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Veterinärmedizinische Diversität in Berlin

Die Veterinärmedizinerinnen und -mediziner der Freien Universität forschen an Zoonosen und unserer Lebensmittelsicherheit, sie analysieren resistente Erreger und untersuchen Wurmerkrankungen im globalen Süden.

23.02.2023

Zusätzlich entwickeln sie Methoden zur Verringerung von Tierversuchen und bilden die Tierärztinnen und Tierärzte von morgen aus. Gemeinsam haben sie ein Ziel: die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt zu verbessern.

Die Veterinärmedizin der Freien Universität kümmert sich um vielerlei Tiere – auch um Schafe.

Die Veterinärmedizin der Freien Universität kümmert sich um vielerlei Tiere – auch um Schafe.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Wenn in Berlin von Tiermedizin die Rede ist, fällt vielen Menschen zuerst die Klein- und Heimtierklinik der Freien Universität in Düppel ein. Jedes Jahr werden hier etwa 8.000 Tiere untersucht, behandelt, versorgt und oftmals auch gerettet. „Für Berliner Haustierhalterinnen und -halter hat unsere Kleintierklinik natürlich die größte Bedeutung“, sagt Dr. Uwe Rösler, Professor für Tierhygiene und Infektiologie und Dekan des Fachbereichs Veterinärmedizin der Freien Universität. „Es gibt nur fünf veterinärmedizinische Ausbildungsstätten in Deutschland, die Freie Universität ist die einzige in einem Stadtstaat. Das ist der Grund für ihr besonderes Profil und das bringt besondere Herausforderungen mit sich.“

Veterinärmedizin wird überall gebraucht

Die klinische Versorgung und Forschung seien Schwerpunkte seines Fachbereichs, erläutert Rösler, und zwar auch für Tierarten, die man im Berliner Stadtbild seltener sieht: Pferde, Rinder und andere sogenannte Klauentiere wie Schafe und Ziegen, Schweine, außerdem Geflügel. Dafür betreibt die Freie Universität drei Tierkliniken im Berliner Südwesten, in Düppel. Doch Berliner Veterinärmedizinerinnen und -mediziner arbeiten nicht nur in den Tierkliniken und in der Forschung und Lehre an den Instituten des Fachbereichs Veterinärmedizin, sondern auch in den Tierarztpraxen der Stadt, den Veterinärämter in der Lebensmittelüberwachung und im Tierschutz sowie in vielen in der Hauptstadt ansässigen Bundesbehörden. In Berlin sieht die Verteilung natürlich anders aus als beispielsweise in Schleswig-Holstein: In der Hauptstadt arbeitet etwa ein Drittel der Tierärztinnen und Tierärzte in einer Kleintier-Praxis oder -Klinik, ein Drittel im Amt und ein Drittel in der Forschung.

In Zukunft wird die Bedeutung von Veterinärinnen und Veterinären in der Forschung noch zunehmen. Der Zustand unseres Planeten, das Auftauchen neuer Zoonosen – also Krankheiten, die vom Tier auf den Menschen übertragen werden können, wie etwa Covid-19, und die Zunahme von resistenten Krankheitserregern machen es überdeutlich: Wer sich um die menschliche Gesundheit sorgt, muss sich auch um die Gesundheit von Tieren kümmern. 

Dr. Uwe Rösler, Professor für Tierhygiene und Infektiologie und Dekan des Fachbereichs Veterinärmedizin: „Uns interessiert, wie sich Nutztiere mit Krankheiten infizieren.“

Dr. Uwe Rösler, Professor für Tierhygiene und Infektiologie und Dekan des Fachbereichs Veterinärmedizin: „Uns interessiert, wie sich Nutztiere mit Krankheiten infizieren.“
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

„One Health“ ist das Schlagwort, also der Gedanke, dass die Gesundheit von Menschen, Tieren und Umwelt eng miteinander verbunden und voneinander abhängig ist. Die tiermedizinischen Forschungsthemen waren freilich schon von diesem Gedanken durchdrungen, als es „One Health“ noch gar nicht gab: beispielsweise am Institut für Tier- und Umwelthygiene des Fachbereichs Veterinärmedizin, das Rösler leitet. Er erläutert: „Uns interessiert, wie sich Nutztiere mit Krankheiten infizieren. Wichtig sind dabei die Wege, auf denen sich Erreger verbreiten: von Tier zu Tier, vom Menschen zum Tier, vom Schaufelstiel zum Tier, durch das Tränkwasser, mit der Einstreu, im Mist, im Abwasser, über den Wind, auf der Weide, aus der Umwelt in den Stall und umgekehrt.“

Tiermedizin unter einem Dach

Um unterschiedliche Haltungsbedingungen vergleichen zu können, mussten Rösler und seine Kolleginnen und Kollegen am Fachbereich bis vor kurzem landwirtschaftliche Betriebe in ganz Deutschland aufsuchen. Seit April 2022 können sie fast alle Umwelt- und Haltungsfaktoren im neuen Tiermedizinischen Zentrum für Resistenzforschung (TZR) der Freien Universität realitäts- und praxisnah simulieren: von der Größe der Tiergruppen über den Bodenbelag bis zur Frischluftzufuhr. Diese europaweit einzigartige Ausstattung macht es zum Beispiel möglich zu erforschen, unter welchen Haltungsbedingungen Nutztiere widerstandsfähiger gegen Infektionserreger sind. In Zukunft könnte dadurch ermöglicht werden, weniger Antibiotika zu verabreichen. Das ist wichtig, denn immer mehr Bakterien sind mittlerweile gegen die zur Verfügung stehenden Wirkstoffe resistent. „Aber auch die Arzneimittel selbst verbreiten sich in der Umwelt“, sagt Rösler. „Von jeder Tablette landet ein großer Teil der Wirkstoffe über Ausscheidungen wieder in der Umwelt; und wenn wir Pech haben, in unserer Nahrung und in unserem Trinkwasser. Oder es kommt dadurch zur Resistenzbildung bei Umweltkeimen.“

Um die komplizierten Stoffkreisläufe und physiologischen Vorgänge in Mensch und Tier zu erforschen, ist es notwendig, dass Fachleute der verschiedensten Disziplinen des Fachbereichs Veterinärmedizin, aber auch von Human- und Umweltmedizin zusammenarbeiten. Das geschieht im TZR, in den Kliniken und im bereits 2014 eröffneten Robert-von-Ostertag-Haus, in dem fünf Institute untergebracht sind. Gerade wenn es darum geht, die Sicherheit von Lebensmitteln zu gewährleisten, arbeiten die Forschenden aber auch oft in Konsortien mit Partnern aus Landwirtschaft oder Industrie zusammen. Die Arbeit von Prof. Dr. Thomas Alter ist dafür ein Beispiel.

Dr. Thomas Alter forscht als Professor zur Lebensmittelsicherheit und -hygiene und leitet das gleichnamige Institut am Fachbereich Veterinärmedizin.

Dr. Thomas Alter forscht als Professor zur Lebensmittelsicherheit und -hygiene und leitet das gleichnamige Institut am Fachbereich Veterinärmedizin.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Keime im Fleisch

Heute achten viele Menschen auf gesunde Ernährung. Dr. Thomas Alter arbeitet daran, dass uns Lebensmittel zumindest nicht krank machen. Er ist Professor für Lebensmittelsicherheit und -hygiene und leitet das gleichnamige Institut am Fachbereich Veterinärmedizin. „Ich werde oft gefragt, warum Tierärzte für Lebensmittelsicherheit zuständig sind“, sagt Alter. Denn seine Forschung fängt erst nach dem Tod des Tieres an, wenn es geschlachtet wurde und sein Fleisch zu einem Produkt geworden ist. „Unsere Zuständigkeit für dieses Thema nahm ihren Anfang vor 150 Jahren in Berlin“, erläutert Alter. Damals forschte der Mediziner Robert Koch hier zu Zoonosen wie der Rindertuberkulose, die durch Rohmilch übertragen wurde. Und ein paar Meter weiter ganz in seiner Nähe arbeitete der Veterinär Robert von Ostertag an den ersten Vorschriften zur Fleischbeschau auf preußischen Schlachthöfen. Tierärzte sorgten dafür, dass weniger Menschen an Tierseuchen erkrankten, sie waren also Dienstleister der Humanmedizin. „Im Prinzip sind wir das heute noch“, sagt Alter. „Für uns sind enge Kooperationen sehr wichtig, etwa mit der Charité.“

Die Krankheiten, um die sich Koch und von Ostertag sorgten, können mittlerweile behandelt werden. Statt Tuberkulose und Milzbrand machen heute zum Beispiel Bakterien der Gattung Campylobacter Schlagzeilen, vor allem vor Weihnachten und Silvester, wenn viele Menschen Hähnchenfleisch zu kurz im Fonduetopf oder auf dem Raclette-Grill garen. Etwa 40 Prozent der Masthähnchen in der Europäischen Union tragen Campylobacter im Darm. Die Tiere selbst werden nicht krank, aber bei der Schlachtung können die Erreger auf das Fleisch gelangen. Jedes Jahr erwischt es in Deutschland etwa 70.000 Menschen, in der EU ist Campylobacteriose die häufigste Zoonose. Sie löst Fieber und Durchfall aus, kann aber auch zu schweren Komplikationen führen, etwa zum Guillain-Barré-Syndrom mit Muskelschwäche und Lähmungen. Der Zusammenhang zwischen Erreger und Erkrankung ist dank verbesserter Diagnostik seit einigen Jahren bekannt. Seit 2018 sind Infektionen mit Campylobacter-Bakterien meldepflichtig – und stehen ganz oben auf Alters Forschungsagenda.

Marinieren, Chlorieren, Einfrieren, Garen

„Anders als gegen Salmonellen können wir Hühner gegen Campylobacter nicht impfen“, erläutert er. „Wir müssen also an verschiedenen Stellen der sogenannten Lebensmittelkette ansetzen. In meinen Arbeitsbereich fallen Schlachtung und Verarbeitung, aber auch die Aufklärung der Verbraucherinnen und Verbraucher.“ Es gäbe diverse Möglichkeiten, um sicherzugehen, dass kein kontaminiertes Fleisch in den Handel kommt, zum Beispiel durch den Einsatz eines Bakteriographen, durch Marinieren, Chlorieren, Einfrieren, Garen, oder UV-Licht. Manches will die Politik nicht, manches die Verbraucherinnen und Verbraucher – und manches wäre für die Betriebe unrentabel. Was funktionieren könnte, erforscht Alter deshalb in Zusammenarbeit mit der Lebensmittelindustrie. „Wir haben dabei noch nie schlechte Erfahrungen gemacht. Die Verantwortlichen wollen ja auch niemanden krank machen.“

Darüber hinaus profitiere seine Forschung vom Standort Berlin: „Die Wege sind kurz: zur Charité, zu den außeruniversitären Forschungseinrichtungen, etwa zum „Bundesinstitut für Risikobewertung“ und zu den Ministerien. Man kennt sich – und solche ‚weichen‘ Faktoren erleichtern die Arbeit sehr.“

Dr. Susanne Hartmann ist Professorin für Infektionsimmunologie und Direktorin des Instituts für Immunologie; eines ihrer Spezialgebiete: der Schweinespulwurm.

Dr. Susanne Hartmann ist Professorin für Infektionsimmunologie und Direktorin des Instituts für Immunologie; eines ihrer Spezialgebiete: der Schweinespulwurm.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Würmer in unseren Körpern

Anders als Campylobacter-Bakterien, deren Bedeutung erst vor wenigen Jahrzehnten erkannt wurde, oder Coronaviren, die ständig neu entstehen, leben parasitäre Würmer seit Anbeginn der Menschheit in unseren Körpern. Dr. Susanne Hartmann, Professorin für Infektionsimmunologie und Direktorin des Instituts für Immunologie sagt: „Würmer haben über Jahrmillionen eine Koevolution mit uns durchgemacht. Deshalb können sie unser Immunsystem und vermutlich sogar unser Mikrobiom, also die Gesamtheit der in uns lebenden Mikroorganismen, so perfekt manipulieren, dass sie selbst in Menschen mit starken Abwehrkräften viele Jahre überleben.“

Der menschliche Körper ist für die Würmer ein Lebensraum. Deshalb sind Wurminfektionen sind weniger tödlich, stattdessen lösen sie Erkrankungen aus, die den Körper über lange Zeit schwächen. Hartmann erforscht, wie es Würmer schaffen, unser Immunsystem für sich auszunutzen und wie sie dabei mit den Erregern interagieren. Der Schweinespulwurm ist dabei für sie ein ideales Forschungsobjekt, denn er befällt sowohl Schweine als auch Menschen. Man kann also im Tier beobachten, wie der Wurm und das Immunsystem des Wirts interagieren – und daraus Erkenntnisse ziehen, die weltweit vielen Menschen helfen können.

20 Zentimeter lang, so dick wie ein kleiner Finger: der Schweinespulwurm

Im Vergleich zu Bakterien oder Viren sind Schweinespulwürmer riesig: Sie werden bis zu 20 Zentimeter lang und sind so dick wie ein kleiner Finger. Auch in unseren Breiten sind Würmer in Tieren gegenwärtig, für den Menschen besteht durch die hohen Hygienestandards kein Risiko sich zu infizieren. Eine Geißel für den Menschen ist der Wurm hingegen im Globalen Süden. Hartmann forscht unter anderem in Afrika, wo sie vom Spulwurm befallene Schulkinder untersucht. Sie erzählt: „Die Kinder sitzen in der Schule auf der blanken Erde, viele laufen barfuß, es gibt ungenügende Toilettengruben und sehr oft keine Möglichkeit, sich die Hände zu waschen.“ Wenn zudem Felder und Gärten mit Fäkalien gedüngt werden, ist eine Wurminfektion oft die Folge. Die Wurmeier entwickeln sich im Boden, auf Obst und Gemüse.

Die Folgen sind dramatisch. Viele der Kinder im Globalen Süden sind mangelernährt. Leben Würmer in ihrem Darm, fressen diese ihnen zudem noch Nährstoffe weg. „Die Kinder leiden unter Eisenmangel und Proteinmangel, viele sind unterernährt“, berichtet Hartmann: „Sie fühlen sich schlapp, haben Magen- und Darmbeschwerden. Und wenn sie wegen der Wurminfektion nicht zur Schule gehen oder sich dort nicht richtig konzentrieren können, hemmt das auch ihre geistige Entwicklung.“ Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) misst die Auswirkungen in „disability-adjusted life years“, also der Zahl der gesunden Lebensjahre, die diesen Kindern und damit letztlich auch den Gesellschaften des Globalen Südens verloren gehen „Diese Infektionen kann man nur mit dem Global-Health-Ansatz bekämpfen“, sagt Hartmann, „in Kooperation von Infektiologen, Sozial-, Umwelt-, Ernährungs- und Gesundheitssystemwissenschaften.“ Die WHO hat der Wurminfektion als „vernachlässigter Tropenkrankheit“ den Kampf angesagt. Doch weltweit gibt es nur einige Handvoll Expertinnen und Experten, die sich mit den unzähligen Wurmarten und ihren komplexen Auswirkungen auf Mensch, Tier und Umwelt beschäftigen.

Forschung in Kooperation

Der Fachbereich Veterinärmedizin ist deshalb besonders stolz auf das Graduiertenkolleg „Parasiteninfektionen: von experimentellen Modellen zu natürlichen Systemen“, dessen Sprecherin Hartmann seit 2015 ist. Das Kolleg, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wird, bündelt die Kompetenzen der Forschenden der Freien Universität mit denen der Humboldt-Universität, der Charité, des Robert-Koch-Instituts, des Max-Planck-Instituts für Infektionsbiologie und des Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung sowie des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung. „Bis 2024 werden wir 60 Doktorandinnen und Doktoranden in molekularen, immunologischen und Wildtieraspekten von Parasiteninfektionen ausbilden, was eine beachtliche Verstärkung des weltweiten Forschungsnetzwerks zu Parasiteninfektionen bedeutet. Berlin hat auf diesem Gebiet ein Alleinstellungsmerkmal.“

Die betroffenen Länder gehen mit großen Entwurmungskampagnen gegen die Parasiten vor. Dadurch könnte das Problem in Zukunft jedoch sogar noch größer werden, erläutert Hartmann: „Durch nicht ausreichend sanitäre Einrichtungen und damit kontaminierte Böden infizieren sich die Menschen immer wieder neu. Permanente Reinfektionen führen jedoch dazu, dass die Parasiten irgendwann resistent gegen die jetzigen Entwurmungsmittel werden.“

Prof. Dr. Georg von Samson-Himmelstjerna leitet das Institut für Parasitologie und Tropenveterinärmedizin des Fachbereichs Veterinärmedizin und ist Sprecher des neuen Tiermedizinischen Zentrums für Resistenzforschung.

Prof. Dr. Georg von Samson-Himmelstjerna leitet das Institut für Parasitologie und Tropenveterinärmedizin des Fachbereichs Veterinärmedizin und ist Sprecher des neuen Tiermedizinischen Zentrums für Resistenzforschung.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Evolutionäre Muster für Resistenzen

Bislang sei der Erfolg von Entwurmungskampagnen zu selten überprüft worden, sagt Prof. Dr. Georg von Samson-Himmelstjerna. Er leitet das Institut für Parasitologie und Tropenveterinärmedizin des Fachbereichs Veterinärmedizin und ist Sprecher des TZR. Auch er führt regelmäßig in Afrika Studien durch. Findet er Menschen oder Tiere, bei denen die Wurmmittel nicht mehr anschlagen, nimmt er Proben mit nach Berlin. Dort versucht er, die resistenten Würmer zu vermehren: ein schwieriges Thema, denn Würmer kann man, anders als Bakterien, nicht in der Petrischale züchten, sie brauchen einen Wirt. Man muss also Tiere infizieren. Auch aus anderen Gründen sei Resistenzforschung ohne Versuchstiere unmöglich: Selbst wenn irgendwann „Organe auf einem Chip“ entwickelt werden sollten, die den Wurmbefall von Lebern oder Lungen simulieren könnten – das komplexe Zusammenspiel des Immunsystems oder die Wanderung der Parasiten durch verschiedene Organe lassen sich nur im lebenden Organismus erforschen. Die variablen Haltungsbedingungen im TZR bieten hierfür die idealen Voraussetzungen.

Durch den Vergleich verschiedener Wurmstämme veruschen von Samson-Himmelstjerna und sein Team herauszufinden, welche Mutationen den Würmern zur Resistenz verholfen haben: ein wichtiger Schritt im Wettlauf mit resistenten Erregern. Denn nicht nur Würmer, auch Bakterien, Pilze und Viren haben Schlupflöcher gefunden, um Medikamenten und Impfstoffen zu entgehen. Und so unterschiedlich die Erreger auch sind, es ist zumindest nicht unwahrscheinlich, dass sich die Schlupflöcher ähneln. Das TZR biete für diese Forschung Bedingungen, die europaweit, vielleicht sogar weltweit einzigartig seien, sagt von Samson-Himmelstjerna: „Das Zentrum hat bereits nach einem knappen Jahr eine deutliche Eigendynamik entwickelt. Es beflügelt den Austausch zwischen den Disziplinen, etwa mit Biologie, Chemie und Pharmazie oder mit den Agrarwissenschaften.“ Trotz der veterinärmedizinischen Perspektive haben die Forschenden Mensch und Umwelt immer im Blick. Von Samson-Himmelstjerna erläutert: „An allen TZR-Projekten sind infektionsmedizinische Disziplinen beteiligt, oft auch Disziplinen der Grundlagenforschung. Ebenso wichtig ist die Beteiligung der klinischen Forschung durch die Tierkliniken der Freien Universität oder für die Humanmedizin beispielsweise durch die Kooperation mit der Charité.“

Prof. Dr. Christa Thöne-Reineke leitet das Institut für Tierschutz, Tierverhalten und Versuchstierkunde am Fachbereich Veterinärmedizin und vertritt diese Fächer auch in Forschung und Lehre.

Prof. Dr. Christa Thöne-Reineke leitet das Institut für Tierschutz, Tierverhalten und Versuchstierkunde am Fachbereich Veterinärmedizin und vertritt diese Fächer auch in Forschung und Lehre.

Tierschutz in der Forschung

Das deutsche Tierschutzgesetz definiert Tierversuche als Eingriffe oder Behandlungen zu Versuchszwecken, die mit Schmerzen, Leiden oder Schäden verbunden sein können. Im vergangenen Jahr wurde das Gesetz noch einmal verschärft, sodass jetzt auch jeder Einsatz von Tieren im Rahmen der Ausbildung als Tierversuch zählt. Das heißt: Die Ausbildung von Tiermedizin-Studierenden am Tier ist ein Tierversuch, wenn dies nur zu Ausbildungszwecken an der Universität erfolgt. Im Gegensatz dazu stehen Eingriffe, die aufgrund einer tiermedizinischen Diagnose erfolgen.

Tierversuche dürfen nur durchgeführt werden, wenn sie von den zuständigen Behörden genehmigt wurden. Bereits das Antragsformular ist zwölf Seiten lang. Im Antrag muss eine ethische Vertretbarkeit dargelegt, der erwartete Erkenntnisgewinn gegen die Belastungen muss also abgewogen werden. Außerdem muss erläutert werden, warum man diese Erkenntnisse nicht mit alternativen Methoden gewinnen kann, wie sichergestellt wird, dass möglichst wenige Tiere eingesetzt werden, und wie deren Belastung so gering wie möglich gehalten werden kann. Die letzten drei Punkte werden meist mit den englischen Begriffen replacement (verringern), reduction (reduzieren) und refinement (verfeinern) zur Abkürzung „3R“ zusammengefasst.

Berlin als Hauptstadt der Alternativmethoden

Prof. Dr. Christa Thöne-Reineke, die das Institut für Tierschutz, Tierverhalten und Versuchstierkunde am Fachbereich Veterinärmedizin leitet und die Fächer in Forschung und Lehre vertritt, blickt nicht ohne Stolz auf das in den vergangenen Jahren Geleistete zurück: „2014 habe ich am Ende meiner Antrittsvorlesung den Wunsch formuliert, dass Berlin die Hauptstadt der 3R werden möge. Ich habe nicht zu träumen gewagt, dass wir jetzt sogar schon einen Schritt weiter sind: Berlin ist die Hauptstadt der 3R und soll nun die Hauptstadt der Alternativmethoden werden.“ Die Freie Universität sei dabei stets vorangegangen, etwa mit der Graduiertenschule der Berlin-Brandenburger Forschungsplattform BB3R, die die Forschungen auf diesem Gebiet bündelt und Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler in Alternativmethoden und tierschonenden Arbeitsweisen qualifiziert. Später kam die Charité mit ihrem Programm 3R hinzu, seit Sommer 2020 vertritt Thöne-Reineke die Freie Universität als stellvertretende Sprecherin im neugegründeten Einstein-Zentrum 3R.

Die Tierschutzbeauftragte sagt, es sei wichtig, alternative Methoden zu entwickeln. Es dürften aber keine falschen Erwartungen geweckt werden: In manchen Bereichen werde man noch sehr lange auf Tierversuche angewiesen sein, beispielsweise in der Verhaltensforschung, in der Immunforschung sowie bei der Entwicklung von neuen Medikamenten und Impfstoffen. „In letzter Konsequenz müssen wir uns fragen: Können wir verantworten, Tierversuche bei uns zu verbieten, wenn sie dann in anderen Ländern durchgeführt werden, womöglich ohne Kontrollen und qualifiziertes Personal?“

Manchmal ist es offensichtlich, dass ein Tier leidet, oft aber auch nicht. Als Verhaltensforscherin entwickelt Thöne-Reineke mit einem interdisziplinären Team in dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Exzellenzcluster Science of Intelligence (SCIoI) gestützte Methoden, mit denen auch dank Künstlicher Intelligenz sogenannte Tierwohlindikatoren erfasst und verbessert werden können, zum Beispiel um am Gesichtsausdruck von Mäusen zu erkennen, wann sie gestresst sind. Ähnliches untersuchen ihre Mitarbeiterinnen bei Nutztieren und Pferden. „Im Projekt „­HorseWatch“, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, wollen wir mit Hilfe von Verhaltensuntersuchungen herausfinden, in welchem Alter Warmblüter, Galopp- und Trabrennpferde ausgebildet werden sollten, damit sie möglichst wenig leiden.“ Denn belastenden Stress empfinden nicht nur Versuchstiere, so Thöne-Reineke: „Ich würde mir wünschen, dass die ethischen Fragen, die wir uns in der Forschung stellen, auch auf den Umgang mit Haustieren und landwirtschaftlichen Nutztieren übertragen werden.“

Den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn behindern Tierschutz und Tierwohl jedenfalls nicht; im Gegenteil, so Thöne-Reineke: „Nur von einem Tier, das gut behandelt wird und sich wohlfühlt, bekomme ich valide und reproduzierbare Ergebnisse.“ Diesen Zusammenhang bringt sie seit Jahren Kolleginnen und Kollegen anderer Disziplinen näher. „In allen Teams, die Tierversuche durchführen, sollte sich mindestens ein Tierarzt darum kümmern, dass es den Tieren gut geht. Sonst sind die modernsten Messmethoden nutzlos.“

Dafür ist es natürlich notwendig, dass Tierethik und Tierversuchskunde in der veterinärmedizinischen Ausbildung angeboten werden, wie dies an der Freien Universität der Fall ist. Thöne-Reineke wurde, gemeinsam mit der Pharmakologie-Professorin Dr. Schäfer-Korting und der Pharmakologin Dr. Vivian Krahl, für ihre Ringvorlesung „Alternativen zu Tierversuchen in Forschung, Ausbildung und Lehre“ 2015 mit dem Forschungspreis des Landes Berlin ausgezeichnet. Schon lange vor Corona hätten Interessierte diese Vorlesungsreihe auch online verfolgen können, erzählt sie: „Und jedes Jahr haben wir mehr Teilnehmende. Im Moment sind es 2000 Menschen aus aller Welt. Dieser Erfolg überrascht mich selbst.“

Der besondere Berliner "Spirit"

Im Austausch mit Studierenden entstünden viele Ideen für Verbesserungen und Weiterentwicklungen, sagt Thöne-Reineke: ein Ethikcodex von Studierenden für Studierende der Veterinärmedizin zum Beispiel; oder Tiermodelle, an denen man Studieninhalte vermitteln und üben kann, ohne lebende Tiere einzusetzen. Auch Dekan Rösler lobt das Engagement und die Empathie der Studierenden: „Sie fordern ein, dass wir moderne, nachhaltige und am Tierwohl orientierte Haltungssysteme für die Landwirtschaft erforschen und entwickeln. Und sie bestärken uns darin, Politik und Gesellschaft entsprechende Impulse zu geben.“ Einen besonderen Berliner „Spirit“ nimmt Thomas Alter wahr: „Das Interesse unserer Studierenden verschiebt sich: weg vom Fleisch, hin zu den Nahrungsmitteln der Zukunft.“ So seien etwa Seminare zur Lebensmittelsicherheit von Fisch und Muscheln sehr gefragt. Zu anderen Trendthemen wie Insekten oder Zellkulturfleisch werde jedoch an deutschen Universitäten bislang kaum geforscht. Wer weiß: Vielleicht entwickeln die Studierenden der Freien Universität gerade Ideen, die Berlin auch auf diesem Feld zum Vorreiter der Forschung machen