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Meister des Mutmachens

Kennedys Rede an der Freien Universität: Interview mit dem Politik-Linguisten Josef Klein

Experte für Politische Rede: Josef Klein

Experte für Politische Rede: Josef Klein
Bildquelle: UA Freie Universität Berlin/privat

Der Anführer der Freien Welt an der Freien Universität: John F. Kennedy überschüttete sein Publikum mit Komplimenten und Pathos. wir, das Magazin für die Ehemaligen und Freunde der Freien Universität, hatte mit Josef Klein, Experte für politische Linguistik, über die Rede des US-Präsidenten gesprochen: Der Sprachwissenschaftler erklärt, wie geschickt Kennedy seine Botschaften in Dahlem platziert – und wie konventionell seine Rhetorik doch manchmal war.

wir: Herr Klein, so gut wie jeder kann einen Satz von John F. Kennedy zitieren: „Ich bin ein Berliner“, gesagt auf dem Balkon des Rathauses Schöneberg 1963. Danach fuhr der US-Präsident nach Dahlem an die Freie Universität und hielt eine zweite Rede in Berlin. Doch selbst wer dabei war, kann sich an keinen ähnlich mitreißenden Satz erinnern. Warum?

Klein: Kennedys Redenschreiber wären ihr Geld nicht wert gewesen, wenn sie in beide Reden einen solchen Satz montiert hätten. Ein Redner kann am selben Tag am selben Ort nur einen Kernsatz platzieren, der zitierfähig ist und sich für Überschriften eignet. Sonst drohen sich Botschaften und Zitate gegenseitig zu blockieren.

wir: Welches war denn die wichtigere Rede?

Klein: Es kommt darauf an. Mit seiner Rede in Schöneberg richtet sich Kennedy an die Massen und die Medien – es geht um das Signal: Der amerikanische Präsident steht zur Frontstadt des Kalten Krieges. Er sagt ja nicht aus Sympathie, er sei Berliner, sondern er leitet dieses Maximum an Identifikation ab vom Ideal der Freiheit. Er spricht die Emotionen an; ein bisschen billig, aber sehr geschickt bringt er die Leute zum Jubeln.

wir: Und in Dahlem?

Klein: Dort sprach er das Führungspersonal in Deutschland an und hielt die inhaltlich weitaus relevantere Rede. Sie enthält im Kern drei Botschaften: Erstens sagte er der Sowjetunion, die USA würden auch militärisch für ein freies West-Berlin einstehen – und zwar ganz klar: „Der Schild militärischer Verpflichtungen wird nicht gesenkt oder weggelegt werden, solange er gebraucht wird.“ Das ist im Gesamtblick auf die Rede nur ein Einschub, aber er ist von zentraler Bedeutung, schließlich liegt die Kuba-Krise gerade mal ein halbes Jahr zurück. Vom „Militär“ spricht er nur hier.

 


Zur Person

Josef Klein, 72, ist Experte für Sprache in der Politik. Der Professor für Linguistik verbindet in seiner Forschung medien-, sprach- und politikwissenschaftliche Methoden. Selbst saß er in den siebziger Jahren für die CDU im Bundestag, konzentrierte sich danach aber auf seine wissenschaftliche Karriere, wurde schließlich Präsident der Universität Koblenz-Landau. Seit seiner Emeritierung im Jahr 2005 arbeitet und lehrt er am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität.

 


wir: Wie lauten die anderen Botschaften?

Klein: Er redet zweitens denjenigen im Westen ins Gewissen, die glauben, durch eine reine Politik der Stärke ließe sich die Kraft des Ostens brechen und die Mauer beseitigen. Er wirbt für die Anerkennung der Realitäten.

wir: Egon Bahr, damals Senatssprecher unter dem Regierenden Bürgermeister Willy Brandt, erkennt darin ein Signal für die künftige Ostpolitik des Westens.

Klein: Ja, das lässt sich so sehen. Zumal die dritte Botschaft Kennedys eine visionäre ist: Er bekundet die Hoffnung, den Ost-West-Konflikt zu überwinden, nicht durch Gewalt, sondern durch das Ausspielen der Kraft der Freiheit und der westlichen Werte. Sicher, er bleibt hier vage, aber mich hat das sehr beeindruckt: Es lässt sich lesen als eine Vorausschau auf die Ereignisse im Jahr 1989.

wir: Wie vermittelt Kennedy diese Botschaften?

Klein: Zunächst überschüttet er sein Publikum mit Komplimenten, ähnlich wie am Rathaus Schöneberg: Die Berliner seien so stark, so mutig, so frei. Dann macht er einen kurzen Witz, bei dem er sich auf Bismarck bezieht, und spricht schließlich über Werte, dabei hebt er die Stimme und wird pathetischer.

"Kennedy will die Leute in Dahlem nicht mitreißen wie bei einer Wahlrede"

wir: Wie setzt Kennedy seine Stimme ein?

Klein: Sehr gekonnt, er dirigiert das Publikum ganz bewusst durch das Heben und Senken seiner Stimme. Viele politische Redner beherrschen die Kunst, vom Publikum Applaus und Beifall an den richtigen Stellen abzufragen. Aber Kennedy mit seiner metallischen Stimme und seiner jugendlichen Erscheinung – er wirkt neben den Professoren, Militärs und deutschen Politkern fast wie ein Filmstar – gehört fraglos zu den Meistern.

wir: Er spricht darüber, dass die Freie Universität ein Interesse daran habe, „nicht nur Syndikusse und vereidigte Buchprüfer auszubilden“,sondern „Weltbürger, die ihre Kraft in den Dienst des Fortschritts einer freien Gesellschaft“stellen. Ein Zitat, das mittlerweile im Uni-Präsidiumin Dahlem das Foyer ziert.

Klein: Ja, er definiert das Ausbildungsziel nicht nur der Freien Universität, sondern aller Hochschulen. Danach spricht er über das Idealbild eines Professors und von Wissenschaft als Verpflichtung, sich in den Dienst des Allgemeinwohl zu stellen – wohlgemerkt nicht in den Dienst der Wahrheit, sondern des Allgemeinwohls. Wenn man so will, verbeugt er sich erst vor seinem Publikum und macht ihm dann Vorschriften, in dem er Normen setzt. Er beruft sich hierfür auf die Gründerväter der USA, was typisch ist für amerikanische Präsidenten, und zwar auf jene, die auch Hochschullehrer waren: Madison, Jefferson und Franklin.

wir: Es ist doch üblich, andere große Männer und Frauen zu zitieren.

Klein: Sicher, das ist ein gängiges rhetorisches Mittel – und in diesem Punkt ist Kennedys Rede eine durchaus konventionelle Hochschulrede, mit der er auch intellektuell beeindrucken will. Er greift reichlich auf intellektuell akzeptierte Autoritäten zurück, auch Goethe kommt natürlich vor.

wir: Welche rhetorischen Mittel fallen noch auf?

Klein: Oft benutzt er eine Dreierfigur, zum Beispiel: West-Berlin werde blockiert, bedroht und drangsaliert. Oder: Berlin kultiviere trotz aller Widrigkeiten Industrie, Kultur und Wissenschaft. Immer ein Dreisprung, sehr üblich in der Rhetorik und sehr wirksam. Auch die Trias aus „Wahrheit, Gerechtigkeit, Freiheit“, den Leitspruch der Freien Universität, greift er auf und gliedert an ihr den zweiten Teil seiner Rede. Und immer wird natürlich der Kontrast zum Osten deutlich, auch wenn er eher mitschwingt, als dass er deutlich ausgesprochen wird.

wir: Ein kritisches Wort kommt ihm nicht überdie Lippen.

Klein: Ja, das ist auffällig. Er spricht an keiner Stelle über die deutsche Vergangenheit, über das Schweigen und Weggucken sowie die Mittäterschaft vieler Intellektueller, dabei liegt die NS Zeit noch nicht lange zurück. Die Bundesrepublik wird eben jetzt als Alliierter im Kalten Krieg gebraucht. Durch all seine Komplimente will er außerdem denjenigen den Wind aus den Segeln nehmen, die sich ärgern über das Zögern Kennedys.Immerhin besucht er Deutschland und West-Berlin erst zwei Jahre nach dem Mauerbau.

wir: Wie tritt er auf?

Klein: Kennedy will die Leute in Dahlem nicht mitreißen wie bei einer Wahlrede, er will inhaltlich die richtigen Akzente setzen und den West-Berlinern signalisieren, dass sie nicht verzagen sollen. Er beherrscht geradezu meisterhaft die Rhetorik des Mutmachens, bei allen Berliner Auftritten. Das lässt sich nicht an einem einzigen rhetorischen Mittel festmachen, sondern eher daran, wie er spricht: In der Linguistik nennen wir das „kolloquial“, er spricht das Publikum direkt an. Er redet nicht wie ein Professor in einer Vorlesung nüchtern über einen Sachverhalt, sondern er nimmt die Hörer mit. Und er spricht ständig von sich.

wir: Warum wirkt das nicht eitel?

Klein: Kennedy kann sich das damals noch erlauben– seine Schwächen und Skandale sind noch nicht öffentlich bekannt. Er steht für die moralische Autorität des Westens, für den Schutz West-Berlins. Und er personalisiert mit großer Selbstverständlichkeit, schließlich war sein ganzer Wahlkampf auf ihn als Hoffnungsträger und Heilsbringer zugeschnitten. Jetzt, in Berlin, tritt er auf als Weltautorität. Die Stärke seiner Botschaft ist mit seiner Person verbunden.

wir: Aber nicht nur mit seiner Person?

Klein: Natürlich nicht, die Wirkung einer Rede hat mit unzähligen Faktoren zu tun, mit dem historischen Kontext zum Beispiel, mit der Erwartung des Publikums, mit dem konkreten Zeitpunkt. Ich glaube nicht, dass die Welt Kennedy als Hoffnungsträger in Erinnerung behalten hätte, wenn er nicht erschossen worden wäre, allein schon wegen seiner Verantwortung für den Vietnamkrieg.

wir: Wäre Kennedy schon vor dem Mauerbau nach Berlin gekommen...

Klein: … hätten ihn die Menschen wahrscheinlich nicht so überschwänglich begrüßt. Es war eine sehr besondere Situation 1963 in Berlin. Kennedys Besuch an der Freien Universität, das war ein großer Auftritt, aber es war nicht seine größte Rede.

Weitere Informationen

Das Interview erschien erstmalig im Alumnimagazin wir der Freien Universität Berlin.