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Singen für Toleranz

Nicola von Amsberg, Alumna der Freien Universität, ist Vorsitzende der „Gesellschaft zur Förderung des Berliner Mädchenchores“, der kürzlich mit einem OPUS KLASSIK ausgezeichnet wurde.

17.12.2021

Mit dem OPUS KLASSIK zu Besuch in Dahlem: Alumna Nicola von Amsberg (li.) und die beiden Sängerinnen und Studentinnen Margarete Zepter und Rebecca von Amsberg (re.).

Mit dem OPUS KLASSIK zu Besuch in Dahlem: Alumna Nicola von Amsberg (li.) und die beiden Sängerinnen und Studentinnen Margarete Zepter und Rebecca von Amsberg (re.).
Bildquelle: Miriam Klingl

„STIMMENÜBERLEBEN“, der Musikfilm des Berliner Mädchenchores, beginnt mit den Gedanken der Sängerinnen: „Was mich momentan wirklich wütend macht, ist, dass es Menschen gibt, die unsere Demokratie nicht wertschätzen.“ „Mir macht die Zukunft Angst, meine Generation geht auf eine Zukunft mit zunehmender Gewalt und Unterdrückung zu.“ Im Hintergrund ein Streichquartett, leise setzt Gesang ein, „it is the silence that frightens me so“, ein Zitat von Anne Frank. Aus der Drohnenperspektive sieht man 40 Mädchen und junge Frauen auf einem Parkdeck stehen. 48 Minuten lang wechseln sich Passagen aus dem berühmten Tagebuch und Stellungnahmen der Sängerinnen ab, harmonisch eingefasst in die lyrische Komposition.

Den OPUS-KlASSIK in der Hand. Leider konnten unter Coronabdingungen nicht alle Sängerinnen auf den roten Teppich (alle Namen erscheinen am Ende des Porträts).

Den OPUS-KlASSIK in der Hand. Leider konnten unter Coronabdingungen nicht alle Sängerinnen auf den roten Teppich (alle Namen erscheinen am Ende des Porträts).
Bildquelle: Berliner Mädchenchor

„Der Berliner Mädchenchor hat sich während des vergangenen Jahres mit dem Tagebuch der Anne Frank und dem Chorwerk ‚Anne Frank: A Living Voice‘ von Linda Tutas Haugen auseinandergesetzt“, erzählt Nicola von Amsberg. Die Theaterwissenschaftlerin, die von 1987 bis 1990 an der Freien Universität studiert hat, ist seit 2013 im Vorstand der „Gesellschaft zur Förderung des Berliner Mädchenchores“, seit 2016 als erste Vorsitzende. Die US-amerikanische Komponistin Linda Tutas Haugen hat ihr siebensätziges Werk auch speziell für einen Mädchenchor komponiert, den „San Francisco Girls Chorus“. „Unsere Sängerinnen sind durchschnittlich 16 Jahre alt, haben also ungefähr das Alter von Anne Frank – aber natürlich völlig andere Lebenserfahrungen“, begründet Nicola von Amsberg die Wahl des Stückes. Tochter Rebecca von Amsberg, Studentin der Grundschulpädagogik an der Freien Universität und der Universität der Künste, singt im Sopran, auch ihre beiden Schwestern sind und waren Mitglieder, der Vater unterstützt die Arbeit im Chorbüro. „Der Mädchenchor ist also sehr familiär“, sagt Rebecca von Amsberg lachend. Überhaupt sei der Chor eine große Gemeinschaft, die vor allem durch Chorfahrten und Konzertreisen eng zusammenwachse, findet sie.

Der Berliner Mädchenchor ist in Berlin der größte seiner Art.

Ein wiederkehrendes Stilmittel von „STIMMENÜBERLEBEN“ sind schwarz-weiße Fotos der Sängerinnen, die sie maskengleich vor ihre Gesichter halten.

Ein wiederkehrendes Stilmittel von „STIMMENÜBERLEBEN“ sind schwarz-weiße Fotos der Sängerinnen, die sie maskengleich vor ihre Gesichter halten.
Bildquelle: Berliner Mädchenchor

Gegründet 1986 an der evangelischen Lindenkirche in Berlin-Wilmersdorf, ist der Mädchenchor mit rund 200 Sängerinnen heute die größte Chorschule für Mädchen in der Hauptstadt. Mit fünf Jahren können Mädchen in den Vorchor einsteigen, durchlaufen den Aufbauchor und den Kleinen Konzertchor bis zum Chorschul- ziel, dem Konzertchor. Wer weitersingen möchte, kann das im Vokalconsort, einem Frauenkammerchor für über 20-Jährige. Der Mädchenchor gehört zur Musikschule City West. „Alles begann mit der Idee von Gerhard Oppelt: Der Kirchenmusiker und Vater von zwei Töchtern wollte ein weibliches Pendant zum Staats- und Domchor, dem Knabenchor der Universität der Künste, schaffen“, erzählt Nicola von Amsberg. 1998 übernahm seine damalige Frau, die freischaffende Dirigentin und Musikpädagogin Sabine Wüsthoff, die Leitung. Inzwischen ist die jüngste Tochter selbst Leiterin der Chöre für Grundschulkinder. Der Berliner Mädchenchor schrieb unter der Leitung von Sabine Wüsthoff schnell Erfolgsgeschichte mit ersten Preisen im Deutschen Chorwettbewerb, Auszeichnungen wie dem Kinderchorlandpreis der Deutschen Chorjugend 2021 – und nun einem OPUS KLASSIK.

Übungsort: Das Parkdeck der Freien Universität

Sängerinnen statt Autos: Das Parkdeck an der Silberlaube bot einen geschützten und großen Draußenraum für die Chorproben mit coronakonformem Abstand.

Sängerinnen statt Autos: Das Parkdeck an der Silberlaube bot einen geschützten und großen Draußenraum für die Chorproben mit coronakonformem Abstand.
Bildquelle: Berliner Mädchenchor

Das Projekt „STIMMENÜBERLEBEN“ ist eine Corona-Produktion anstelle eines ursprünglich geplanten Konzerts. Die szenischen Aufnahmen für das Video wurden auf dem Parkdeck neben der Silberlaube der Freien Universität gedreht, durch Tonaufnahmen aus der Parochialkirche ergänzt und auf YouTube veröffentlicht. Der Musikfilm soll „ein Plädoyer für Toleranz und Selbstbestimmung“ sein, sagt Nicola von Amsberg und ergänzt: „Ich finde, das ist gelungen.“ 60 Sängerinnen haben mit einem zehnköpfigen Team gemeinsam an dem Projekt gearbeitet, Regie führte Ulrike Ruf, Kamerafrau war Christina Voigt. Schirmherr war Dr. Klaus Lederer, Senator für Kultur und Europa und Stellvertreter des Regierenden Bürgermeisters von Berlin. Ein wiederkehrendes Stilmittel von „STIMMENÜBERLEBEN“ sind schwarz-weiße Fotos der Sängerinnen, die sie maskengleich vor ihre Gesichter halten. Im Wechsel trägt eine Choristin das Abbild von Anne Frank. „Mich hat das Thema sehr berührt“, sagt Margarete Zepter, die im Alt singt und an der Freien Universität Biochemie studiert. „Für mich persönlich nehme ich mit, dass Anne Frank eine junge Frau wie wir war; mit ähnlichen Bedürfnissen und Erwartungen an das Leben – das ihr leider genommen wurde.“

Mit dem ECHO KLASSIK in berühmter Gesellschaft

Die Tonaufnahmen zum Film „STIMMENÜBERLEBEN“ sind auch als CD erschienen.

Die Tonaufnahmen zum Film „STIMMENÜBERLEBEN“ sind auch als CD erschienen.
Bildquelle: Berliner Mädchenchor

Der Musikfilm ist im Spätsommer 2020 entstanden, ein Jahr später hält Nicola von Amsberg eine überdimensionierte Stimmgabel in der Hand: den OPUS KLASSIK der Kategorie Nachwuchsförderung. Damit ist der Mädchenchor in berühmter Gesellschaft, denn den Nachfolgepreis des ECHO KlASSIK erhielten – in unterschiedlichen Kategorien – 2021 auch der Tenor Jonas Kaufmann oder das „Tokyo Philharmonic Orchestra“. „‚Anne Frank: A Living Voice‘ ist ein fantastisches Musikstück, weil sich Musik und Text gegenseitig verstärken“, findet Rebecca von Amsberg. Es habe gut zum Mädchenchor gepasst, aber dass sie für ihre Interpretation mit einem solchen Preis ausgezeichnet werden würden, habe niemand erwartet. Überreicht wurde die Auszeichnung am 10. Oktober im Rahmen einer Fernsehgala im Konzerthaus am Gendarmenmarkt. „60 junge Berlinerinnen zeigen, dass ein Chor die beste Möglichkeit ist, seine Stimme zu erheben“, stellte Moderatorin Désirée Nosbusch bei der Preisverleihung fest. „Eine intime musikalische Annäherung an das Leben von Anne Frank mit sehr persönlichen Bezügen“, urteilte die Jury. „Das war ein wirklich schönes Erlebnis“, erinnert sich Rebecca von Amsberg. Das Projekt spiegele auch die frühe Corona- Zeit wider, von der die Kulturszene besonders stark betroffen war, sagt Margarete Zepter. „Das Parkdeck, das im Film zu sehen ist, war monatelang unser Probenort – kalt, zugig, aber zumindest überdacht und mit wenig Nebengeräuschen.“ Im Pandemiesommer 2020 hatte das Chorbüro bei der Hochschule angefragt, ob die Ensembles auf dem Parkdeck coronakonform – mit Abstand und Frischluft – proben dürften. Sie durften, auch für die Drehtage stellte die Freie Universität das Parkhaus zur Verfügung. Die Akustik im Parkhaus sei „überraschend gut“ gewesen, auf freier Fläche, etwa einer Grünanlage, höre man sich dagegen nur schlecht. Das Projekt zeige, „dass die Kunst sich von Corona nicht besiegen lässt – Kreativität und Ausdrucksstärke widerstehen den leider einschränkenden Rahmenbedingungen“, so der Schirmherr. „Ich bin wirklich stolz auf die Mädchen“, sagt Nicola von Amsberg, die sich selbst augenzwinkernd als „Chormutter“ bezeichnet. Ihr starkes Engagement im Berliner Mädchenchor sei anfangs nicht geplant gewesen. Aber bei drei Töchtern in unterschiedlichen Chorklassen sei sie sowieso oft in der Lindenkirche gewesen: „Dann kann man sich auch nützlich machen, und nicht nur warten“, findet sie. Inzwischen ist sie ehrenamtlich für das gesamte Management sowie die Verwaltung des Chors und seiner fünf Ensembles zuständig. Sie plant unter anderem Reisen und Chorbegegnungen, organisiert Auftritte, beschafft Fördermittel, kümmert sich um die Öffentlichkeitsarbeit. „Wir sind eigentlich selbst schuld, dass wir jetzt so viele Anfragen bekommen, wenn wir in den sozialen Medien und im Internet so präsent sind“, scherzt die Fördervereinsvorsitzende. Hauptberuflich arbeitet sie mit ihrem Mann in der eigenen PR-Agentur. Dass der Mädchenchor an der Freien Universität vorübergehend eine Probenheimat gefunden hatte, freut Nicola von Amsberg als Alumna ganz besonders.


Auf dem roten Teppich und auf dem Weg zum OPUS KLASSIK standen (Bild oben, v. l. n. r.): Nicola von Amsberg, Vorsitzende der Gesellschaft zur Förderung des Berliner Mädchenchores, die Sängerinnen Nora Tuchelt (Freie Universität), Rebecca von Amsberg (Freie Universität), Julia Bonk, Johanna Sträter, Elisha Wrobel, Margarete Zepter (Freie Universität), Marie Kott, Finja Bäcker, Clelia Lindenberger sowie die Regisseurin Ulrike Ruf und die Kamerafrau Christina Voigt.  

Weitere Informationen

Der Berliner Mädchenchor und das Projekt "STIMMENÜBERLEBEN" im Netz: www.stimmenueberleben.de / www.berlinermaedchenchor.de