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„Zwischen Freiheit und Verantwortung“

Die Ausstellung „DUAL USE – Ambivalente Wissenschaften“ zeigte im Henry-Ford-Bau den zweifachen, teils ambivalenten Nutzen von Wissenschaft

24.05.2023

Die Ausstellung DUAL USE zeigte an der Freien Universität den ambivalenten Nutzen von Wissenschaft.

Die Ausstellung DUAL USE zeigte an der Freien Universität den ambivalenten Nutzen von Wissenschaft.

Wer an Impfstoffen forscht, liefert möglicherweise eine Bauanleitung für Superviren. Wer Künstliche Intelligenz nutzt, riskiert, dass diese nicht empathisch und fair entscheidet. Wer die Kernspaltung entdeckt, bereitet auch den Weg für die Atombombe. Wissen hat oft zwei Seiten: Unter „Dual Use“ wird in der Wissenschaft die doppelte oder mehrfache Verwendbarkeit von Forschung verstanden. Das Ziel der Wissenschaften, gesellschaftliche Verhältnisse menschenwürdiger zu machen, kann dabei durch eine missbräuchliche Verwendung von Forschungsergebnissen ins Gegenteil verkehrt werden.

„,Dual Use‘ kann jede wissenschaftliche Disziplin betreffen“, sagte Biologieprofessor Dr. Jens Rolff bei der Vernissage am 26. Oktober 2023, „sogar die Archäologie.“ Das habe er bei den Vorbereitungen für die Ausstellung gelernt: So könnten beispielsweise Drohnenaufnahmen, die zur Suche nach archäologischen Funden gemacht werden, auch zum Ausspähen der Bevölkerung dienen. Gemeinsam mit dem Konfliktforscher und Vizepräsidenten der Freien Universität, Prof. Dr. Sven Chojnacki, hatte er das „Dual Use“-Projekt angestoßen, Arbeitsgruppen aus sieben Forschungsbereichen der Freien Universität beteiligten sich und steuerten Themen bei. Neben Hochschullehrerinnen und -lehrern seien auch viele Studierende beteiligt gewesen, berichtete Rolff: „Die Inhalte sind organisch gewachsen, sie sind das Ergebnis einer Graswurzelbewegung.“

Prof. Dr. Günter M. Ziegler, Präsident der Freien Universität, griff in seinem Grußwort ein Zitat des Philosophen und Wissenschaftstheoretikers Francis Bacon auf: „Denn Wissen selbst ist Macht“. Die Macht des Wissens und der Wissenschaft könne natürlich auch missbraucht werden. Was also tun – die Forschung unterlassen, um Schaden auszuschließen? Das sei keine Option, erklärte Ziegler. „Wir müssen über Risiken, Missbrauchspotenzial und Gefahren reden. Wir müssen Forschung begleiten und Wissenschaft, Gesellschaft und Politik für ,Dual Use‘ sensibilisieren.“

Als Einladung zum Gespräch verstand die Projektbeteiligte Vanessa Schulmann die vom Graphikbüro „Studio Laucke Siebein“ gestalteten Ausstellungswände. „Reden Sie mit der Person, die neben Ihnen steht“, ermunterte die wissenschaftliche Mitarbeiterin der Arbeitsgruppe Humanbiologie. „Danach werden Sie vermutlich mehr Fragen als Antworten haben, denn es gibt keine einfachen Antworten.“

Auch Pharmazieprofessorin Dr. Charlotte Kloft kennt das „Dual Use“-Dilemma: „Arzneistoffe haben nicht nur die erwünschte Wirkung auf Patientinnen und Patienten, es gibt auch Risiken und Nebenwirkungen“, berichtete sie, „aber kann man die Risiken immer richtig abschätzen?“ Ein Narkosemittel wie Ketamin werde beispielsweise auch als Droge missbraucht – mit gefährlichen Folgen. Umgekehrt wurde aus dem verheerenden Senfgas, von den Chemikern Wilhelm Lommel und Wilhelm Steinkopf zur Kriegsführung im Ersten Weltkrieg vorgeschlagen, später der erste Wirkstoff für die Chemotherapie gegen Krebs. Viele Beispiele wie diese fanden sich auf den Ausstellungswänden.

Die Finanzierung der sehr gut besuchten Ausstellung war, wie sie selbst, eine Kollektivleistung: Viele Forschungsgruppen gaben, ebenso wie die Ernst-Reuter-Gesellschaft, Geld aus ihren Budgets dazu.