Tilman Fichter ist gestorben
Unser ehemaliger Kollege und ZdF-Autor Tilman Fichter ist am 5. März 2025 im Alter von 87 Jahren gestorben
News vom 14.03.2025
Tilman Fichter im Gespräch mit seinen ehemaligen SDS-Genossen Hartmut Zinser und Manfred Scharrer. Aufgenommen im Universitätsarchiv der FU 2019 anläßlich des 80. Geburtstags von Siegward Lönnendonker.
Tilman Fichter, geboren am 1. August 1937 in Berlin, entstammte einer bürgerlichen Familie, seine Eltern waren Ärzte. Eine bürgerliche Karriere mochte er jedoch nicht einschlagen. Er fuhr stattdessen zur See. Nach harten Zeiten als Schiffsjunge auf Überseefrachtern trat Fichter in ein Ausbildungsverhältnis als Versicherungskaufmann ein. In West-Berlin legte er 1963 auf dem 2. Bildungsweg das Abitur ab und begann an der Freien Universität Politische Wissenschaft und Soziologie zu studieren. Er trat dem SDS bei und gehörte bald zu dessen antiautoritär aktionistischen Flügel um Rudi Dutschke. Nach dem Zerfall des Verbandes arbeitete Tilman Fichter in der Zeitung "Agit 883" mit und später in der Redaktion der Zeitschrift für eine neue Linke "Langer Marsch". Von 1971 bis 1981 war Fichter wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentralinstitut für sozialwissenschaftliche Forschung. Er promovierte 1986 bei Theo Pirker zum Thema „SDS und SPD: Parteilichkeit jenseits der Partei“. In zahlreichen Veröffentlichungen befasste sich Fichter mit der Geschichte des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS), der Studentenbewegung sowie der Geschichte der Freien Universität Berlin. So brachte er u.a. mit Siegward Lönnendonker die "Kleine Geschichte des SDS" heraus und war Mitautor der sechsbändigen Dokumentation "Hochschule im Umbruch" über die FU-Geschichte. Peter Glotz verhalf ihm 1986 zu einer Festanstellung als Referent für Schulung und Bildung im SPD-Parteivorstand. 1993 erschien Fichters Buch "Die SPD und die Nation. Vier sozialdemokratische Generationen zwischen nationaler Selbstbestimmung und Zweistaatlichkeit". Die darin enthaltene Kritik an der Vernachlässigung der Nationalen Frage durch die SPD brachte ihm zu Unrecht Anschuldigungen ein, in deutschnationales Fahrwasser abgedriftet zu sein. Nach der Wiederverenigung unterstützte Fichter als Reisekader tatkräftig den Aufbau von SPD-Ortsgruppen in den neuen Bundesländern. Bis in das vergangene Jahr schaute er immer wieder im Forschungsverbund SED-Staat vorbei. Er besuchte seine langjährige Gefährtin und Co-Autorin Ute Schmidt (Der erzwungene Kapitalismus. Klassenkämpfe in den Westzonen 1945–48. Berlin 1971.) und verwickelte alle gerade Anwesenden in Debatten über die Weltlage und seine Sicht auf die Geschichte des geteilten Deutschland. Seinen Traum, auf einem Segelschiff den Atlantik hin und zurück nach New York zu überqueren, konnte Tilman Fichter sich noch in hohem Alter erfüllen. Nun hat er seine letzte Reise angetreten.
Jochen Staadt
Ute Schmidt und Tilman Fichter 1968