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Wenn es sein muss auch im Bärenkostüm

Prof. Dr. Gudrun Doll-Tepper kämpft international für den Schul-, Behinderten- und Inklusionssport – als Wissenschaftlerin und Funktionärin. Ein Streifzug durch zwei Karrieren und vier Jahrzehnte

14.06.2022

Weltweit unterwegs und Dahlem immer noch verbunden: Gudrun Doll-Tepper, Professorin und Expertin für Schul-, Behinderten- und Inklusionssport.

Weltweit unterwegs und Dahlem immer noch verbunden: Gudrun Doll-Tepper, Professorin und Expertin für Schul-, Behinderten- und Inklusionssport.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher 

Wenn die Sportwissenschaftlerin Gudrun Doll-Tepper auf die Höhepunkte ihrer zweiten Karriere als Sportfunktionärin zurückblickt, muss sie nicht lange überlegen: „Bei Paralympischen Spielen habe ich Siegerinnen und Siegern Medaillen umgehängt und Menschen aus aller Welt zu Sportkongressen nach Berlin geholt.“ Als ehrenamtliche Präsidentin des „Weltrats für Sportwissenschaft und Leibes-/Körpererziehung“ und Vizepräsidentin des „Deutschen Olympischen Sportbunds“ hat sich Doll-Tepper jahrzehntelang national und international für den Schul-, Behinderten- und Inklusionssport eingesetzt. „Möglich war das nur, weil ich einen festen Hafen hatte, in Berlin und an der Freien Universität. So konnte ich in die Welt gehen.“

Erste Karriere als Sportwissenschaftlerin

Und in die Welt gegangen ist die 1947 geborene Gudrun Doll-Tepper. China, Belgien, Kanada, USA - das sind nur einige der Stationen im Laufe ihrer Karriere. Nach dem Studium der Sportwissenschaft und der Promotion mit einer Dissertation über „Möglichkeiten einer motorischen Entwicklungsförderung von Kindern und Jugendlichen an Schulen für Lernbehinderte durch Sportunterricht“ sowie einer Tätigkeit als Akademische Rätin und Lektorin, alles an der Freien Universität, habilitierte sie sich 1994 zum Thema „Sport und Behinderung“ an der ­Goethe-Universität Frankfurt am Main. Seit 1996 als Professorin für „Sportwissenschaft unter besonderer Berücksichtigung des Sports behinderter Menschen“ am damaligen Institut für Sportwissenschaft holte Doll-Tepper Kolleginnen und Kollegen sowie Sportlerinnen und Sportler aus aller Welt zu wissenschaftlichen und sportpolitischen Kongressen nach Berlin.

Gipfel mit dem IOC-Präsidenten

Den langjährigen Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees, Juan Antonio Samaranch, gewann sie 1997 als neu gewählte Präsidentin des oben genannten „Weltrats“ dafür, finanzielle Zuschüsse zur Förderung des weltweiten Schulsports zu befürworten. Nach dem Amtsantritt „war es üblich, dass man mit Vorschlägen für Projekte zum IOC-Präsidenten ging“, erinnert sich Doll-Tepper an die Begegnung mit Samaranch, einem für die Kommerzialisierung der Olympischen Spiele ebenso bewunderten wie kritisierten Funktionär. Doll-Tepper wollte ihm so viele US-Dollars wie möglich für die Förderung des Schulsports abringen. Und so schilderte sie dem mächtigen IOC-Präsidenten und früheren Sportminister unter Spaniens Diktator Francisco Franco, dass es in vielen Ländern der Welt keinen Schulsport mehr gebe. „Das konnte sich Samaranch gar nicht vorstellen“, berichtet Doll-Tepper. „Ich habe ihm klargemacht, dass wir genau aus diesem Grund eine Studie zur Lage des Schulsports weltweit benötigen. Seine Antwort: ,Wie viel wollen Sie dafür? Und was noch?‘“ Und so zählte Doll-Tepper ein Anliegen nach dem anderen auf, zum Beispiel ein Projekt zur Erforschung der Geschichte des paralympischen Sports oder sogar eine Gesamtdarstellung von dessen Geschichte – bis Samaranch schließlich sagte: „Aber jetzt nicht noch mehr.“

Die Tricks der mächtigen Männer

Als eine der wenigen Frauen konkurrierte Doll-Tepper mit mächtigen Männern um ihren Platz im international organisierten Sport. Ein Erfolgsrezept: aus den Erfahrungen von Kolleginnen lernen. Genau erinnert sie sich, wie eine von ihnen als neu gewähltes Mitglied während einer Gremiensitzung ausgebootet wurde: „Der Vorsitzende schlug eine Pause vor“, berichtet Doll-Tepper. „Meine Kollegin blieb sitzen, die Männer verließen den Raum. Als sie zurückkamen, waren plötzlich mehrere Tagesordnungspunkte erledigt. Irritiert fragte die Kollegin, wie es dazu gekommen war. Der Vorsitzende antwortete: ,Das haben wir alles schon in der Pause besprochen.‘ ,Gut‘, sagte meine Kollegin, ,dann komme ich nächstes Mal mit in die Pause.‘“ Lange Sitzungen, die Paradedisziplin der Funktionäre, schrecken Gudrun Doll-Tepper heute nicht mehr. Und auch die Sprache der Gremien hat sie sich angeeignet.

Ein Robert macht die Regeln

Als Doll-Tepper 1981 erstmals in eine internationale Organisation, die „International Federation of Adapted Physical Activity“, gewählt wurde, hörte sie die Funktionärskollegen zwar reden, verstand aber nicht alles. „,I move a motion‘, sagte der eine. ,I second‘, antwortete ein anderer“, erinnert sie sich. „In einer Sitzungspause bin ich dann zum Leiter gegangen. Ich fragte ihn: Soll ich mich einfach mal melden und sagen: ‚I third?‘“. Seine Antwort: „Ja kennen Sie denn nicht Robert’s Rules of Order?“ Doll-Tepper erfuhr: „To move a motion“ bedeutet „einen Antrag stellen“, „I second“ signalisiert Zustimmung, das Anliegen weiter zu diskutieren. „Ich bin dann in eine Buchhandlung gegangen und hab mir Robert’s Rules of Order gekauft.“

Verkleidet: Um Werbung für das internationale Symposium in Berlin zu machen, schlüpfte Gudrun Doll-Tepper in ein Kostüm eines Berliner Bären.

Verkleidet: Um Werbung für das internationale Symposium in Berlin zu machen, schlüpfte Gudrun Doll-Tepper in ein Kostüm eines Berliner Bären.
Bildquelle: privat

Unterwegs als Berliner Bär

Wer Roberts Regeln folgt, fällt in Sportfunktionärskreisen nicht negativ auf. Wer etwas erreichen will, muss allerdings das Korsett der Konventionen im richtigen Moment abstreifen – und auch einmal unerwartete Wege gehen. Gudrun Doll-Tepper hat das früh in ihrer Funktionärskarriere erkannt. Um Werbung für das internationale Symposium „Adapted Physical Activity - An Interdisciplinary Approach“ zu machen, das 1989 im West-Berliner ICC stattfinden sollte, hielt sie eine Rede auf einem Treffen internationaler Sportfunktionärinnen und Sportfunktionäre im australischen Brisbane – verkleidet als Berliner Bär. „Sie können alle fragen, die dabei waren, das werden die nie vergessen: ‚Gudrun als Berliner Bär‘“, freut sich Doll-Tepper noch heute über ihren Coup.

Der Kennedy-Moment

Rund um den Globus reisen die Repräsentanten internationaler Organisationen für Gremiensitzungen und Kongresse, und Doll-Tepper mittendrin. So hatte sie 1981 in New Orleans eine Begegnung, die ihren Blick als Funktionärin und Sportwissenschaftlerin noch einmal erweiterte. Eunice Kennedy Shriver, Schwester des 1963 ermordeten US-Präsidenten John F. Kennedy, hatte aus Betroffenheit über den Mangel an Förderangeboten für geistig behinderte Menschen – wie die eigene Schwester Rosemary – 1968 die „Special Olympics“ gegründet, aus denen später die „Special Olympics World Games“ werden sollten. Von der Idee solcher Wettkämpfe auf nationaler und internationaler Ebene war auch Doll-Tepper sehr angetan. Sie traf Kennedy Shriver seither noch mehrere Male – zuletzt 2005, als die damals 84-Jährige das John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien der Freien Universität besuchte. Heute engagiert sich Doll-Tepper selbst im Organisationskomitee für die „Special Olympics World Games“, die im Juni 2023 in Berlin stattfinden sollen.

Die Zutrauerin

Mit den „Special Olympics World Games“ schließt sich für Doll-Tepper der Kreis zu ihrem beruflichen Beginn als Lehrerin in einer Sonderschule für lern- und geistig behinderte Kinder, an der sie parallel zu ihrer beginnenden akademischen Karriere an der Freien Universität unterrichtete. „Ich habe erlebt, wie wenig diesen Kindern mitunter zugetraut wurde“, erinnert sich Doll-Tepper. Doch die junge Lehrerin glaubte an die Fähigkeiten der Kinder. Bestärkt durch die Begegnung mit Kennedy Shriver und durch die Erfahrung mit der Wissenschaft setzte sie auf ein damals neues wissenschaftlich-pädagogisches Konzept: Psychomotorik, die integrierte Sicht auf motorisches Verhalten und Psyche. Die Kinder sollten lernen, sich und ihrem Körper etwas zuzutrauen. Doll-Tepper vermittelte ihnen, was sie selbst beim Basketball, beim Handball und vielen weiteren Sportarten in Vereinen gelernt hatte: „Gib nie auf, bevor das Spiel nicht abgepfiffen ist. Aber akzeptiere auch Niederlagen.“

Einmal Humboldt und zurück

Ihre größte eigene Niederlage erlebte Gudrun Doll-Tepper ausgerechnet an der Freien Universität: „Nach dem Fall der Mauer gab es vieles doppelt in Berlin“, blickt Doll-Tepper zurück, „zwei Volluniversitäten, zwei Institute für Sportwissenschaft.“ Die Freie Universität verlor die Sportwissenschaft, auch weil sie keinen Sportcampus hatte und Pläne für dessen Bau am Widerstand von Anwohnerinnen und Anwohnern gescheitert waren. Die Behindertensportexpertin Doll-Tepper und ihr Team mussten eine Zeitlang in alte Villen ziehen. „Die waren nicht barrierefrei, bei Veranstaltungen mussten wir Rollstuhlfahrende die Treppen hochtragen, heute undenkbar.“ Trotz der widrigen Umstände kämpfte Doll-Tepper mit ihrem Team für den Erhalt der Sportwissenschaft an der Freien Universität – am Ende vergeblich: Wer in Berlin Sportwissenschaft studieren wollte, musste an die Humboldt-Universität gehen. Doll-Tepper wurde der Humboldt-Universität zugeordnet, blieb aber in Dahlem: Weil alle, die im Fach Sportwissenschaft noch eingeschrieben waren, Anspruch auf Abschluss ihres Studiums hatten, führte sie weiterhin Lehrveranstaltungen durch und nahm an der Freien Universität Prüfungen ab. 2004 kehrte Gudrun Doll-Tepper auch offiziell zurück – als Leiterin des damals am Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie neu geschaffenen Arbeitsbereichs für Integrationspädagogik, Bewegung und Sport. Der Name des Arbeitsbereichs, er klingt wie eine Synthese der doppelten Karriere der ­Gudrun Doll-Tepper.