hatte dort sein Buch „Dem Tod auf der Spur" vorgestellt. Ein Jahr später haben wir uns bei der „Langen Nacht der Pathologie" wiedergesehen. Michael Tsokos hielt einen Vortrag als Rechtsmediziner, ich habe dort eine Lesung gehalten. Wir haben uns unterhalten und ich habe ihm gesagt, dass ich seine Arbeit spannend finde, und ihn gefragt, ob er schon einmal überlegt hat, sie in einem Roman zu verarbeiten. Michael Tsokos sagte Ja, erzählte mir die Grundidee seines Buchs – und wir haben sofort beschlossen, dass wir daraus etwas Gemeinsames machen. So ist das Buch entstanden.

wir: Ist Michael Tsokos denn heute auch noch Ihr Ansprechpartner bei rechtsmedizinischen Fragen?

Sebastian Fitzek: Ja, natürlich. Wenn ich zum Beispiel etwas über die Nachweisbarkeit von Giften oder zu Suizidmethoden wissen möchte, frage ich ihn.

wir: Sie haben sich selbst mal als faul bezeichnet. Wie passt das mit der hohen Frequenz zusammen, mit der Sie Bestseller veröffentlichen?

Sebastian Fitzek: Ich hab‘ das große Glück, dass mir die Dinge, die ich mache, wirklich Spaß bereiten. Aber ich muss mir sehr enge, machbare und ambitionierte Deadlines setzen – das habe ich schon während meines Jurastudiums gelernt. Und das führt bei mir zu einem hohen Output. Würde ich mir vornehmen, alle drei Jahre ein Buch zu schreiben, dann würde ich erst mal zweieinhalb Jahre gar nichts machen.

wir: Gibt es noch etwas anderes aus Ihrer Studienzeit, das Ihnen heute beim Schreiben hilft?

Sebastian Fitzek: Oh ja, sehr viel. Zunächst einmal habe ich das Recherchieren gelernt. Ein Jurist sucht ja immer nach Präzedenzfällen, die das belegen, was er behauptet. Er legt sich eine Geschichte zurecht, die er beweisen will. Und genauso ist es beim Schreiben. Ich habe eine Geschichte und überlege, ob sie so auch in der Rea Realität ablaufen könnte. Dann beginnt die Recher che, um das zu untermauern, was man sich theoretisch ausgedacht hat. Ich habe auch viel aus dem Zivil- oder Strafrecht mitgenommen, ich habe Fälle aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet, die Sicht des Täters eingenommen und die des Opfers – und geschaut, wie sich daraus ein anderer Blickwinkel ergibt. Das hilft mir beim Schreiben ungemein. Wie wäre das Kapitel, wenn ich es aus einer anderen Perspektive schildere? Verändert sich dadurch vielleicht sogar die Handlung? Wenn man so will, bin ich dem Strafrecht durch das Schreiben meiner Thriller ja treu geblieben. Ich muss die Psychopathen nur nicht wirklich verteidigen, ich kann sie fiktional erfinden und abstrafen.

wir: Könnten Sie sich vorstellen, einen Thriller an der Freien Universität spielen zu lassen?

Sebastian Fitzek: Natürlich, das ist sogar eine gute Idee – ich weiß gar nicht, warum ich da noch nicht draufgekommen bin. Die Uni ist ein Schmelztiegel, wo unterschiedliche Menschen aus verschiedenen Nationen aufeinandertreffen. Das ist für mich als Autor interessant. Während meiner Studienzeit in Dahlem habe ich auf jeden Fall einige Menschen kennengelernt, die mich zu aufregenden Geschichten inspiriert hätten.

wir: Mit „Fische, die auf Bäume klettern" haben Sie auch eine Art Lebens-Ratgeber für Ihre Kinder geschrieben. Haben Sie auch einen Rat, den Sie den heutigen Studentinnen und Studenten geben würden?

Sebastian Fitzek: Probiert euch aus! Findet heraus, was ihr wirklich wollt, auch wenn ihr dabei auf Widerstände stoßt. Nehmt euch die Freiheit heraus, das zu machen, was zu eurer Lebensplanung passt. Studiert nicht das, wovon andere glauben, dass es gut für euch sei – das Leben ist zu kurz, um es nach dem Plan anderer zu leben. wir: Wir danken für das Gespräch.

Das Interview führte Melanie Hansen