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Gedichte statt Masken

Katja Birmingham, ehemalige Studentin der Freien Universität, berichtete für das ZDF aus China und Russland, heute schreibt sie sehr persönliche Gedichte. Auf ihrer Lesereise haben wir uns mit ihr getroffen.

27.11.2019

Schon als Kind interessierte sich Katja Birmingham für China. In Leipzig, Berlin und Taiwan studierte sie schließlich auch Chinesisch.

Schon als Kind interessierte sich Katja Birmingham für China. In Leipzig, Berlin und Taiwan studierte sie schließlich auch Chinesisch.

Katja Birmingham chattet mit einer Freundin in China, die gerade ein Kind bekommen hat. „Ich freue mich sehr", will sie schreiben, tippt vier lateinische Buchstaben ins Smartphone – und schon bietet ihr das Telefon die gesuchten chinesischen Zeichen an. „Das ist Pinyin, chinesische Umschrift", erklärt sie. Dann ist sie bereit für das Interview in einem Café in der Schöneberger Maaßenstraße, im Nachbarraum zischt die Espressomaschine, vor ihr auf dem Tisch dampft der Chai.

Katja Birmingham hat schon als Teenager in Erfurt die ersten Brocken Mandarin gelernt, später in Taiwan studiert und dann für das ZDF aus China berichtet. Das Café in Schöneberg hat sie aber aus einem ganz anderen Grund ausgesucht: In diesem Kiez ersann sie einst Gedichte, als sie an der Freien Universität studierte. Nun ist ihre erste Gedichtsammlung „Maskenlos" erschienen, Katja Birmingham ist auf Lesereise – und sie ist begeistert: „Die Stimmung ist immer heiter, die Leute sind offen und interessiert, manche haben auch geweint", erzählt sie. „Ich habe das Gefühl, alle gehen total mit." Etwa 50 Leute kommen zu den Lesungen – ganz andere Dimensionen als damals vor Millionen Zuschauern beim „heute journal".

Literatur, Journalismus und China

Geboren 1978 in Erfurt als Katja Eichhorn, aufgewachsen in der 16. Etage eines Plattenbaus mit weitem Blick und „bei der Oma auf dem Dorf ", interessierte sie sich spätestens nach dem Fall der Mauer vor allem für drei Dinge: Literatur, Journalismus – und China. Kurz nach der Wende trat sie Erfurts erstem Kung-Fu-Verein bei. Angenehmer Nebeneffekt: Das Training fand immer abends statt. „Da konnte ich länger aufbleiben." Kung Fu eröffnete ihr eine neue Welt. Sie stürzte sich auf chinesische Geschichte, verschlang chinesische Romane, beschäftigte sich mit dem Buddhismus.

Als Schülerreporterin für die „Thüringer Allgemeine" stellte sie unter anderem einen Tai- Chi-Lehrer vor. Und sie wollte unbedingt Chinesisch lernen. „Ich habe die China-Restaurants in Erfurt abgeklappert", erzählt sie lachend. „Damals arbeiteten dort allerdings Vietnamesinnen und Vietnamesen." Schließlich stieß sie auf einen Deutschen, der eine Weile in China gelebt hatte und ihr die allerersten Grundlagen beibrachte.

Mit 16 nach China

Als sie 16 war, hatte die Familie genug Geld gespart für die erste große Reise – und die ging „auf meinen Wunsch" nach China. Sie besuchten Peking und die Chinesische Mauer, Luoyang mit dem berühmten Shaolin-Kloster, Shanghai, Xi’an, Nanjing und Hongkong. Die Reiseleiterin erzählte ihr, dass man „China studieren" kann. „Da war für mich klar: Das mache ich."

An der Universität Leipzig schrieb sie sich für Sinologie ein, lernte Mandarin und die chinesische Schrift. Nach dem Grundstudium bewarb sie sich um einen Studienplatz in China. Sie erhielt eine Zusage für ein DAAD-Stipendium an der Cheng Kung University in Tainan, der viertgrößten Stadt Taiwans. Eine gute Entscheidung: „In Festlandchina durften ausländische Studierende damals nicht einfach so mit Einheimischen in Kontakt treten – in Taiwan schon", erzählt sie. „Wir waren eine Gruppe von vielleicht fünf sichtbaren Ausländerinnen und Ausländern, mitten in der Gesellschaft."

Gleich im ersten Monat, im September 1999, erlebte sie mitten in der Nacht das schwere Jiji- Erdbeben mit. „Es war so heftig, dass ich zuerst nicht aus meinem Bett herauskam", erzählt sie. Erst fanden sie und ihre deutsche Mitbewohnerin die Situation noch lustig. Dann öffneten sie die Zimmertür ihrer taiwanesischen Kommilitonin – sie saß unter dem Tisch und schrie. „Dann sind wir rausgerannt."

Sie blieben unverletzt, doch das Erdbeben tötete 2.400 Menschen, warf Häuser um, zerstörte Tempel, beschädigte Staudämme. Trotz der Katastrophe blieb Katja Birmingham in Taiwan, studierte weiter Chinesisch und schloss sich sogar einem Trekkingverein an. „Für mich war das naheliegend", sagt sie: Fast alle Studierenden in Taiwan waren Mitglied in einem Verein, und sie selbst war schon als Jugendliche mit ihren Eltern in den Alpen und sogar im Himalaja gewesen.

Mit Macheten auf Wanderung

Die Berge in Taiwan waren wenig erschlossen, und es gab kaum Karten. Mit Macheten schlu gen sich die Wanderer den Weg frei, zum Schlafen mussten sie ebene Flächen suchen, um nicht bergab zu rollen. Die Erfahrungen am Berg verarbeitete Katja Birmingham später in ihrer Magisterarbeit.

Zurück in Deutschland setzte sie ihr Studium nicht in Leipzig fort, sondern an der Freien Universität. Neben Sinologie belegte sie nun auch Ethnologie, weil sie noch tiefer eintauchen wollte in die chinesische Kultur und das Alltagsleben. Professorin Mareile Flitsch, die heutige Direktorin des Völkerkundemuseums der Universität Zürich, bot beides an. Sie betreute auch Katja Birminghams Magisterarbeit. „Schreib doch über ein Thema, mit dem du dich schon auskennst", riet ihr die Professorin. „Es geht ja vor allem darum zu beweisen, dass du wissenschaftlich arbeiten kannst."

Und so ging sie mit einem DAAD-Forschungsstipendium noch einmal für drei Monate nach Taiwan, erklomm wieder Berge mit einem Trekkingverein und führte für ihre Magisterarbeit 25 Interviews auf Chinesisch, transkribierte, analysierte und las viel wissenschaftliche Literatur über das Bergsteigen. „Mir ging es vor allem um die soziale Organisation in einem Ausnahmezustand – und Bergsteigen ist definitiv ein Ausnahmezustand", sagt sie. „Denn daraus, wie sich ein kleiner Verein organisiert, kann man auf die Gesellschaft schließen." So lernte sie zum Beispiel viel über das taiwanesische Verständnis von Hierarchie und Verantwortung.

Als Korrespondentin berichtete Katja Birmingham für das ZDF vor allem aus China und Russland.

Als Korrespondentin berichtete Katja Birmingham für das ZDF vor allem aus China und Russland.
Bildquelle: privat

Volontariat beim ZDF

Nach dem Abschluss 2006 arbeitete sie kurz als Assistentin bei einem chinesischen Wirtschaftsverband in Deutschland – und fing dann ein Volontariat beim ZDF an. Dort hatte sie schon als Studentin zwei Praktika absolviert, beim „Morgenmagazin" und in der Erfurter Lokalredaktion. Kurz vor den Olympischen Spielen in Peking 2008 waren Chinesisch-Kenntnisse in vielen Redaktionen besonders gefragt, und so schickte das ZDF sie schon als Volontärin nach China – ausnahmsweise.

Anschließend arbeitete sie zunächst im Studio Berlin, dann noch einmal in Peking, dann als stellvertretende Leiterin im Studio Magdeburg, und 2012 wurde sie erstmals Korrespondentin – in Russland. Wieder ein anderes Land, eine andere Sprache? „Ich bin Ossi", sagt Katja Birmingham und grinst. „Russisch habe ich ab der dritten Klasse gelernt." Die folgenden zweieinhalb Jahre waren turbulent und manchmal auch gefährlich. Es war die Zeit des Maidan in Kiew, der russischen Besetzung der Krim, des Bürgerkriegs in der Ostukraine – aber auch der Olympischen Winterspiele in Sotschi. Sie arbeitete viel, bis zu 21 Wochen am Stück.

Einmal drehte sie auf der besetzten Krim einen Beitrag über die prorussische Sicht der Dinge – da rannte ein Lynchmob mit Baseballschlägern auf sie zu. Nur weil sie und ihr Team beruhigend auf Russisch auf die Menge einredeten, kam es nicht zu Gewalt.

Trotz solcher Situationen hatte sie bald das Gefühl, angekommen zu sein in Russland. „Ich fühlte mich wohl, hatte Freunde gefunden." Und dann bot das ZDF ihr an, als Korrespondentin nach Peking zu gehen. „Ich dachte: schon wieder wechseln?" erzählt sie. „Andererseits war das natürlich ein Traum für mich."

Und so tauchte sie ein in die Widersprüchlichkeiten des Wirtschaftsgiganten China, porträtierte Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter, die ihre Kinder bei den Großeltern auf dem Land zurückließen, erlebte den verschwenderischen Luxus chinesischer Hochzeiten, interviewte den Nobelpreisträger Liu Xiaobo in seinem Hausarrest und erlebte, wie Informantinnen und Informanten über Nacht vom Staatsschutz verschleppt wurden.

2018 kündigte Katja Birmingham beim ZDF. Sie habe „dort alles erreicht, was ich wollte", sagt sie. „Und ich habe weit mehr Kreativität in mir gespürt, als ich dort hätte ausleben können." Inzwischen hatte sie auch den „Mann meiner Träume" kennengelernt, einen Rettungspiloten. Sie zog zu ihm nach Gold Coast an die australische Ostküste, heiratete ihn und bekam einen Sohn, den sie liebevoll „den Lütten" nennt. Und sie tat, was sie schon immer tun wollte: Sie konzentrierte sich ganz aufs Schreiben.

Maskenlos

Der Titel ihres ersten Lyrikbandes „Maskenlos" ist durchaus programmatisch gemeint: „Wenn man im öffentlichen Leben steht, trägt man viele Masken: Komme ich gut rüber, sehe ich gut aus?", sagt sie. „Die Gedichte heilen mich und meine Leser und sollen dazu anregen, Masken fallen zu lassen." Und das ist ihr im Moment wichtiger, als von den Gedichten leben zu können.

Das zweite Buch „Nur einen Gedanken entfernt" ist aber schon druckreif. Es ist geprägt von der Idee, dass viele Menschen vieles anders machen würden, „wenn nur dieser eine Gedanken nicht wäre, der sie zurückhält". Die Bergsteigerin, Reporterin und Dichterin Katja Birmingham, so scheint es, hat solche Gedanken immer im richtigen Moment verworfen.