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Vom Dorf in die Welt

Nicole Kranz bringt bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit weltweit Klimaschutz-Projekte in Gang. Um für die Politikberatung fit zu sein, promovierte sie in Politikwissenschaft am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität

20.08.2020

Klimadiplomatin Nicole Kranz: „Ich bin geprägt durch meine Kindheit in den 1980er-Jahren, durch die Umweltprobleme, durch Tschernobyl.“

Klimadiplomatin Nicole Kranz: „Ich bin geprägt durch meine Kindheit in den 1980er-Jahren, durch die Umweltprobleme, durch Tschernobyl.“
Bildquelle: Miriam Klingl

wir: Frau Kranz, Sie leiten bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit das Vorhaben „Strategische Partnerschaften für die Umsetzung des Pariser Klimaschutzabkommens“. Wie sieht Ihre Arbeit für den Klimaschutz aus?

Nicole Kranz: Ich arbeite in einem kleinen, internationalen Team in Brüssel, mit weiteren Teammitgliedern in Bonn, Berlin, Mexico City, Delhi, Peking, Jakarta, Pretoria und Brasilia. Ich würde uns „die Möglichmacher“ nennen.

wir: Was machen Sie möglich?

Nicole Kranz: Im Auftrag der Europäischen Union und des Bundesumweltministeriums stärken wir die europäische Klimadiplomatie, indem wir Akteurinnen und Akteure aus der EU und den G20-Ländern für Klimaschutzprojekte zusammenbringen. Die Themen sind unterschiedlich: Mal möchten sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der EU mit japanischen und australischen Forscherinnen und Forschern über Strategien austauschen, mit denen sich andere Staaten an den Klimawandel anpassen, um voneinander zu lernen und nationale Herangehensweisen zu verbessern – ein anderes Mal geht es um die Vernetzung von Expertinnen und Experten, die die Emissionen von Treibhausgasen überwachen. Das Pariser Abkommen sieht vor, dass die Staaten langfristige Klimaschutzstrategien vorlegen. Unser Projekt kann die Strategiebildung in verschiedenen Ländern unterstützen, indem es den Wissensaustausch weltweit fördert und Projektmittel bereitstellt. Daneben unterstützen wir auch Verbindungen und den Austausch von Unternehmensnetzwerken und Nichtregierungsorganisationen.

wir: Es geht also darum, Klimaschutz auf globaler Ebene in Gang zu bringen?

Nicole Kranz: Zurzeit unterstützen wir rund 80 Projekte in 15 Ländern. Wir arbeiten mit den Ländern zusammen, die im Klimaschutz jetzt vorangehen müssen, damit das Pariser Abkommen umgesetzt wird. Dabei bauen wir auf die Stärken der EU, helfen beim Austausch zu Best-Practice- Ansätzen und finanzieren den Austausch von Wissen und den Aufbau von Kapazitäten. Es ist ein breites Spektrum: von Austauschformaten für proaktive Städte und Bundesstaaten in den USA bis hin zu Workshops zu Klimafinanzierung in Südafrika oder Japan, von Fachvorträgen europäischer Expertinnen und Experten zu erneuerbaren Energien und Energieeffizienz in Südkorea bis hin zur Konferenz zu Klima und Handel mit Kanada.

wir: Wie groß ist das Interesse an solchen Projekten?

Nicole Kranz: Die Aufmerksamkeit für Klimathemen ist sehr hoch. In der Öffentlichkeit hat sich das Thema durch Fridays for Future verstetigt. Die EU möchte in der Klimapolitik Vorreiterin sein und Europa mit dem Green Deal zum ersten klimaneutralen Kontinent machen. Das gibt Hoffnung, aber es ist auch tragisch: Die Aufmerksamkeit ist heute deshalb so hoch, weil wir die Auswirkungen des Klimawandels spüren. Die heutigen Maßnahmen hätten wir auch schon vor zwanzig Jahren umsetzen können. Es tauchen auch immer neue Hindernisse auf: Der Rückzug der USA vom Pariser Klimaschutzabkommen ist hier nur eine, wenn vielleicht auch die schwerwiegendste Ausprägung.

„Die Aufmerksamkeit für Klimathemen ist heute so hoch, weil wir die Auswirkungen des Klimawandels spüren.“

„Die Aufmerksamkeit für Klimathemen ist heute so hoch, weil wir die Auswirkungen des Klimawandels spüren.“
Bildquelle: Miriam Klingl

wir: Dass der Weltklimavertrag 2015 überhaupt zustande kam, haben einige „das Wunder von Paris“ genannt: 195 Staaten einigten sich darauf, die globale Erwärmung auf 2 Grad Celsius zu begrenzen. Wieviel bleibt von diesem Wunder übrig, wenn man die notwendigen Klimaschutzprojekte dann tatsächlich anpacken will?

Nicole Kranz: Wir brauchen einen langen Atem. Klimadiplomatie ist sehr anspruchsvoll, weil man Ansprüche an die Wirtschaftspolitik anmeldet und viele andere Politikbereiche berührt. Die Umsetzung von Klimapolitik ist eine weitere Herausforderung. Doch die großen Volkswirtschaften müssen mitziehen. Mit dem Projekt können wir dazu beitragen, dass das „Paris-Narrativ“ weiterlebt und das Abkommen umgesetzt wird. Wir bringen die nötige Erfahrung mit, um Projekte zum Beispiel mit chinesischen, saudiarabischen oder iranischen Partnern in Gang zu bringen. Die haben oft strikte Vorgaben ihrer Regierungen, die kaum Verhandlungsspielraum lassen. Wir überlegen uns maßgeschneidert für jedes Land, wie wir in ganz kleinen Schritten vorwärtskommen.

wir: Apropos erste Schritte: In der Politikberatung sind Sie eine Quereinsteigerin. Wie kam es dazu?

Nicole Kranz: Ich habe zunächst in Braunschweig Geoökologie studiert. Weil ich immer Interesse an Sprachen hatte und neugierig auf die Welt war, bin ich danach mit einem Stipendium in die USA gegangen und habe meinen Master of Environmental Science and Management in Santa Barbara, Kalifornien, gemacht. Das hat mich damals, mit Anfang Zwanzig, sehr geprägt.

wir: Inwiefern?

Nicole Kranz: Ich kam aus dem forschungsbezogenen deutschen Unisystem und hatte mir bis dahin vorgestellt, dass ich später irgendwie im Labor vor mich hinforsche. Aber in Santa Barbara wurden wir schon an der Universität aufgefordert, unsere Ergebnisse zu kommunizieren und sie der Öffentlichkeit und Politik zu erklären. Auch die amerikanische Herangehensweise an Umweltthemen hat mich beeindruckt.

wir: Was ist in den USA noch anders als in Deutschland, wenn es um Umweltthemen geht?

Nicole Kranz: In den USA wurde damals bereits jedem Ökosystem ein finanzieller Wert zugemessen. Das bedeutet: Ich kann messen, wie viel ich in den Schutz investieren kann, und Unternehmen zeigen, dass es sich rechnet. Ich stimme mit diesem Ansatz nicht voll überein – denn was passiert, wenn der Wert eines Ökosystems noch unbekannt ist? Dann gilt es womöglich als wertlos. Aber so ist es möglich, pragmatischer an Umweltfragen heranzugehen.

wir: Einige Umweltschützer würden vielleicht gar nicht auf Unternehmen zugehen.

Nicole Kranz: Da bin ich geprägt durch meine Kindheit in den 1980er-Jahren, durch die Umweltprobleme, durch Tschernobyl. Mein Anspruch war: Ich muss Umweltprobleme selbst angehen, mich fragen: Wer sind die schlimmsten Verursacher? Man kann Missstände anprangern und dagegen protestieren. Das ist aber nicht mein Naturell. Ich suche den Kompromiss und versuche, gemeinsam weiterzukommen.

wir: Wo sind Sie denn aufgewachsen, in den 1980ern?

Nicole Kranz: Ich komme aus einem winzigen Ort in Niedersachsen, Warfleth. Meine Großeltern hatten da einen landwirtschaftlichen Betrieb. Ich bin also auf dem Bauernhof aufgewachsen.

wir: Hatte Ihre Entscheidung, sich für die Umwelt einzusetzen, damit zu tun?

Nicole Kranz: Im Nachhinein erscheint mir das naheliegend. Ich habe mitbekommen, wie mein Großvater gewirtschaftet hat mit dem, was die Felder hergaben. Meine Familie hat Rinder gehalten und das Futter selbst produziert, die Tiere also auch auf der Weide gehabt. Warfleth ist Sturmflutgebiet: Die Bauernhäuser stehen geschützt vor der Flut auf Warften und hinten im Feld liegen die Fleete zur Entwässerung. Wenn die nicht gepflegt werden, gibt es im schlimmsten Fall eine Überschwemmung. Mein Großvater war deshalb im Entwässerungsverband engagiert. Das war ganz selbstverständlich: Man kann sich nicht nur um den eigenen Kram kümmern. Erst viel später, als ich in der Politikberatung mit der europäischen Wasserrahmenrichtlinie zu tun hatte, wurde mir klar: Was heute Stakeholder- Beteiligung und Partizipation heißt, haben die Bauern ganz traditionell im Entwässerungsverband gemacht.

wir: Hat Ihnen dieses Wissen bei der Arbeit geholfen?

Nicole Kranz: Ich glaube ja. Ich habe für meine Doktorarbeit in Südafrika viele Menschen in Gegenden interviewt, in die man als Tourist nicht unbedingt reisen würde. Ich habe dort mit Bergbauunternehmern gesprochen, mit den Arbeitern, mit benachteiligten Gruppen. Und oft habe ich gemerkt, dass ich mit den Menschen dort irgendwie auf einer Wellenlänge bin: dieses norddeutsche Handfeste, das Vom-Dorf-Kommen. Ich habe das nicht vor mir hergetragen, aber meine Gesprächspartner merkten wahrscheinlich, dass es mir sympathisch war, wie sie auf dem Land ihr Leben bestreiten.

„In Berlin versuche ich, so nachhaltig wie möglich zu leben: CO2 kompensieren, im Biomarkt einkaufen.“

„In Berlin versuche ich, so nachhaltig wie möglich zu leben: CO2 kompensieren, im Biomarkt einkaufen.“
Bildquelle: Miriam Klingl

wir: Hat das auch Ihren persönlichen Umgang mit Nachhaltigkeit geprägt?

Nicole Kranz: In Südafrika brauchte ich leider ein Auto. Aber in Berlin versuche ich, so nachhaltig wie möglich zu leben: CO2 kompensieren, im Biomarkt einkaufen, ohne Auto auskommen. Wir passen ganz gut in die „Kreuzbergblase“. Vegetarierin bin ich allerdings schon mit Sechszehn geworden. Auf dem Bauernhof haben wir das Fleisch von unseren eigenen Rindern gegessen, und später war es mir immer dubios, Fleisch irgendwo zu kaufen. Ich bin aber keine ökologische Hardlinerin. Vor allem bei Flugreisen habe ich eine schlechte Bilanz. Das bringt ein Leben im Ausland leider mit sich. Und gerade in der Klimapolitik bin ich vor Corona leider ständig zu Konferenzen gereist – vielleicht bringt die Pandemie hier eine positive Veränderung.

wir: Sie waren im Ausland, hatten schon zwei Abschlüsse in Umweltwissenschaften in der Tasche. Warum haben Sie sich dann entschieden, noch eine politikwissenschaftliche Doktorarbeit zu schreiben?

Nicole Kranz: Nach dem Studium habe ich für das Ecologic Institut gearbeitet, einem Think Tank für angewandte Umweltforschung und Politikberatung. Das war viel „learning by doing“, aber ich wollte meinen Blickwinkel erweitern. Am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität gab es damals den Sonderforschungsbereich „Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit“. Wir waren interdisziplinär zusammengesetzt: Rechtswissenschaft, Politikwissenschaft, Sozialwissenschaften, deshalb habe ich mich als Umweltwissenschaftlerin sehr gut aufgehoben gefühlt. Außerdem hat es mich gereizt, dort zu promovieren, weil sich die Projekte mit Südafrika beschäftigten und ich so eine weitere Region kennenlernte konnte. Später konnte ich für das International Water Stewardship Programme, eine von Deutschland und Großbritannien geförderte Initiative, sogar nochmal wiederkommen und mit meinen Interviewpartnern und -partnerinnen aus der Promotionszeit einige Projekte zum nachhaltigen Management von Wasserressourcen anstoßen. Wir haben zum Beispiel ein Netzwerk aufgebaut, das die ganzheitliche Bewirtschaftung eines Flusses in der südafrikanischen Provinz KwaZulu-Natal unterstützt, von der Holzindustrie im Oberlauf bis zu den Nutzerinnen und Nutzern im Hafengebiet an der Mündung. Dabei saßen Wassermanagementbehörden, lokale Gemeinden sowie nationale und internationale Umweltschutzorganisationen mit am Tisch.

wir: Sie haben vor kurzem ein Kind bekommen, sind jetzt in Elternzeit. Hat das Ihren Blick auf Ihre Arbeit verändert?

Nicole Kranz: Bevor ich meinen Sohn bekommen habe, war ich eher intrinsisch motiviert: Es gehört sich ganz einfach nicht, Ökosysteme und Habitate zu zerstören. Wir sollten die Erde so hinterlassen, dass andere auf ihr leben können. Als Mutter habe ich jetzt einen lieben Menschen, der das Jahr 2050 erleben wird, vielleicht sogar 2100. Ich kenne die Projektionen zu den Auswirkungen unserer Klimapolitik für diese Zeiträume und denke dann: Oh Hilfe, das wird schlimm! Ich hätte nicht gedacht, dass ich mal Greta Thunberg zitiere, aber wenn sie davon spricht, dass junge Menschen Panik spüren – das kann ich jetzt viel besser nachempfinden.  

Das Interview führte Stefanie Hardick