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Die Start-up-Uni

Die Freie Universität fördert Unternehmensgründungen seit 15 Jahren. Was mit einer Handvoll Start-ups begann, ist zu einer pulsierenden Gründungsszene gewachsen.

16.07.2021

Das studentische Gründungsteam „Kunstgeier“: Simon Sasse, Viktoriia Lobova, Sarah Cicek und Aria Sabouri (v.l.n.r.). Sie wollen Galeriebesuche auch online erlebbar machen.

Das studentische Gründungsteam „Kunstgeier“: Simon Sasse, Viktoriia Lobova, Sarah Cicek und Aria Sabouri (v.l.n.r.). Sie wollen Galeriebesuche auch online erlebbar machen.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

„Große, kräftige Männer waren das, alle Ruderer. Die wollten anfangs gar kein Unternehmen gründen, sondern das Ding für sich selbst bauen“, erinnert sich Steffen Terberl an seine erste Begegnung mit den Gründern von „Augletics“. Terberl leitet Profund Innovation, die Service-Einrichtung die Unternehmensgründungen von Studierenden, Forschenden und Ehemaligen der Freien Universität fördert. „Augletics“ ist inzwischen aus der Universität heraus zum mittelständischen Unternehmen gewachsen. „Das Ding“, wie es Terberl augenzwinkernd nennt, heißt heute „Augletics Eight“ und ist ein smartes Rudergerät. Mit Sensoren und Software analysiert das Gerät die Rudertechnik seiner Nutzerinnen und Nutzer und macht per Bildschirm Verbesserungsvorschläge. „Augletics“-Geräte stehen heute in zahlreichen Rudervereinen und Fitnessstudios – darunter auch im KRAFTCLUB der Freien Universität, dem die Ernst-Reuter-Gesellschaft 2017 zwei der Geräte gestiftet hat. Seit Fitnessstudios in der Coronakrise schließen mussten, verkauft „Augletics“ seine Geräte zunehmend auch erfolgreich fürs Heimtraining.

Flavio Holstein ist einer der vier Mitbegründer des Rudergeräteherstellers „Augletics“. Das Studium der Informatik half bei der Entwicklung des Rudergeräts, Profund Innovation bei der Umsetzung der Geschäftsidee.

Flavio Holstein ist einer der vier Mitbegründer des Rudergeräteherstellers „Augletics“. Das Studium der Informatik half bei der Entwicklung des Rudergeräts, Profund Innovation bei der Umsetzung der Geschäftsidee.
Bildquelle: Augletics

Drei Ruderer räumen ab

Begonnen hat die Erfolgsgeschichte von „Augletics“ mit dem Sieg bei der „Research to Market Challenge“, einem Ideen-Wettbewerb von Freier Universität, Humboldt-Universität, Technischer Universität und der Charité – Universitätsmedizin Berlin. „Der Wettbewerb richtet sich an Teams von Forschenden, die eine erste Idee zur Verwertung ihrer Erkenntnisse haben“, erklärt Terberl.

„Unsere 2000 Euro Preisgeld konnten wir gut gebrauchen für die ersten Prototypen“, erinnert sich Flavio Holstein, einer von vier „Augletics“-Gründern. „Vor allem aber war wichtig, dass erstmals auch Außenstehende an unsere Idee geglaubt haben.“ Ermutigt durch den Erfolg, räumen die vier Ruderer später auch noch den Gründerpreis der Berliner Sparkasse ab, der auf einem gemeinsamen Sommerfest mit NFUSION verliehen wird, dem Entrepreneur-Netzwerk der Freien Universität und Kapitel der Ernst-Reuter-Gesellschaft, des Vereins der Freunde, Förderer und Ehemaligen. Ebenfalls an diesem Tag mit im Feier-Boot: Steffen Terberl und sein Team von Profund Innovation, das die „Research to Market Challenge“ organisiert. Und es gibt noch weitere Instrumente, mit denen Unternehmensgründungen an der Freien Universität gefördert werden. Eines davon ist die Villa.

„In der Start-up-Villa ist endlich alles unter einem Dach“, sagt Steffen Terberl, Leiter von Profund Innovation, der Service-Einrichtung für die Förderung von Unternehmensgründungen.

„In der Start-up-Villa ist endlich alles unter einem Dach“, sagt Steffen Terberl, Leiter von Profund Innovation, der Service-Einrichtung für die Förderung von Unternehmensgründungen.
Bildquelle: Susanne Wehr

Eine Villa für Gründungen

Erbaut 1912 für das „Königliche Astronomische Recheninstitut“, 1945 von den amerikanischen Streitkräften zum „Clubhaus Melody“ umfunktioniert und nach Übergabe an die Freie Universität 1951 Sitz diverser Institute und später auch der Universitätsleitung, beherbergt der vierstöckige Repräsentativ-Bau seit 2019 Profund Innovation und 25 von der Freien Universität geförderte Unternehmensgründungen. Jedes der Teams erhält ein eigenes kleines Büro. Stehen beispielsweise Bewerbungsgespräche an, können die Teams außerdem Besprechungs- und Konferenzräume buchen. Den größten unter ihnen haben Terberl und sein Team auch für Veranstaltungen ausbauen lassen. Schmuckstück ist eine Telefonzelle, liebevoll ausgestaltet mit Beleuchtung, Steckdosen für elektronische Geräte wie Smartphones und selbstverständlich schallisoliert, damit Besprechungen, Coachings und Veranstaltungen im Raum rundherum nicht gestört werden. Hier sowie auf weiteren Gemeinschaftsflächen wie Kaffeezeilen und Küche können sich die jungen Gründerinnen und Gründer begegnen, sollen Netzwerke und Ideen wachsen. Benötigt ein Gründungsteam Unterstützung, sind die Wege kurz. „In der Start-up-Villa“, freut sich Terberl, „ist endlich alles unter einem Dach. Sie ist ein vorgezogenes Geburtstagsgeschenk für das Profund-Team“.

Erfolg in Zahlen

15 Jahre Gründungsförderung an der Freien Universität wollen Terberl und sein Team dieses Jahr in der Villa feiern. 15 Jahre in Profund-Zahlen sind: über 100 vom Bundeswirtschaftsministerium eingeworbene „EXIST-Gründerstipendien“ – Rekord unter den nicht-technischen Universitäten in Deutschland – sowie mehr als 180 geförderte Unternehmensgründungen, von denen stolze 60 Prozent weiterhin existieren. Eine angemessene Erfolgs- und Geburtstagsfeier ist zwar bislang an Corona gescheitert. Doch Terberl gibt die Hoffnung nicht auf: „Sobald wir dürfen, werden wir feiern – mit einer Gartenparty in der Start-up-Villa.“

Wie alles begann

Wie die Villa haben auch Terberl und sein Team ihre Geschichte. Sie beginnt mit einem Wortungetüm: dem „Gesetz über Arbeitnehmererfindungen“. Es regelt, wem gehört, was Angestellte erfinden. Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern gewährte es ein Privileg: Einnahmen aus ihren Erfindungen mussten sie mit niemandem teilen. Das änderte sich mit einer Gesetzesreform 2002: Seither müssen Hochschulen ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse verwerten. Was nach Goldgrube klingt, entpuppte sich für die Hochschulen jedoch als Herausforderung: „Die Professorinnen und Professoren fanden es zunächst nicht toll, dass man ihnen ihr Privileg nahm“, erzählt Terberl. Und die Hochschulen mussten nun zeigen, dass sie Forschungsergebnisse tatsächlich vermarkten konnten. Kein leichtes Unterfangen.

Das riskante Geschäft mit Patenten

Wer in Deutschland eine Erfindung patentieren lassen möchte, muss erstmal investieren: Ein fünfstelliger Betrag kann schnell zusammenkommen für Prüfverfahren und Patentanwälte. Hinzu kommt das Patentmanagement: Fristen müssen eingehalten, Bescheide beantwortet werden. All das übernahm die Freie Universität oder die eigens hierfür gegründete Berliner Patentverwertungsgesellschaft 2002 mit der Reform des „Arbeitnehmererfindungsgesetzes“. Denn: „In den meisten Fällen“, erklärt Terberl, „übersteigen die Kosten für ein Patent deutlich die Einnahmen.“

Die Freie Universität wird zur Gründerin

Die Freie Universität brauchte einen Gründungsservice – und wurde 2006 selbst zur Gründerin: Eine Servicestelle für angehende Unternehmerinnen und Unternehmer entstand. Ihr Auftrag: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern helfen, aus Erkenntnissen der Grundlagenforschung Produkte und Geschäftsmodelle zu entwickeln. Finanziert mit Drittmitteln, anfangs befristet, arbeiteten die Gründungsberater­innen und -berater anfangs selbst wie in einem Start-up, hat sich Terberl berichten lassen. Er selbst stieß später zum Team, kann aber aus der Gründungsphase von Profund Innovation erzählen, als wäre er selbst dabei gewesen.

Es ist eine Zeit des Aufbruchs. Eine neue Generation von Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern strömt nach Dahlem. Manche von ihnen haben in den USA oder Israel erlebt, wie Lehre und Forschung von Unternehmergeist profitieren. „Sie haben geholfen, diese Erkenntnis an der Freien Universität zu verankern“, erzählt Terberl.

Die Unterstützung kommt gelegen, denn wie jeder Aufbruch ruft auch die Gründungsoffensive der Freien Universität Widerstände hervor. „Vor 15 Jahren gab es keine flächendeckende Akzeptanz für Start-ups, sondern mitunter Kritik an der Kommerzialisierung von Forschungsergebnissen“, erzählt Terberl. Und die konnte feurig ausfallen: Als Profund-Mitarbeiter im Otto-Suhr-Institut Werbezettel für einen studentischen Gründungswettbewerb verteilen, wurden die Flyer kurzerhand verbrannt. Solchen Vorurteilen über „böse Kapitalisten“ begegnet Terberl inzwischen allerdings kaum noch. Er erlebt vielmehr Aufgeschlossenheit für ein neues, nachhaltigeres Unternehmertum: „Die meisten unserer Gründerinnen und Gründer unter dem Dach der Start-up-Villa vertreten diesen Anspruch.“ Terberl und sein Team unterstützen sie dabei nach Kräften – und einem klaren Dreistufenplan.

Am Anfang steht das Scouting

An der Freien Universität beginnt die Suche nach unternehmerischem Talent schon im Studium. In Gründungslehrveranstaltungen wie dem „Funpreneur-Wettbewerb“ schlüpfen Studierende in die Unternehmerrolle, entwickeln Geschäftsideen, arbeiten sie in Teams aus und wetteifern vor einer Jury, die aus professoralen und unternehmerischen Mitgliedern sowie einem Leitungsmitglied der Ernst-Reuter-Gesellschaft besteht, um Kontakte und Startkapital. Innovationsscouts helfen wissenschaftlichen Arbeitsgruppen, in Forschungsergebnissen Geschäftsideen zu erkennen. Wettbewerbe wie die „Research to Market Challenge“ ermutigen Universitätsangehörige, ihre Ideen in Produkte umzusetzen.

Geschäftsidee im Härtetest

Hat sich eine Gruppe Gründungsinteressierter gefunden, kann mit so genannten Validierungsmitteln geholfen werden, die die Entwicklung, den Bau und Tests von Prototypen oder Befragungen potentieller Kundschaft finanzieren. Leitfrage: Gibt es genug Personen, die das Produkt kaufen würden? Fällt die Antwort positiv aus, hilft Profund Innovation den angehenden Gründerinnen und Gründern, sich für Förderprogramme wie das „Berliner Start-up-Stipendium“ oder das „EXIST-Gründerstipendium“ des Bundesministeriums für Wirtschaft zu qualifizieren. Die Förderprogramme öffnen die Türen zu Labors und Büroräumen – und verschaffen den Gründerinnen und Gründern Zeit. Zeit, die auch die vier Ruderer von „Augletics“ dringend brauchen. Denn was als smartes Ruder-Ergometer in Vereinen und Fitnessstudios begeistern soll, ist immer noch weit von dem entfernt, was Flavio Holstein und seine drei Mitgründer verkaufen wollen.

Im Inkubator

Ausgestattet mit einem „EXIST-Gründerstipendium“ des Bundeswirtschaftsministeriums und Büroräumen an der Freien Universität, startet der Ruderer-Vierer sein Rennen gegen die Zeit. Ein Jahr bleibt dem Team, um „flügge zu werden“, wie Terberl die heiße Phase der Unternehmensgründung nennt. Mit Hochdruck werkeln Holstein und seine Mitgründer an ihrem Rudergerät. Alle zwei bis drei Monate bauen sie einen neuen Prototypen. „Die ersten sahen potthässlich aus und haben sich furchtbar angefühlt“, erzählt Holstein. 

Während sie noch damit beschäftigt sind, ihr Rudergerät marktreif zu trimmen, denkt man bei Profund bereits an den nächsten Schritt, das Erarbeiten eines Businessplans: Wer soll das Produkt kaufen? Und warum eigentlich? Wie lassen sich Einnahmen erzielen? „Der unternehmerische Instinkt ist definitiv erst mit der Zeit gekommen“, sagt Holstein im Rückblick. „Die Uni hat dabei vor allem durch sehr viele Feedbackschleifen geholfen und auch durch die Auflage, das Geschäftsmodell in immer wieder überarbeiteten Businessplänen festzuhalten“, würdigt Holstein die Unterstützung von Profund.

Steht der Businessplan, kann die Firmengründung folgen. Für die angehenden Unternehmer wird es endgültig ernst: Es geht um Fragen wie die Rechtsform des Unternehmens, auch um persönliche Haftung, um die Suche nach Mitarbeiterinnen, Mitarbeitern, Kundschaft. Es gibt Beratungsbedarf. Das Team von Profund Innovation unterstützt nun neben der eigentlichen Gründungsberatung auch mit Coaching und Mentoring aus dem Entrepreneur-Netzwerk NFUSION. Dessen Mitglieder arbeiten als Investoren oder Unternehmer, Steuerberaterinnen oder Rechtanwälte; sie sind genau die Kontakte, die Gründer wie Flavio Holstein in dieser Phase brauchen.

Die Königsdisziplin: Der Pitch

Den „Augletics“-Gründern gehen nun Zeit und Geld aus. Doch wer Geldgeber finden will, muss Fachfremden seine Geschäftsidee erklären können. In längstens fünf Minuten. Es ist die Königsdisziplin des Gründens: der Pitch. Mythen ranken sich um ihn und Fernsehshows wie die „Höhle der Löwen“.

Erfahrene Gründungsberaterinnen und Unternehmer fordern die Gründungswilligen heraus. Immer wieder müssen die vier von „Augletics“ ihr Geschäftsmodell erklären. Bis alle Pointen sitzen. Doch noch will niemand investieren: „Wir hatten das große Problem, dass wir Hardware herstellen wollten, und zu der Zeit waren nur wenige Menschen bereit, in Hardware zu investieren. Auch, weil es teurer ist, als eine App zu entwickeln“, erinnert sich Gründer Holstein. Am Ende hilft der Zufall: Bei einem Ruderwettkampf für Firmen siegt „Augletics“ – und die unterlegene Konkurrenz sorgt für den Hauptpreis, wie Holstein schwärmt: „Sie haben den Kontakt zu unseren jetzigen Investoren hergestellt.“ Es ist ein Happy End, wie es sich auch Aria Sabouri erträumt.

Natalie Nirenberg arbeitet im Leitungsteam des „Funpreneur-Wettbewerbs“, einer disziplinübergreifenden Gründungslehrveranstaltung der Allgemeinen Berufsvorbereitung.

Natalie Nirenberg arbeitet im Leitungsteam des „Funpreneur-Wettbewerbs“, einer disziplinübergreifenden Gründungslehrveranstaltung der Allgemeinen Berufsvorbereitung.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Erfolg durch Vielfalt

Der 24-jährige Jurastudent ist an diesem Dienstagmittag im Mai auf dem Weg nach oben, ins Dachgeschoss der Start-up-Villa, vorbei an mit Postern erfolgreicher Start-ups geschmückten Flurwänden. Rundherum ist wegen der Corona-Pandemie kaum jemand zu sehen. 

Auf dem Whiteboard im Büro wartet eine lange Liste mit Aufgaben. Aufgaben, die sich Sabouri und die „Kunstgeier“ gestellt haben. Ihr Produkt muss zur Zielgruppe. Die Zielgruppe, das sind Galerien, und das Produkt sind virtuelle Ausstellungsräume. Die Online-Galerien sollen in der Corona-Pandemie und darüber hinaus helfen, Kunstwerke weltweit auszustellen und zu verkaufen.

Doch an diesem Dienstagmittag hat Sabouri ein Problem: Seine Webseite lädt langsam. Sehr langsam. Ein Fall für Simon Sasse. Der 23-Jährige studiert Bioinformatik und kümmert sich bei den „Kunstgeiern“ um die technischen Fragen. „Simon“, sagt Aria, „hat eine unglaubliche Medienkompetenz.“ Er ist der Herr der virtuellen Räume. Im Gründungsteam der „Kunstgeier“ ergänzen sie sich. Viktoriia Lobova, aus Russland zum Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft nach Dahlem gekommen, kümmert sich um das Marketing. Die 18-jährige Sarah ­Cicek hat sich für „EinS@FU“ eingeschrieben, den zweisemestrigen Orientierungsstudiengang der Freien Universität. Ihr Studienschwerpunkt: Kultur und Kunst, ihre Aufgabe bei den „Kunstgeiern“: Galeristinnen und Galeristen akquirieren.

Funpreneur als Teil des Studiums

Die „Kunstgeier“ sind ein gutes Beispiel dafür, wie unterschiedliche Fähigkeiten einzelner ein Team erfolgreich machen können. Eine Erkenntnis, die Natalie Nirenberg für ihre Lehre zur Unternehmensgründung nutzt. Nirenberg arbeitet im Leitungsteam des „Funpreneur-Wettbewerbs“, einer am Fachbereich Wirtschaftswissenschaft angebotenen disziplinübergreifenden Gründungslehrveranstaltung im Bereich Allgemeine Berufsvorbereitung der Bachelorstudiengänge sowie Teil des „Digital Entrepreneurship Hub“. Studierende aller Fachrichtungen können sich dort unternehmerisch ausprobieren – und vor allem lernen, als Team zu wachsen.

„Oft haben Studierende Hemmung, nicht mit den besten Freunden zusammenzuarbeiten“, erzählt Nirenberg aus dem Seminarleben. „Wir ermutigen sie dann dazu, neue Bindungen einzugehen, weil Studien zu Unternehmensgründungen zeigen, dass diverse Teams am erfolgreichsten sind.“

Nirenberg hat durch „Funpreneur“ schon viele Teams zusammengebracht – auch Aria Sabouri, Simon Sasse, Sarah Cicek und Viktoriia Lobova. Die „Kunstgeier“ würde es ohne Nirenberg wohl nicht geben.

Janina Sundermeier, Juniorprofessorin für „Digital Entrepreneurship und Diversity“, will Unternehmensgeist wecken und weibliche Perspektiven auf Unternehmensgründungsprozesse hervorheben.

Janina Sundermeier, Juniorprofessorin für „Digital Entrepreneurship und Diversity“, will Unternehmensgeist wecken und weibliche Perspektiven auf Unternehmensgründungsprozesse hervorheben.
Bildquelle: privat

It’s a match

„Bei ‚Funpreneur‘ wurden die Teams einfach zusammengewürfelt“, erinnert sich Sabouri, „wir haben dann aber schnell gemerkt, dass wir gut zusammenarbeiten können. Meinungsverschiedenheiten wurden nie persönlich, und wenn wir uns in der Sache nicht einigen konnten, haben wir abgestimmt und alle den Entscheid mitgetragen.“ Daran habe sich bis heute nichts geändert.

Der Zusammenhalt im Team trägt Sabouri, Sasse, Lobova und Cicek über Hürden hinweg. Als die vier in der „Funpreneur“-Lehrveranstaltung merken, dass ihre ursprüngliche Geschäftsidee einer Digitalisierungsagentur für Berliner Unternehmen kein schnelles Wachstum erlaubt, werfen sie sie kurzerhand über den Haufen. Es ist die Geburtsstunde der „Kunstgeier“.

Der Aufstieg der Gründerinnen

Für Janina Sundermeier, Juniorprofessorin für „Digital Entrepreneurship und Diversity“, die mit der wissenschaftlichen Mitarbeiterin Natalie Nirenberg und dem Betriebswirtschaftsprofessor Martin Gersch den „Funpreneur-Wettbewerb“ administriert, sind die vier „Kunstgeier“ auch ein persönlicher Erfolg. Denn als sie die Gründungslehre an der Freien Universität ausbaut, steht Sundermeier vor einem Rätsel: In ihren Lehrveranstaltungen ist das Geschlechterverhältnis ausgeglichen. Doch nur wenige Frauen gründen anschließend ein Unternehmen.

Sundermeier stellt sich selbst infrage: „Welche Unternehmerinnen und Unternehmer präsentiere ich als Fallbeispiele? Und was macht das mit meinen Studierenden?“ Sundermeier erkennt: Es sind Männer wie Elon Musk, Männer die Raketen ins All schießen, „gottgleiche Gestalten“, die die Gründerlehre dominieren. „Frauen tun sich mit solch einem Selbstverständnis oft schwer“, vermutet Sundermeier und befragt ihre Studierenden. Das Ergebnis: Die Studentinnen wünschen weibliche Rollenvorbilder und geschützte Räume, die aber nicht durch den Ausschluss von Männern hergestellt werden sollen: „Gewünscht wurden vielmehr Räume, in denen Fragen gestellt werden können, ohne als naiv abgestempelt zu werden“, sagt Sundermeier. Sie reagiert und entwickelt „WoMenventures“, eine Lehrveranstaltung für Studierende und Promovierende aller Geschlechter. Das Ziel: Unternehmensgeist wecken, weibliche Perspektiven auf Unternehmensgründungsprozesse hervorheben. Gleich in der ersten Sitzung erleben alle einen Aha-Moment, wie Sundermeier berichtet: „Ich hatte zwei Gründerinnen eingeladen, ohne zu wissen, dass beide hochschwanger waren. Das hat natürlich Fragen ausgelöst: Wie lassen sich Gründung und Familie vereinbaren, wo doch immer suggeriert wird, dass Selbstständigkeit ‚selbst und ständig‘ bedeutet?“ Was die beiden Gründerinnen zur Vereinbarkeit von Unternehmertum und Familie zu sagen haben, bewegt auch die Männer im Raum.

Für „WoMenventures“ erhält Sundermeier ein Fellowship für „Innovationen in der Hochschullehre“ vom „Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft“. Ihr Engagement für Diversität in der Gründungslehre hat sie ausgeweitet und mit NFUSION sowie Profund Innovation die „WoMenventures Lunches“ etabliert, diesmal exklusiv für Frauen: „Die Teilnehmerinnen befinden sich vor oder nach einer Unternehmensgründung und unterstützen sich gegenseitig bei Herausforderungen im Gründungsprozess“, umreißt Sundermeier das Konzept, das bereits erste Erfolge zeigt: „Für Fallbeispiele von erfolgreichen Gründerinnen, die ich in meine Veranstaltungen einlade, muss ich an der Freien Universität inzwischen nicht lange suchen“, sagt Sundermeier und zählt einige auf: Anika Tüngerthal von den „Erdforschern“, einem Mitmachlabor für Kinder; Amelie Wiedemann von „DearEmployee“, einem Dienstleister für mentale Gesundheit am Arbeitsplatz; sowie Julia Rosendahl und ­Katharina Schrapers von „PerformaNat“, einem Unternehmen, das Futtermittel für Milchkühe herstellt.

Seit Mai 2021 gibt es Gründungsgeschichten auch als Podcast. In zunächst acht Folgen berichten Gründerinnen und Gründer darin von ihren Erfahrungen.

Seit Mai 2021 gibt es Gründungsgeschichten auch als Podcast. In zunächst acht Folgen berichten Gründerinnen und Gründer darin von ihren Erfahrungen.
Bildquelle: Augletics/Profund Innovation

Gründungsgeschichten zum Hören

So unterschiedlich die Produkte und Dienstleistungen auch sind, die drei Gründerinnen-Teams haben einiges gemeinsam: Geschäftsmodelle, die auf Wissenschaft beruhen. Und Auftritte in „Abenteuer Ausgründung“, dem neuen Podcast von Profund Innovation über das Gründergeschehen an der Freien Universität. Besonders „PerformaNat“, das sich am veterinärmedizinischen Campus in Düppel angesiedelt hat, steht für ein großes Ziel der Freien Universität: „Wir wollen wissenschaftsnahe Start-ups über die Gründungsphase hinaus an die Universität binden, weil sie als Forschungspartnerinnen und -partner für uns interessant sind und für unsere Absolventinnen und Absolventen als Arbeitgeber infrage kommen“, sagt Steffen Terberl.

Die Zukunft heißt FUBIC

Neben der Start-up-Villa wächst rund um das angrenzende verlassene US-Militärkrankenhaus ein Gründungscampus – mit Laboren und Büros für bis zu 80 Unternehmen und 1000 Arbeitsplätzen. Das „Business and Innovation Center next to Freie Universität Campus”, kurz FUBIC, soll Anfang 2024 eröffnen. Es wird die Wege zwischen Wissenschaft und Wirtschaft noch einmal deutlich verkürzen.


Günter Faltin war einer der Ersten, der das Prinzip des Entrepreneurs anwendete.

Günter Faltin war einer der Ersten, der das Prinzip des Entrepreneurs anwendete.
Bildquelle: privat


Mit der „Teekampagne“ weltweit bekannt: Günter Faltin

„Von der kleinen Idee über ein gut durchdachtes Konzept zum erfolgreichen Unternehmen“: Mit diesem Schlüssel hat Günter Faltin sich und anderen Entrepreneuren so manche Tür zum Erfolg geöffnet. Schon früh interessierte er sich neben der Wissenschaft für die praktische unternehmerische Tätigkeit. Bis 1968 studierte er in der Schweiz Volkswirtschaft; Entrepreneurship war zu dieser Zeit an den Hochschulen weitgehend unbekannt. „Die Uni war für mich viel mehr als eine Schule, an der man über die Zukunft der Gesellschaft diskutiert. Es reizte mich von jeher, die Denkentwürfe auch in der Praxis zu testen und auszuprobieren“, erklärt Faltin. Gelegenheit dazu bekam er 1977 mit dem Ruf an die Freie Universität: Als einer der ersten Hochschullehrer, die neue Wege gingen, um die Ökonomie praktisch verständlich zu machen, baute er dort mit viel Engagement den Arbeitsbereich „Entrepreneurship“ auf, um den Bogen von der Theorie zur praktischen Anwendung zu schlagen. 1985 gründete er die „Projektwerkstatt GmbH“ mit dem Modell der „Teekampagne“, für die er 2009 den Deutschen Gründerpreis erhielt; ein Unternehmen, das sich mittlerweile zum weltgrößten Importeur von Darjeeling-Tee entwickelt hat.

Weitere Informationen

So unterstützen Sie Unternehmensgründungen an der Freien Universität


Der Ernst-Reuter-Gesellschaft beitreten

Die ERG, der Verein der Freunde, Förderer und Ehemaligen der Freien Universität Berlin, unterstützt Unternehmensgründungen an der Freien Universität. Die ERG-Mitgliedschaft kostet regulär 50 Euro pro Jahr, für Firmen 150 Euro. Fördermitglieder zahlen mehr. Als Ansprechpartnerin steht Ihnen die Leiterin der Geschäftsstelle der Ernst-Reuter-Gesellschaft Daniela Dutschke gern zur Verfügung: daniela.dutschke@fu-berlin.de 

NFUSION-Mitglied werden

NFUSION, das Netzwerk der Unternehmerinnen und Unternehmer der Freien Universität, ist ein Kapitel der Ernst-Reuter-Gesellschaft. ERG-Mitglieder können bis zu zwei Kapiteln beitreten. Tipp: Die gewünschten Kapitel gleich im Mitgliedschaftsantrag angeben oder nachträglich an erg@fu-berlin.de melden.

Ins Netzwerken einbringen

Bringen Sie sich bei NFUSION ein. Einen guten Einstieg bieten Events wie „Business & Beer“. Kontakt: nfusion@fu-berlin.de 

Deutschlandstipendium finanzieren

Die Freie Universität fördert mit Deutschlandstipendien auch studentische Gründerinnen und Gründer. Eine Spende von mindestens 900 Euro für ein einjähriges Deutschlandstipendium verdoppelt die Ernst-Reuter-Gesellschaft in diesem Jahr auf 1.800 Euro, hinzu kommen 1.800 Euro vom Bund. Fragen dazu beantwortet gerne Viola Neukam von der Geschäftsstelle Deutschlandstipendium der Freien Universität: viola.neukam@fu-berlin.de