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„Ich hatte Nachhaltigkeit gar nicht auf meinem Radar“

Dirk Messner studierte, promovierte und habilitierte sich am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin. Seit dem 1. Januar ist er Präsident des Umweltbundesamtes.

20.08.2020

1700 Menschen arbeiten für das Bundesumweltamt und beraten Politik und Wirtschaft. Ihr Chef: Dirk Messner, Alumnus der Freien Universität.

1700 Menschen arbeiten für das Bundesumweltamt und beraten Politik und Wirtschaft. Ihr Chef: Dirk Messner, Alumnus der Freien Universität.
Bildquelle: Miriam Klingl

Seit Anfang des Jahres ist Dirk Messner Präsident des Umweltbundesamtes (UBA). Die Pressemitteilungen aus diesen sieben Monaten zeigen, auf was für einem Tanker er Kapitän geworden ist: Das UBA vermeldet Neuigkeiten zum Tempolimit und zur Verkehrswende, zur Qualität des Badewassers, zu Asbest in Gebäuden, zu Treibhausgasen und zur Klimapolitik, zu Bisphenol in Kassenzetteln, zu erneuerbaren Energien, zu Biotonnen, zum Corona-Konjunkturpaket. Zwischendurch dann noch die Wahl für den Gewässertyp des Jahres: Es ist der steinige, kalkhaltige Mittelgebirgsbach. Eine Auswertung von 130 internationalen Studien zu Green-Recovery-Strategien zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Corona- Krise ist in Vorbereitung, ebenso Studien zu Künstlicher Intelligenz zur Bekämpfung globalen Umweltwandels.

Wie oft kommt es eigentlich vor, dass der Präsident denkt: „Ach, das machen wir auch?“ „Jeden Tag.“ Dirk Messner lacht. Überhaupt lacht er viel während des Gesprächs – und oft über sich selbst, eine Fähigkeit, die beim Aufstieg auf der Karriereleiter leider oft auf der Strecke bleibt. Aber Messner merkt man an, dass er gern mit Menschen redet. Und dass er verstanden werden möchte. Sobald es kompliziert wird, webt er zwei, drei Erklärungssätze ein – so selbstverständlich, dass seine Gesprächspartner gar nicht merken, dass sie ansonsten auf dem Schlauch gestanden hätten. Vielleicht kann Dirk Messner das so gut, weil er reflektiert, wann er selbst auf dem Schlauch steht. Zuletzt war das bei einer Studie zur Innenraumluft so. „Klar, reden wir viel über Luftverschmutzung, Abgase, Stickstoffdioxid. Aber Innenraumluft, was ist jetzt das?“ Messner ließ sich dann von der zuständigen Kollegin aufklären: Im Schnitt verbringen Menschen 70 Prozent ihrer Zeit drinnen. Deshalb ist es wichtig, dass die Fußböden und Wände, Möbel und Elektrogeräte keine Schadstoffe ausdünsten – Umweltschutz als Gesundheitspolitik.

Das Umweltbundesamt wirkt in alle Lebensbereiche hinein

1.700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat das Umweltbundesamt. Sie betreiben anwendungsorientierte Forschung. Sie beraten die Politik. Sie kommunizieren mit der Wirtschaft, der Wissenschaft, der Öffentlichkeit. Und sie setzen Umweltpolitik direkt um, indem sie zum Beispiel untersuchen, wie neue Pflanzenschutzmittel auf Natur und Mensch wirken und die Zulassung empfehlen oder verweigern. In Deutschland gibt es mittlerweile kaum noch einen Lebensbereich, für den das UBA keine Rolle spielt. „Früher war Umweltpolitik ein Randthema, aber mittlerweile ist Nachhaltigkeitspolitik zum Orientierungspunkt für gesellschaftliche Modernisierung geworden: Energiewende, Klimawandel, Kreislaufwirtschaft, Verkehrswende und Zukunft der Städte, Landwirtschaftswende, all diese Themen, zu denen wir seit 30 Jahren forschen“, sagt Messner. Es sei diese gewachsene Verantwortung, die es für ihn attraktiv gemacht habe, Präsident des Umweltbundesamtes zu werden. „Jetzt ist der Zeitpunkt, an dem wir wirklich etwas verändern können. Und das UBA ist in der Position, für diese Veränderungsprozesse zu forschen, sie politisch mitzugestalten und dabei ein ehrlicher Makler für die Bürgerinnen und Bürger zu sein.“

Die größte Umweltbehörde Europas und die drittgrößte der Welt

Auch international hat das Umweltbundesamt Gewicht. Es ist die größte Umweltbehörde Europas und die drittgrößte der Welt, hinter den USA und China. Messner sagt: „Die amerikanische Environmental Protection Agency ist wegen des jetzigen US-Präsidenten auf Null gesetzt, die chinesischen Kolleginnen und Kollegen vertreten ein autoritäres Projekt. Als deutsche Institution haben wir einen guten Ruf und können in den internationalen Debatten Standards setzen.“ Internationale Fragen haben den 58-Jährigen schon als Schüler interessiert. In seiner Heimat, der ostwestfälischen Kleinstadt Bünde, war er bei Amnesty International und in der Friedensbewegung engagiert. Eigentlich wollte er Journalist werden, zum Studium nach Heidelberg oder Tübingen ziehen. Doch dann gab ihm sein Geschichtslehrer den Tipp, stattdessen nach Berlin zu gehen; das sei eine größere Herausforderung. 

Am Otto-Suhr-Institut war ich plötzlich unter Leuten mit ähnlichen Hinter gründen: lese- und lerneifrigen jungen Leuten, die verstehen wollten, wie Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, das internationale System funktionieren.

Am Otto-Suhr-Institut war ich plötzlich unter Leuten mit ähnlichen Hinter gründen: lese- und lerneifrigen jungen Leuten, die verstehen wollten, wie Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, das internationale System funktionieren.
Bildquelle: Miriam Klingl

Mit Gesine Schwan geriet er aneinander

Er sollte recht behalten. „In meiner Schule hatte ich meine Rolle gefunden, da war ich Stufensprecher, Schülersprecher, wir hatten eine freche Schülerzeitung gegründet“, erinnert sich Messner. „Am Otto-Suhr-Institut war ich plötzlich unter Leuten mit ähnlichen Hintergründen: lese- und lerneifrigen jungen Leuten, die verstehen wollten, wie Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, das internationale System funktionieren und die in ihren Städten politisch engagiert waren. Das war eine ganz andere Liga.“

Seine Zeit an der Freien Universität hat er in bester Erinnerung: „Die Uni hat mir neue Horizonte eröffnet. Vor allem der Politikwissenschaftler Elmar Altvater hatte eine sehr globale Perspektive auf wirtschaftliche und politische Prozesse. Wir hatten wunderbare Diskussionen, sehr anspruchsvolle Seminare, die haben mir eine Reflexion mit hoher Tiefenschärfe eröffnet.“ Messner ging auch auf Demos, engagierte sich für Menschenrechte und für mehr Gerechtigkeit zwischen den sogenannten Industrieländern und dem Globalen Süden.

Mit Gesine Schwan, damals Professorin für Politische Theorie und Philosophie, geriet er zuweilen auch aneinander. „Wir jungen Studentinnen und Studenten waren viel rebellischer, als sie das zulassen wollte.“ Heute seien sie sehr gut befreundet: „Eine wunderbare öffentliche Intellektuelle.“ Auch mit anderen, mittlerweile verstorbenen Dozenten wie Elmar Altvater oder Leopoldo Mármora vom Lateinamerika-Institut pflegte Messner nach seinem Studium jahrelange Freundschaften. Lateinamerika hatte es Messner angetan. Er ging einige Zeit nach Nicaragua, half im damaligen Bürgerkriegsland beim Bau von Häusern, lernte fließend Spanisch, obwohl er kein Sprachgenie ist, wie er sagt. „Das ist sehr schade, weil ich so stark an internationalen Fragen interessiert bin. Aber mich kostet es mehr Kraft, Sprachen zu lernen, als mir irgendwelche Theorien anzueignen.“

Nur bruchstückhaft ist deshalb sein Koreanisch geblieben, obwohl er die letzten Monate seines Studiums mit einem Stipendium der Freien Universität an der Sogang University in Seoul verbringen konnte. „Asiatische Staaten legten damals in der Weltwirtschaft einen aufsehenerregenden Aufstieg hin. Gleichzeitig steckten die Länder Lateinamerikas in einer heillosen und endlosen Verschuldungskrise. Mich hat interessiert, wie das zusammenhängt.“

"Wie können menschliche und wirtschaftliche Entwicklung vorangebracht werden?"

Wie Wettbewerbsfähigkeit und Innovation gesteuert werden können, untersuchte Messner dann auch in seiner Doktorarbeit, die er 1995 in einem Doktoranden-Cluster in Zusammenarbeit mit der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik schrieb. Anschließend wurde er wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Entwicklung und Frieden der Universität Duisburg-Essen. „Da war ich 33 und fand es herausfordernd, mal zu versuchen, ob ich irgendetwas leiten kann“, sagt er. Zeitgleich verfasste er seine Habilitationsschrift an der Freien Universität, wo er auch als Privatdozent lehrte. Messner sagt: „Schon am Otto-Suhr-Institut haben mich zwei große Fragen interessiert: Erstens Wohlfahrt und Wohlstand: Wie können menschliche und wirtschaftliche Entwicklung vorangebracht werden? Zweitens Global Governance: Wie fördert man internationale Zusammenarbeit für mehr Gerechtigkeit?“

2003 übernahm Messner die Leitung des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik, wenig später wurde er als Experte für Global Governance in den Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen berufen – 16 Jahre war er Mitglied des einflussreichen Beratergremiums, acht Jahre dessen Co-Vorsitzender. „Erst dort, durch die enge Zusammenarbeit mit Naturwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern, habe ich Erdsystemfragen und Klimafragen verstanden. Vorher hatte ich Nachhaltigkeit gar nicht auf meinem Radar.“ Seitdem treibt ihn die dritte große Frage um: Wie ist nachhaltige Entwicklung möglich, ohne das Erdsystem zu destabilisieren?

Die Souvenirs in seinem Büro zeugen von den vielen Reisen, die Dirk Messner unternommen hat.

Die Souvenirs in seinem Büro zeugen von den vielen Reisen, die Dirk Messner unternommen hat.
Bildquelle: Miriam Klingl

 „Ich forsche gern und publiziere viel. Das ist Teil meiner Identität"

Als Direktor des Institute for Environment and Human Security in Bonn und Vizerektor der Universität der Vereinten Nationen, seiner letzten Station vor dem UBA, organisierte Dirk Messner internationale Forschung zu diesem Thema. Und auch in seiner neuen Position fühlt er sich der Wissenschaft verpflichtet: „Ich forsche gern und publiziere viel. Das ist Teil meiner Identität, und aus dieser Perspektive möchte ich auch das UBA leiten.“ Er möchte die „große Transformation zur Nachhaltigkeit“ mit anstoßen. „Kleine Schritte im Umweltschutz reichen nicht mehr, sie werden durch Wachstum überkompensiert.“

In der Corona-Krise sehe er bereits positive Veränderungen, sagt Messner: „In der Finanzmarktkrise 2008/2009 ging es nur um Impulse für die Wirtschaft. Grüne Reformen schienen zu teuer. Das ist jetzt anders.“ Ein Problem erlebe er dennoch in vielen Gesprächen: Politikerinnen und Politiker sagen ihm, wenn sie die nötigen Reformen durchzögen, würden sie nicht wiedergewählt. Und die Bürgerinnen und Bürger sagen ihm, alle Umstellungen im Privaten seien sinnlos, wenn sich Politik und Wirtschaft nicht bewegten. „Gegenseitigen Eskapismus“ nennt Messner das und appelliert: „Wir müssen aufhören, mit dem Finger auf den jeweils anderen zu zeigen. Wir brauchen einen gesamtgesellschaftlichen Konsens, bei dem alle Verantwortung übernehmen.“