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Mikrokosmos der Vielfalt

Fast 40.000 höchst unterschiedliche Menschen begegnen sich an der Freien Universität –eine Kleinstadt inmitten der Metropole; acht von ihnen stellen wir vor

14.06.2022

Sie lehren in Dahlem, sie studieren und promovieren hier, sie haben unterschiedliche Karrieren gemacht: Mitglieder und Ehemalige der Freien Universität.

Sie lehren in Dahlem, sie studieren und promovieren hier, sie haben unterschiedliche Karrieren gemacht: Mitglieder und Ehemalige der Freien Universität.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Es gibt nicht viele Orte, an denen sich auf relativ kleiner Fläche Menschen aus 130 Nationen begegnen können, um beispielsweise Ägyptische Philologie zu studieren oder Weltraumwissenschaften; wo sie die Möglichkeit haben, Drachenfliegen zu lernen und argentinischen Tango; und an denen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die in ihrer Heimat politisch verfolgt werden, einen sicheren Platz zum Forschen finden. Die Freie Universität Berlin ist ein solcher Ort: ein Mikrokosmos der Vielfalt und der Einzigartigkeit, ohne die es keine Vielfalt gäbe.

Schon ihre Geburtsstunde ist eine einmalige Geschichte. 1948 ins Leben gerufen als Gegenentwurf zur damals im sowjetisch besetzten Teil Berlins gelegenen Universität Unter den Linden, ist die Freie Universität die einzige deutsche Universität, die auf Betreiben von Studierenden gegründet wurde – als ein Platz für freiheitliches Denken und Forschen, ohne Diskriminierung und Gesinnungszwang. Die USA leisteten ideelle und finanzielle Aufbauhilfe und legten damit schon früh den Grundstein für die internationale universitäre Vielfalt. Heute ist die Freie Universität eine Hochschule, die mit ihrem Konzept der weltweiten Vernetzung wiederholt im Exzellenzwettbewerb des Bundes und der Länder ausgezeichnet wurde. Ein Fünftel der Studierenden und ein Drittel der Doktorandinnen und Doktoranden kommen aus dem Ausland. So vielfältig wie die Herkunft der Studierenden ist mittlerweile auch das Fächerspektrum. Von den Altertumswissenschaften bis zur Zukunftsforschung haben Studierwillige die Wahl zwischen knapp 230 Bachelor-, Master- und Promotionsstudiengängen, darunter viele sogenannte „Kleine Fächer“ wie Turkologie oder Koreastudien.

Eine Universität mit Vorbildfunktion

Die Freie Universität bekennt sich zu Weltoffenheit und Toleranz, zu Fairness und Vielfalt – ein Bekenntnis, das sich an unzähligen Stellen im Universitätsalltag dokumentiert. Denn Vielfalt fördern heißt auch Barrieren abbauen, um Teilhabe zu ermöglichen – und damit ein tolerantes und faires Miteinander. So erhalten Studierende mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen in einer speziellen Beratungsstelle gezielte Unterstützung, bis hin zu inklusiven Sportangeboten.

Der „Dual Career & Family Service“ hilft Lehrenden und Studierenden mit Kind, Beruf oder Studium mit der Familie in Einklang zu bringen – und das nicht nur bei Fragen nach Teilzeitstudium oder Mutterschutz, sondern auch ganz handfest durch Eltern-Kind-Zimmer auf dem Campus oder der Ausleihe von Spieletaschen zur Beschäftigung des Nachwuchses, wenn Papa oder Mama einmal Ruhe brauchen: ein Engagement, das auch extern gut ankommt. So wurde die Universität seit 2007 regelmäßig mit dem bundesweit vergebenen „Audit familiengerechte Hochschule“ ausgezeichnet.

Fast Gleichstand bei der Besetzung von Professuren

Dass Wissenschaft längst keine Männerdomäne mehr ist, zeigt ein Blick in die Universitätsstatistik. In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Professorinnen an der Freien Universität stetig gewachsen. Aktuell sind 45 Prozent der Professuren mit Frauen besetzt. Das „Margherita-von-Brentano-Zentrum“ widmet sich zudem auf wissenschaftlicher Ebene dem Verhältnis der Geschlechter. Hier werden unter anderem Daten zur Geschlechterforschung und einschlägige Lehrangebote gesammelt sowie der wissenschaftliche Austausch und eigene Forschungsprojekte zum Thema entwickelt und gefördert. Zur breiten wissenschaftlichen Palette gehört ein bunter Strauß an Themen: Das Verhältnis von Altern und Geschlecht in der journalistischen Darstellung wird ebenso untersucht wie die Situation berufstätiger Frauen in Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren zwischen 1969 und 1986.

„Total E-Quality“ – ein Verein, getragen von Unternehmen, Verbänden, Instituten und Ministerien, die sich für Vielfalt und Chancengleichheit im Beruf einsetzen - hat die Freie Universität bereits zum siebenten Mal mit einem Preis für ihr beispielhaftes Engagement hinsichtlich der Chancengleichheit und Vielfalt bedacht. Die Initiative attestierte der Freien Universität auch „eine Vorbildfunktion“ bei der „Förderung und kritischen Reflexion von Diversität“.

Die Freie Universität hat ein Diversity-Konzept auf den Weg gebracht

Auf diesen Lorbeeren will sich die Freie Universität aber nicht ausruhen. Vor gut einem Jahr hat ihr Präsidium das erste Diversity-Konzept verabschiedet. Darin wird die gleichberechtigte Teilhabe aller Universitätsmitglieder als Ziel festgeschrieben – unabhängig von ethnischer Herkunft, Geschlecht, sexueller Orientierung, Lebensalter, Nationalität, Sprache, Religion und Weltanschauung, gesellschaftlichem Status, Behinderung oder sozialer und familiärer Situation. Bis 2023 soll das Konzept strategisch umgesetzt werden, zum Beispiel durch die gezielte Erfassung von Handlungsbedarfen, durch Fortbildungen und die Erstellung eines hochschulweiten Verhaltenskodex. „Wir arbeiten daran, dass die Wertschätzung für Vielfalt an unserer Universität noch selbstverständlicher und sichtbarer wird und alle Mitglieder der Freien Universität Unterstützung finden, wenn sie sie brauchen“, sagt Vizepräsidentin Prof. Dr. Verena Blechinger-Talcott, in deren Verantwortungsbereich das Thema Diversity liegt. Dazu gehöre auch eine Atmosphäre, die alle Beschäftigten, Lehrenden und Studierenden in die Lage versetzt, sich zu entfalten und in einer diskriminierungsfreien Umgebung zu arbeiten: ein Ziel, das ganz im Sinne der Gründerinnen und Gründer der Universität gewesen wäre.

8 aus 40.000

In der Titelgeschichte der vorangegangenen Ausgabe unseres Magazins hatten wir uns mit einer ganz anderen Art der Vielfalt befasst, die heute viel stärker als früher im Fokus von Wissenschaft und Gesellschaft steht, weil sie zunehmend bedroht ist: der Biodiversität und dem diesbezüglichen forscherischen und praktischen Engagement der Freien Universität an und in einem ihrer schönsten Orte, dem Botanischen Garten mit seinem Botanischen Museum. Die Titelgeschichte der jetzigen Ausgabe zeigt nun im Folgenden die herausragende Vielfalt der Menschen unserer Universität durch eine Reihe exemplarischer Porträts.

Verena Blechinger-Talcott – die Verantwortliche

Verena Blechinger-Talcott ist Vizepräsidentin der Freien Universität Berlin

Verena Blechinger-Talcott ist Vizepräsidentin der Freien Universität Berlin
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Als Japanologin mit vergleichender Perspektive auf die Politik und Gesellschaften Ostasiens hat Prof. Dr. Verena Blechinger-Talcott schon früh ihren Blick für die Vielfalt von Persönlichkeiten und Gruppen geschärft. Als Assistenzprofessorin am Hamilton College und Postdoktorandin an der Harvard University erfuhr die heutige Vizepräsidentin der Freien Universität Berlin Anfang der 2000er-Jahre, wie US-Universitäten gegen Diskriminierung von Gruppen und Individuen im Hochschulalltag angehen. „Beide Universitäten, Harvard und Hamilton, bieten regelhaft Fortbildungsveranstaltungen für Lehrende zum Thema Diversity in der Lehre an, und es gibt dort zahlreiche Mentoring- und Unterstützungsprogramme für Studierende aus sozialen Gruppen, die bisher an der Universität unterrepräsentiert waren“, zeigt sich Blechinger-Talcott bis heute begeistert. Umso mehr freut sich die Vizepräsidentin mit Zuständigkeit für Diversity und Gleichstellung über den zusätzlichen Schwung, den die Black-Lives-Matter-Bewegung und das neue Landesantidiskriminierungsgesetz Berlins dem Diversity-Engagement der Freien Universität verliehen haben.

Diversität als universitäres Selbstverständnis 

Mit dem Diversity-Konzept für die Jahre bis 2023 hat die Freie Universität erst jüngst neue Ziele und Maßnahmen festgelegt, um der Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, sexueller Orientierung, Lebensalter, Migrationsgeschichte, Nationalität, Sprache, Religion oder Weltanschauung, sozialem Status, Behinderung oder chronischer Erkrankung verstärkt entgegenzuwirken. Bestehende Barrieren für Angehörige dieser Gruppen will Blechinger-Talcott unter anderem durch eine Bedarfsanalyse identifizieren und Anlaufstellen auf- und ausbauen. Ein Diversity-Webportal erleichtert von Diskriminierung Betroffenen bereits den Zugang zu Beratungsangeboten und bestehenden Ressourcen.

Auch das Diversity-Audit „Vielfalt gestalten“ des „Stifterverbands“ nutzt die Freie Universität, um auf ihren Campi die Chancengerechtigkeit zu fördern. Zudem stellte Blechinger-Talcott im März Leitlinien für gegenderte Sprache in der offiziellen Kommunikation der Freien Universität vor. Das Grundprinzip umreißt sie so: „Grundsätzlich sollen alle geschlechtlichen Identitäten berücksichtigt werden. Das heißt konkret, dass wir geschlechtsneutrale Bezeichnungen oder den Genderstern verwenden“, erklärt die Vizepräsidentin. „Es sei denn, wir wissen, wie eine bestimmte Person angesprochen werden möchte, dann sprechen wir sie selbstverständlich auf diese Weise an.“

Ard Nijhof – der Zeckenforscher

Ard Nijhof ist Professor am Institut für Parasitologie und Tropenveterinärmedizin der Freien Universität.

Ard Nijhof ist Professor am Institut für Parasitologie und Tropenveterinärmedizin der Freien Universität.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

„Zecken“, erzählt Prof. Dr. Ard Nijhof, „werden zu Recht als böse wahrgenommen.“ Sie heften sich an der Haut von Tieren und Menschen an und können dabei Bakterien, einzellige Parasiten oder Viren mit ihrem Speichel durch die Einstichstelle hinterlassen, die in den Blutkreislauf des Wirts gelangen. Lyme-Borreliose und Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) sind die bekanntesten Krankheiten, die Menschen sich durch Zecken einhandeln können. „Zecken sind aber auch erstaunliche Tiere“, fügt Nijhof hinzu. „Es gibt sie seit mehr als 180 Millionen Jahren, schon die Dinosaurier wurden von ihnen geplagt.“ Das zeige, wie sehr sich die kleinen Spinnentiere anpassen konnten. „Sie haben sehr viele Methoden entwickelt, um an ihre Nahrung, das Blut, zu gelangen; das ist beeindruckend.“

Nijhof muss es wissen. Der 44-jährige Veterinärmediziner beschäftigt sich seit Jahren mit den kleinen Tierchen, die speziell auch in den tropischen Regionen für die Verbreitung vieler Krankheiten bei Tieren verantwortlich sind. Nijhof ist Professor am Institut für Parasitologie und Tropenveterinärmedizin der Freien Universität, sein Spezialgebiet: Zecken und durch Zecken übertragene Krankheiten; sein Ziel: Impfstoffe gegen Zecken zu entwickeln. Schon in seiner Dissertation hat er sich mit möglichen derartigen Impfstoffen befasst.

Von Südafrika nach Berlin

Zu seinem Forschungsgegenstand kam Nijhof, der aus den Niederlanden stammt und in Utrecht Veterinärmedizin studiert hat, eher durch Zufall. Ein Forschungspraktikum während des Studiums führte ihn nach Südafrika an das Institut für Tropenveterinärmedizin der University of Pretoria in Onderstepoort. Dort fand er heraus, dass Nashörner an einer Krankheit gestorben sind, die von Zecken übertragen wird. Die Veröffentlichung dieser Erkenntnis brachte ihm internationale Beachtung ein. Seine Karriere als Zeckenforscher begann.

„Das Thema hat mich nicht mehr losgelassen“, betont Nijhof. 2011 bot sich ihm dann die Gelegenheit, an der Freien Universität weiter daran zu arbeiten. „Ich war zwar vorher noch nie in Berlin gewesen, aber meine Frau kannte die Stadt und hat mich überzeugt“, sagt er. Seitdem lebt Familie Nijhof in Zehlendorf. Und der Professor braucht nur zehn Minuten mit dem Rad, um zu seinem Institut zu kommen.

Berlin ist längst die Stadt seiner Wahl. Nijhof hofft, dass seine Stelle als Professor auf Zeit demnächst entfristet wird. „Ich würde meine Forschungsgruppe gern weiter ausbauen“, sagt er. In den vergangenen Jahren optimierte er mit seinen Kolleginnen und Kollegen ein Verfahren, um Zecken künstlich mit Blut zu füttern. Dies erleichtert die Suche nach Wirkstoffen, um Zecken zu bekämpfen, ohne dafür Versuchstiere nutzen zu müssen. Gegenwärtig leitet er eine Forschungsgruppe, die unter anderem herausfinden will, was passiert, wenn bestimmte Gene der Zecke ausgeschaltet werden. Die Frage ist, ob die Zecke sich dann trotzdem noch entwickeln und Krankheiten übertragen kann oder eben nicht.

Zu Ard Nijhofs Forschungsgruppe gehören junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Ländern. „Die Zusammenarbeit mit ihnen macht mir großen Spaß“, berichtet er. Genauso gern kümmert er sich um deren Betreuung – vier von ihnen sind selbst gerade in Afrika tätig, wo Nijhofs Karriere begann.

Meri Melkonyan – die Geschichtensammlerin

Meri Melkonyan beschäftigt sich in ihrer Masterarbeit mit Themen wie Integration und Heimat.

Meri Melkonyan beschäftigt sich in ihrer Masterarbeit mit Themen wie Integration und Heimat.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher 

Ihr Lieblingsplatz in Berlin ist das Ischtar-Tor im Pergamonmuseum. „Es verbindet mich mit meinem Heimatland und mit meiner Familie“, sagt eine junge Irakerin und erzählt, warum sie vor einigen Jahren nach Berlin kam und sich hier immer noch wie ein Gast fühlt. Sie ist eine von 25 Menschen aus dem Irak, die im Magazin „The Borderline“ ihre Geschichten erzählen. Sie berichten, weshalb sie nach Berlin gekommen sind, wie integriert sie sich fühlen, welches Land sie tatsächlich als ihre Heimat betrachten. Sie erzählen von ihren Lieblingsplätzen in der Stadt und davon, was sie an Deutschland besonders mögen, aber auch, was ihnen das Ankommen hier schwer macht.

Aus einem Sprachkurs entstand ein Magazin

„The Borderline“ hat Meri Melkonyan herausgebracht, zusammen mit der Illustratorin Polina Parygina. Im April 2022 hatte das Magazin Premiere. Entstanden ist das erste Heft im Rahmen einer „X-Student Research Group“, mit der die „Berlin University Alliance“, der Exzellenzverbund der Berliner Universitäten und der Charité, Nachwuchsforschungsteams und Studierende fördert und an der Melkonyan im Sommersemester 2021 teilgenommen hat. Unter der Leitung von Madeline Bass vom Institut für Englische Philologie der Freien Universität untersuchten die Studierenden die Erfahrungen von Migration und Diaspora in Berlin und wurden ermutigt, neue Methoden der soziologischen Forschung anzuwenden. Melkonyan konzentrierte sich auf junge Erwachsene, die aus dem Irak nach Berlin gezogen sind. Dass es dazu kam, erzählt sie, hänge mit ihrer irakischen Freundin Noor Askal zusammen, die sie während eines Sprachkurses getroffen und sich schnell mit ihr angefreundet habe. „Sie hat mir ihre Geschichte erzählt, und ich war sehr beeindruckt davon, wie schwer es für jemanden sein kann, hier zu leben“, berichtet Melkonyan. Ihr sei klar geworden, dass über das Leben von Menschen aus dem Irak nur wenig bekannt ist. „Das und die Tatsache, dass Noor eine großartige Geschichtenerzählerin ist, hat mich auf die Idee für mein Magazin gebracht.“

Melkonyan hat armenische Wurzeln, ist aber in Moskau aufgewachsen. Dort hat sie auch ihr Bachelorstudium abgeschlossen. An der Freien Universität absolviert die 25-Jährige nun den Masterstudiengang Angewandte Literaturwissenschaft. In ihrer Masterarbeit will sie sich möglicherweise ebenfalls mit den Themen beschäftigen, die sie bereits in ihrem Magazin aufgegriffen hat: Was nennt man Heimatland? Was heißt es, in ein anderes Land umzuziehen, sich dort zu integrieren, eine andere Sprache zu lernen? „Dabei geht es nicht nur um Fluchterfahrung, sondern auch darum, wie sich die Gesellschaft durch den Zuzug von Menschen verändert“, betont sie.

Nach ihrem Abschluss hofft Melkonyan, in Berlin eine Arbeit zu finden. „Am liebsten in einem Verlag oder einer kulturellen Einrichtung“, sagt sie. Als Werkstudentin beim Suhrkamp Verlag fühlt sie sich in diesem Wunsch sehr unterstützt. Sie lebt gern in Berlin: „Ich mag die unterschiedlichen Kieze, in denen sehr verschiedene Leute leben“, sagt sie. Auch an der Freien Universität fühle sie sich wohl. „Jedem stehen hier alle Möglichkeiten offen, man muss nur die Initiative ergreifen.“

Dass sie nicht in Russland bleiben könne, sei ihr schon in der Schule klar geworden, erzählt Meri Melkonyan. Damals habe gerade Alexei Nawalny gegen Putin opponiert. Wegen des Krieges, den Russland Ende Februar in der Ukraine begonnen hat, hätten inzwischen auch fast alle ihrer Freunde das Land verlassen. Melkonyans Eltern, die dort geblieben sind, können das verstehen. „Sie haben mir aber ans Herz gelegt, meine Wurzeln nicht zu vergessen.“ Sie lacht, das werde nicht passieren. „Armenien ist meine Heimat, einfach weil ich es als natürlich empfinde, mich mit der armenischen Kultur zu identifizieren.“

Alex Berezin – der Kämpfer

Alex Berezin studierte den interdisziplinären Masterstudiengang „Osteuropastudien“ am Osteuropa-Institut der Freien Universität.

Alex Berezin studierte den interdisziplinären Masterstudiengang „Osteuropastudien“ am Osteuropa-Institut der Freien Universität.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Achthundert Meter schafft Alex Berezin noch allein. Für längere Strecken ist er auf den Rollstuhl angewiesen. Auch Treppensteigen kann er nur noch wenige Stufen. Der 34-Jährige hat eine fortschreitende Muskelerkrankung. „Die Krankheit ist zwar nicht lebensbedrohlich, schränkt meine Beweglichkeit aber immer weiter ein“, sagt er.

Was seine Lebenspläne angeht, will Berezin sich allerdings keinesfalls einschränken lassen. An der Georg-August-Universität Göttingen hat er seinen Bachelor in Politikwissenschaft gemacht und später am Osteuropa-Institut der Freien Universität den interdisziplinären Masterstudiengang Osteuropastudien absolviert. „Trotz meiner Behinderung“, betont er, „habe ich mich während des Studiums zu keinem Zeitpunkt ausgegrenzt gefühlt.“ Diese Erfahrung hat auch mit der Hilfe zu tun, die Berezin gleich zu Beginn an der Freien Universität erhielt. „Ich bekam sofort einen Platz in einem Studentenwohnheim ganz in der Nähe meines Instituts“, schildert er. Das Zimmer sei zwar nicht komplett barrierefrei gewesen, „es gab aber nur vier Stufen bis zur Wohnungstür. Die konnte ich damals noch gut bewältigen.“

Potenzial für noch mehr Unterstützung

Auch als er für ein Semester in Istanbul studieren wollte, wurde Berezin unterstützt. Rückblickend hätte er sich aber eine engere Begleitung von Seiten der Freien Universität gewünscht, als es darum ging, seinen Stundenplan zusammenzustellen. „Ich konnte pro Tag nicht so viele Lehrveranstaltungen besuchen, wie es nötig gewesen wäre, um meinen Master in der Regelstudienzeit zu schaffen. Das war mir körperlich einfach nicht möglich.“ Auch an der Barrierefreiheit könnte die Freie Universität noch arbeiten, zum Beispiel Aufzüge deutlich besser ausschildern.

Nach Abschluss seines Studiums nahm Berezin am Talentprogramm des Sozialunternehmens „myAbility“ teil, das Graduierten mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen hilft, sich beruflich zu orientieren. „In einem mehrtägigen Workshop haben wir gelernt, uns selbst zu präsentieren.“ Ihn habe das bestärkt, sich bei der Berliner Verwaltung zu bewerben.

Der 34-Jährige stammt aus einer russlanddeutschen Familie. Er war 13 Jahre alt, als seine Eltern nach Deutschland übersiedelten. „Ich kam zunächst auf die Hauptschule, weil ich kein Deutsch konnte“, sagt er. Von dort hat er sich nach oben gekämpft und ist inzwischen als Regierungsrat verbeamtet. Noch muss er innerhalb des Nachwuchskräfteprogramms der Berliner Verwaltung mehrere Stationen durchlaufen, bis er als Referent eine Planstelle annehmen wird. „Am liebsten in der Wirtschaftsverwaltung.“

Eun-Jeung Lee – die Koreanistin

Die Professorin Eun-Jeung Lee leitet die „Graduate School of East Asian Studies“.

Die Professorin Eun-Jeung Lee leitet die „Graduate School of East Asian Studies“.

Wer öfter einmal an der Dahlemer Villa vorbei kommt, in der seit vier Jahren das Institut für Koreastudien der Freien Universität untergebracht ist, könnte einer zierlichen Frau begegnen, die dort im Garten arbeitet. Doch es ist nicht etwa die Gärtnerin, die da den Rasen mäht und sich um die verschiedenen Pflanzen kümmert, es ist Professorin Dr. Eun-Jeung Lee, Leiterin des Instituts und Direktorin der „Graduate School of East Asian Studies“. Die Arbeit im Garten, erzählt sie, sei ihr neues Hobby.

Lee hat den Garten ihres Instituts zusammen mit der Architektin, die für die Sanierung der Villa in der Otto-von Simson-Straße 11 verantwortlich war, selbst angelegt. Sie hat Pflanzen ausgewählt, die in Korea beliebt sind – Hibiskus, Pfingstrosen, Azaleen und Hortensien. Auch Ahornbäume wurden gepflanzt. „Und viele Osterglocken“, sagt Lee. In diesem Jahr hätten sie zum ersten Mal üppig geblüht.

Die Vielfalt im Garten ist ein Bild, das sich ohne Weiteres auf die wissenschaftliche Arbeit und das Leben von Eun-Jeung Lee übertragen lässt. Diversity, sagt sie, sei ein zentrales Thema ihrer Arbeit. An der Freien Universität werde Vielfalt gelebt, „deutlich ausgeprägter als etwa an Universitäten in Japan oder Korea, wo ich auch schon geforscht habe.“ Die Gesellschaften in diesen Ländern seien noch nicht sehr ausdifferenziert, das zeige sich auch an den Universitäten.

Lee, die zunächst in Südkoreas Hauptstadt Seoul Politikwissenschaft, Soziologie und Ethnologie studiert hat, 1984 an die Georg-August-Universität Göttingen wechselte, dort promovierte und sich später an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg zur Geschichte der Konfuzianismusrezeption im europäischen Denken seit der frühen Aufklärung habilitierte, lehrt seit 2008 als Professorin am Institut für Koreastudien. Gegenwärtig sind 320 Studierende dort immatrikuliert. Sie lernen nicht nur die Sprache und Kultur Koreas intensiv kennen, sondern beschäftigen sich auch mit seiner Geschichte, Gesellschaft und aktuellen politischen Situation. Es gibt deutlich mehr Bewerbungen als Studienplätze.

Mitglied der „Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften“ 

Doch Lee ist auch politisch aktiv. Seit 2014 ist sie Mitglied des „Deutsch-Koreanischen Beratergremiums zu außenpolitischen Fragen der Wiedervereinigung“. Für ihre Forschungstätigkeit in diesem Zusammenhang hat sie 2019 einen der höchsten Orden erhalten, den Südkorea zu vergeben hat. „Ich habe Dokumente zur Deutschen Einheit gesammelt und analysiert“, berichtet sie. Entstanden ist ein dreißigbändiges Werk, das in Korea als Standardwerk zum auch dort aktuellen Thema Wiedervereinigung gilt.

Etwas Besonderes ist zudem die Tatsache, dass Lee seit 2016 ordentliches Mitglied der „Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften“ ist. „Ich bin das erste asiatische Mitglied, seitdem die Akademie im Juli 1700 als ‚Preußische Akademie der Wissenschaften‘ gegründet wurde“, betont sie. Sie steht dadurch in einer Reihe mit den Brüdern Grimm, mit Wilhelm und Alexander von Humboldt, mit Lise Meitner oder Albert Einstein und Max Planck, um nur einige der Mitglieder zu nennen; zu Recht ist sie stolz darauf.

Sajjad Khawari – der Deutschlandstipendiat

Sajjad Khawari studiert Bioinformatik. Wegen seiner guten Noten und seines Engagement erhielt er ein Deutschlandstipendium an der Freien Universität.

Sajjad Khawari studiert Bioinformatik. Wegen seiner guten Noten und seines Engagement erhielt er ein Deutschlandstipendium an der Freien Universität.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Flucht ist ein bedeutender Bestandteil des Lebens von Sajjad Khawari. Er ist aufgewachsen in Teheran, seine Eltern stammen aus Afghanistan, mussten vor den Taliban flüchten, waren also schon im Iran Geflüchtete. „Die jetzige Situation in Afghanistan macht mich sehr traurig“, sagt er, „gerade wenn man sieht, dass Mädchen und Frauen nicht mehr an Schulen und Universitäten gehen dürfen – oder nicht mal vor die Tür.“ Er hofft auf Widerstand gegen die Taliban, „aber die Menschen vor Ort haben einfach große Angst.“

Den Eltern von Sajjad Khawari ist Bildung stets wichtig gewesen. Sie fördern ihren jüngsten Sohn von fünf Kindern, schicken ihn zur Schule; sie wollen, dass er studiert.

Ende 2015, da ist er 14 Jahre alt, kommt Khawari mit einem Status als Geflüchteter nach Deutschland – seine Eltern, die beiden Schwestern und seine zwei Brüder bleiben im Iran. In Berlin besucht er die Lichtenberger George-Orwell-Schule, macht 2021 Abitur. Schon während der Schulzeit interessiert er sich für Computersoftware und repariert Handys. „Mich hat schon immer interessiert, wie technische Dinge funktionieren.“ Als Schüler fühlt er sich unterfordert, also belegt er im Alter von 16 Jahren mit der Gasthörerkarte „Studieren ab 16“ Kurse an der Technischen Universität Berlin. Im Oktober 2020 bewirbt er sich beim Hamburger „Reemtsma Begabtenförderungswerk“ um ein Stipendium. Seine guten Noten und sein Motivationsschreiben überzeugen: Er erhält die Förderung.

Nach dem Abitur entscheidet sich Khawari für Bioinformatik an der Freien Universität. Im Oktober 2021 bewirbt er sich für ein Deutschlandstipendium an der Freien Universität. Auch hier überzeugen seine Noten und sein Engagement: Er wird Deutschlandstipendiat und gefördert durch die Ernst-Reuter-Gesellschaft der Freunde, Förderer und Ehemaligen der Freien Universität Berlin e. V., die zusätzlich zur Unterstützung des Stipendienprogramms die Aktion „Halbe-halbe für ganze Chancen“ ins Leben gerufen hat.

Engagement für Geflüchtete

„Flucht“ ist außerhalb des Studiums ein wichtiges Thema für Khawari. Er engagiert sich seit 2019 im Rahmen des Projekts ,,Berliner Demokratie verstehen und gestalten“ und lässt sich dort zum „politischen Bildner“ ausbilden. Die Projektverantwortlichen bieten politische Bildung für junge Menschen mit Fluchterfahrung an.
Zudem betreut Khawari an Volkshochschulen und in Unterkünften für Geflüchtete Workshops für Menschen mit Fluchterfahrung: „Ich erkläre den Neuangekommenen, welche Rechte Menschen in Deutschland haben.“  

Hilfe für Geflüchtete leistet Khawari auch bei „ZAkï – Bildung und Kultur e. V.“, einem Verein der Menschen aus Afghanistan und dem Iran Zugang zu Bildung und Arbeitsmarkt erleichtern will. „Dort helfe ich vor allem als Übersetzer bei Behördenterminen oder gebe Nachhilfe in Mathematik.“ Seine eigene Motivation: „Ich habe selbst Fluchterfahrung, und ich hoffe, dass ich mein Wissen nutzen kann, um anderen zu helfen.“

Seit dem vergangenen Jahr arbeitet er zudem für das Projekt „Men Standing Up for Gender Equality“, das von der Europäischen Union kofinanziert und von den Organisationen „Lessan e. V.“, „Femmes Entraide et Autonomie“ und „Terre des Femmes“ umgesetzt wird. Das Ziel des Projekts: in Unterkünften für Geflüchtete und an Schulen mehr Bewusstsein für die international geächtete Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung sowie für Kinder-, Früh- und Zwangsheirat zu schaffen.

Was nach seinem Bachelorstudium kommt, ist für Sajjad Khawari klar: das Masterstudium. Und dann die Promotion? „Wieso nicht“, sagt er und lacht.

Gloria Amoruso – die Unterstützerin

Gloria Amoruso gründete den Verein „kein Abseits! e. V.“, mit dem sie Kinder und Jugendliche unterstützt.

Gloria Amoruso gründete den Verein „kein Abseits! e. V.“, mit dem sie Kinder und Jugendliche unterstützt.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Soziale Gerechtigkeit ist ein Lebensthema von Gloria Amoruso. „In Deutschland ist es noch immer so, dass der Bildungserfolg von Kindern und Jugendlichen stark von der sozialen Herkunft abhängt“, sagt die 34-Jährige. Das müsse sich dringend ändern. Gemeinsam mit ihrer Schulfreundin Sinem Alparslan hat sie deshalb im Sommer 2011 den Verein „kein Abseits! e. V.“ gegründet. „Wir begleiten und unterstützen Kinder und Jugendliche, die in sogenannten Risikolebenslagen aufwachsen, und wollen dazu beitragen, dass sie ihr Potential entfalten können“, berichtet Amoruso. Es gehe darum, Menschen aus verschiedenen Lebenswelten zusammenzuführen, Freundschaften zu vermitteln und Kindern einen guten Start ins Leben zu ermöglichen.

Amoruso ist in Berlin geboren und aufgewachsen. Ihr Vater stammt aus Italien, ihre Mutter ist Berlinerin. „Ich bin die erste in meiner Familie, die studiert hat“, sagt sie. 2011 absolvierte sie an der Freien Universität den Bachelorstudiengang Italienstudien und schloss ein Jahr später ihr Masterstudium der Europawissenschaften ab. Gegenwärtig promoviert sie zur Energiewende in Berlin mit dem Fokus auf soziale Gerechtigkeit. Ein Stipendium der „Studienstiftung des deutschen Volkes“ gibt ihr den finanziellen Freiraum, sich trotzdem intensiv um ihren Verein zu kümmern.

Schon im Studium als Mentorin im Einsatz

Erste Erfahrungen mit einem Mentoringprogramm hat Amoruso während ihres Studiums an der Freien Universität gemacht. Sie hat damals Ismail begleitet, einen neunjährigen Jungen mit arabischem Hintergrund. Sie ist froh darüber, dass sie sein Leben positiv beeinflussen und auch selbst viel aus der Beziehung lernen konnte. Bis heute ist sie mit ihm und seiner Familie in Verbindung. Ismail ist inzwischen 21 Jahre alt und studiert Wirtschaftsinformatik.

Die Vermittlung und Begleitung von Mentoringbeziehungen sind auch das Kernstück der Arbeit von „kein Abseits! e. V.“. Zusätzlich bietet der Verein viele sport- und erlebnispädagogische Gruppenangebote in Schulen, Jugendzentren und Unterkünften für Geflüchtete an. Außerdem sind Amoruso und ihr Team, zu dem inzwischen 23 festangestellte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie rund 150 aktive Ehrenamtliche gehören, mit einem Spielmobil unterwegs. „Über diese niedrigschwelligen Angebote kommen wir schneller mit den Kindern in Kontakt“, sagt sie. Die Geschichte von ­Justin sei ein Beispiel dafür, wie das funktioniert. Er war als Grundschüler verhaltensauffällig, konnte sich nur schwer konzentrieren und ist immer wieder angeeckt. Für seine alleinerziehende Mutter war der Umgang mit ihm eine Herausforderung. „Justin hat zunächst in einer unserer Sport-AGs mitgemacht, dann haben wir ihm einen Mentor vermittelt, der sich intensiv um ihn gekümmert hat“, erzählt Amoruso. Inzwischen sei er in der achten Klasse und seit einiger Zeit selbst für den Verein aktiv; so unterstütze er zum Beispiel eine Fahrradwerkstatt in seinem Kiez. „Kürzlich hat er Grundschülerinnen und Grundschülern stolz berichtet, wie er es mit Hilfe seines Mentors geschafft hat, die Schule zu meistern und respektvoll mit anderen Menschen umzugehen“, schildert Amoruso.

In den letzten Jahren hat „kein Abseits! e. V.“ weitere Projekte und Angebote auf den Weg gebracht. Seit 2021 betreibt der Verein in Reinickendorf einen Kinder- und Jugendclub. In Lichtenberg übernimmt das Team bald einen Kieztreff. „Diese Angebote werden zum Teil von den bezirklichen Jugendämtern finanziert“, sagt Amoruso. Allerdings müsse sie nach wie vor bangen, ob auch im nächsten Jahr eine ausreichende Finanzierung möglich ist.

Kilian Haoues – der Bunte

Kilian Haoues: „Diversität ist ein Thema an der Freien Universität, man kann sich entsprechend weiterzubilden.“

Kilian Haoues: „Diversität ist ein Thema an der Freien Universität, man kann sich entsprechend weiterzubilden.“
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Kilian Haoues wusste schon in der Schule, dass er einmal Chemie studieren wird. Genau das macht er jetzt an der Freien Universität. Aufgewachsen ist der 22-jährige Deutsch-Tunesier in Trier, wo er 2019 sein Abitur ablegte. „Zum Studium wollte ich aber unbedingt nach Berlin“, sagt er. Er habe die Stadt damals zwar noch gar nicht gekannt. „Trotzdem stand für mich fest, dass Berlin die liberalste Stadt Deutschlands ist. Und ich hatte recht.“ Den meisten Leuten hier sei es egal, ob er geschminkt sei, feminin angezogen oder maskulin. „Öfter bekomme ich sogar Komplimente dafür.“ In Trier sei das anders gewesen, viel konventioneller.

Mit seinem Studium an der Freien Universität begann er im Oktober 2019. „Ich hatte das Glück, noch mit einem Präsenzsemester anfangen zu können, und war jeden Tag an der Uni, in der Mensa und habe viele Leute getroffen“, sagt er. Dann kam Corona, und er musste online weiterstudieren. „Das ist mir schwergefallen, weil ich ja noch erlebt habe, wie anders das Studium ist, wenn man vor Ort sein kann.“#

Bei unserem Gespräch trägt er eine Perlenkette und goldene Ohrringe. Er kleidet sich, wie er mag, und ist auch mal mit einer Handtasche unterwegs, „wenn die dann zu meinem Outfit passt!“ Er präsentiert sich als „queer“, wie er sagt. „Meine sexuelle Orientierung sowie meine Geschlechtsidentität machen mich nicht aus, sind aber ein großer Teil von mir.“ Wohl fühlt er sich mit der Bezeichnung „queer“, weil der Begriff alle Facetten der LGBTQIA+ Community berücksichtigt.

Rollenklischees durchbrechen

Als Jugendlicher sei es nicht leicht für ihn gewesen, mit dem traditionellen Rollenklischee zu brechen, erinnert er sich. Ein Aufenthalt in den USA habe ihm aber sehr dabei geholfen, seine Identität zu finden und auszuleben. „Ich bin 2016 im Bundesstaat Ohio an eine Schule gekommen, die großen Wert darauf legte, BIPoC, queere und durch Mobbing gefährdete Menschen zu unterrichten.“ Die Leute an der Schule hätten sehr offen über ihre Erfahrungen gesprochen. „Sie waren damals dort viel weiter als wir in Deutschland.“

Was er an der Schule erlebt hat, wollte er auch an einer Universität wiederfinden. „Ich habe mich umgehört in Berlin. Und je mehr Informationen ich über die Freie Universität bekam, desto interessanter wurde die Uni für mich“, erzählt er. Ihm gefalle, wie liberal die Freie Universität sei, weitaus liberaler als viele andere Hochschulen. „Diversität ist ein Thema an der Freien Universität, man kann sich entsprechend weiterzubilden.“ Im außeruniversitären Alltag sei das oft anders. „Viele Menschen können immer noch nicht so leben, wie sie wollen“, betont er. Für viele sei es immer noch ein Kampf, traditionellen Rollenbildern zu entkommen, viele würden aufgrund ihrer Sexualität, Geschlechtsidentität oder Hautfarbe noch immer Diskriminierung erfahren. Er setzt sich deshalb dafür ein, dass sich die Menschen informieren, einander zuhören und respektvoll miteinander umgehen. „Leben und leben lassen, als Idealvorstellung, muss gesellschaftliche Realität werden“, sagt er.

Was seine Zukunft betrifft, ist für ihn vieles offen. Er kann sich vorstellen, später in der Kosmetikbranche zu arbeiten. Doch zunächst stehen Bachelor- und Masterabschluss an. Oder ein Semester Pause, um sich künstlerisch auszuprobieren. „Ich singe und tanze gern, Schauspiel interessiert mich ebenfalls“, berichtet er. Aber auch eine akademische Laufbahn kann er sich wieder vorstellen. „Während der Corona-Pandemie hatte ich diesen Weg etwas aus den Augen verloren.“ Jetzt gibt es diesbezüglich viel Rückenwind von Seiten der Universität. „Ich habe gerade ein wichtiges Labormodul mit einer sehr guten Note abgeschlossen, das hat mich bestärkt“, sagt er.