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Laudatio von Christine Keitel

Laudatio zur Verleihung des Margherita-von-Brentano-Preises 2005 an die Projektgruppe "Frauen an der Spitze" - Aktionsbündnis zur Steigerung des Frauenanteils in den Führungspositionen des Sports

von  Prof. Dr. Christine Keitel-Kreidt

Sehr geehrte Frau Prof. Dr. Dr. h.c. Gudrun Doll-Tepper, sehr geehrte Frau Prof. Dr. Dr. Gertrud Pfister, sehr geehrte Frau Sabine Radtke, sehr geehrte Frau Claudia Biskup, sehr geehrte Frau Doris Kula, sehr geehrte Frau Dorothea Müth,  und sehr geehrte Frau Heidrun Plath, dies sind nämlich die Projektmitarbeiterinnen und Preisträgerinnen, von denen wir heute sprechen - sehr geehrter Herr Senator, sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren!

Der Präsident der Freien Universität Berlin zeichnet heute, auf Vorschlag und Empfehlung des des Frauenrats der Freien Universität, die Mitarbeiterinnen des Projekts „Frauen an die Spitze – Aktionsbündnis zur Steigerung des Frauenanteils in den Führungspositionen des Sports“, mit dem Margherita-von-Brentano-Preis 2005 aus.

Dieses außergewöhnliche Projekt wurde gemeinsam konzipiert und geleitet von Prof. Dr. Dr. Gudrun Doll-Tepper (Freie Universität Berlin, Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie, Arbeitsbereich Integrationspädagogik, Bewegung und Sport) und Prof. Dr. Dr. Gertrud Pfister (vormals Freie Universität Berlin, heute Universität Kopenhagen);  entwickelt und ausgeführt in Zusammenarbeit mit den Wissenschaftlichen und Studentischen Mitarbeiterinnen, und vom Bundesministerium für Familie, Jugend, Senioren und Sport über einen Zeitraum von 2001-2005 finanziell gefördert. Es besteht, und das ist ungewöhnlich und deshalb nachahmenswert, aus zwei Projekten, einem Forschungsprojekt, das von 2001-2005 an der Freien Universität Berlin durchgeführt wurde, und einem Praxisprojekt,  das in der ersten Phase vom Nationalen Olympischen Komitee unterstützt in Frankfurt a.M. angesiedelt war, von 2003-2005 in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Sportbund fortgeführt wurde.

Die zwei umfangreichen, aber gleichgewichtigen Teilprojekte sind eng aufeinander bezogen und verknüpfen wissenschaftliche Forschung, die sich der systematischen wissenschaftlichen Analyse der Geschlechterverteilung in Führungsämtern des Sports und der Analyse möglicher Ursachen einer Unterrepräsentation von Frauen in Führungspositionen – unter Bezug auf Arbeits- und Organisationssoziologie und Geschlechtertheorien – zuwandte, mit einem Praxisprojekt, das sich die Entwicklung und Umsetzung von Maßnahmen zur Gewinnung von Frauen in Ehrenämter in Führungspositionen und die Entwicklung und Umsetzung von Konzepten zum Gender Mainstreaming im Sport allgemein  zum Ziel gesetzt hat.

Dabei soll paradigmatisch deutlich werden, wie die Erfahrungen und Kompetenzen von Frauen auch für Leitungspositionen im Sport genutzt werden können und damit ein Defizit an meist ehrenamtlichen Führungskräften abgebaut werden kann.

Das Gesamtprojekt bezeichnet sich ambitioniert und provokativ als ein „Aktionsbündnis“, das die bestehende Geschlechterhierarchie in den Entscheidungsgremien nationaler und internationaler Sportorganisationen  nicht nur als ungerecht und ungerechtfertigt versteht und deshalb aufklärend detailliert darstellt, sondern auch den geringen Einfluss von Frauen auf Entwicklungen und Entscheidungen in diesem wichtigen Bereich als unproduktiv ansieht. Dies wird deshalb nicht nur wissenschaftlich konstatiert und erklärt, sondern durch neu zu entwickelnde Maßnahmen und Konzepte für praktische Aktionen in praktische Strategien zur Veränderung umgesetzt. Dies ist das Besondere und Ungewöhnliche dieses Projekts: Das umfassende Ziel des Projekts ist nicht nur ein wissenschaftliches, sondern ein politisches und praktisches, ein Aktionsziel, nämlich, dass Frauen einen gleichberechtigten Zugang zu Einfluss und Mitbestimmung in einem gewichtigen – politischen, ökonomischen und gesamtgesellschaftlichen Bereich, lokal, national und international, durchsetzen.

Genderforschung im Bereich Sport erschien mir zunächst eher fremd: Zwar hat die Zulassung von Frauen zu sportlichen Aktivitäten und schließlich offiziellen Wettkämpfen auch erst sehr spät stattgefunden, die gerechte Lösung aber wurde ja von Anfang an darin gesehen, dass sportliche Aktivitäten, vor allem Wettkämpfe, völlig einer durchgehenden Segregation unterworfen wurden: Frauen kämpfen gegen Frauen, Männer gegen Männer. Da in manchen Bereichen, die mit größerer öffentlicher oder medial erzeugter Aufmerksamkeit verfolgt werden – etwa welcher Mensch kann am schnellsten 100 m laufen – immer noch wieder bestätigt wurde, dass dies nur Männer sein können, erscheinen männliche Sieger häufiger mit größerer Sichtbarkeit oder Wertschätzung gefeiert, dies wird beispielsweise deutlich sichtbar an der deutschen Weltmeisterschaft im Frauenfussball im Vergleich zu der unglaublich übertriebenen Großinszenierung einer männlichen Fußball-Weltmeisterschaft in 2006.

Die überwiegende Segregation lässt deshalb zunächst Nicht-Kenner der Szene vermuten, dass dann eben in den Leitungsgremien des Frauensports die Frauen das Wort haben, wie in den männlichen die Männer. Das ist erstaunlicherweise aber gerade nicht so, weil ab einer bestimmten Hierarchieebene von Tätigkeiten in Verbandstrukturen die Segregation aufhört und die Kader und Funktionäre für beide Geschlechter zuständig sind, und eben da finden sich – je höher die Hierarchieebene, desto mehr männliche Funktionäre – das war für mich zunächst ein überraschende Phänomen.

Eine solche Bestandaufnahme und die wissenschaftliche Struktur-Analyse der Entscheidungsgremien in den Dachorganisationen des Sports und der Verbände ergibt demnach nicht nur eine deutliche horizontale, sondern auch eine vertikale Segregation der Positionen und Aufgaben nach Geschlecht; die Analyse von Ursachen dafür und deren mögliche Zusammenhänge mit anderen Struktur- und Entscheidungsmerkmalen war deshalb vordringliche Aufgabe im Projekt, sie erfolgte einmal mithilfe umfangreicher empirischer Untersuchungen - Befragungen aller Führungskräfte, und gezielt der weiblichen Führungskräfte, oder der Übungsleiterinnen, ehemaligen Leistungssportlerinnen und Sportlern als der potentiellen Funktionäre. Dies wurde ergänzt und substantiiert durch eine Strukturanalyse des Landessportverbandes und eine Evaluationsstudie zu Frauenfördermaßnahmen im Sport. Wenn in den Präsidien von 25 Spitzensportverbänden – 45% aller  Spitzenverbände – keine einzige Frau gefunden werden kann, so muss gefragt werden, warum dies so ist: Sind Frauen dort nicht erwünscht? Wird nicht genug in die Gewinnung und Förderung weiblicher Führungskräfte investiert? Wollen Frauen dort nicht sein, d.h. gibt es zu wenige Interessentinnen und warum? Verfügen Frauen nicht über die notwendigen Qualifikationen und Kompetenzen? Streben Frauen überhaupt seltener solche Positionen an und warum?

Das Problem der Nicht- bzw. Unterrepräsentanz wurde von zwei Seiten beleuchtet: von den objektiven Bedingungen her - wie Organisationsstrukturen, und den biographischen Lebenszusammenhängen der potentiellen weiblichen Führungskräfte;  sowie von den subjektiven Bedingungen her - den Motiven, Wünschen, empfundenen Barrieren und (fehlenden) Anreizsystemen. Ergebnisse über die Befunde wurden 2004 mit dem provokanten Titel „Hat Führung ein Geschlecht?“ veröffentlicht.

Die Mitarbeiterinnen des Wissenschafts- und des Praxisprojekts entwickelten deshalb zusätzlich - in wechselseitigem Austausch von wissenschaftlichen Analysen und praktischen Maßnahmen - Konzeptionen der Rekrutierung, Motivierung, Ausbildung und Betreuung weiblicher Führungskräfte. Ein Netzwerk von Kooperationspartnern in verschiedenen Verbänden auf unterschiedlichen Ebenen wurde geschaffen, das die praktischen Maßnahmen erprobte und zu Richtlinien des Handelns werden ließ, so dass diese zugleich auch wissenschaftlich  evaluiert werden konnten. Es entstanden eine je speziell ausgerichtete Vielfalt von Leitfäden und Handreichungen wie z.B. der uns vorliegende Praxisleitfaden zum Mentoring, adressaten-spezifisch konzipierte Schulungen zu „Awareness raising“ und „Gender mainstreaming“ – wir reden heute alle denglisch - , die bereits als verbindliche Richtlinie für politische Maßnahmen von Verbänden und Organisationen aufgenommen wurde. Informationsveranstaltungen zu praktischen Maßnahmen auf allen Ebenen von Verbänden und eigenständige Praxisprojekte in Einzelverbänden boten die konkrete Basis für Evaluationsstudien und die Verbesserung der entwickelten Konzeptionen und Maßnahmen. Eine homepage (http://www.femtop.de) bindet die verschiedenen Projektaktivitäten enger zusammen und wird heute nicht nur von den am Projekt unmittelbar beteiligten und interessierten, sondern auch von zahlreichen am Thema Frauenförderung allgemein und Gendermainstreaming interessierten aufgesucht.

Zum Forschungsstand berichten die Projektleiterinnen, dass trotz zahlreicher neuer und wertvoller Informationen über Strukturen des DSB oder einzelner Verbände noch kein vollständiges Bild der Situation entstanden ist. Vielleicht ist das zu bescheiden, auf jeden Fall ehrlich. Es sind schon einige eindeutige und durch Zahlenverhältnisse belegbare Befunde deutlich geworden: auch in diesem Kontext zeigt sich die besonders schwierige Vereinbarkeit von Beruf, Familie und nun auch noch Ehrenamt, was für Frauen sehr viel weniger zu leisten ist als für verheiratete Männer, deren Frauen sie für ehrenamtliche oder Zusatzfunktionen freihalten und die Familie allein managen. Familiensituation, Zahl der Kinder und Art der Erwerbstätigkeit sind für Frauen in Führungspositionen deutlich stärker eingeschränkt als für Männer. Besonders auffällig aber auch hier: In 97% aller Fälle ist das Präsidentenamt in den jeweiligen Gremien von einem Mann besetzt, außer im Frauenressort überwiegen in allen Funktionsbereichen die Männer, es gibt keine einzige Ehrenpräsidentin.

Auch die Tätigkeitsfelder Presse/Medien/Öffentlichkeitsarbeit oder Natur/Umwelt/Gewässer – in allgemein-gesellschaftlichen Bereichen ja durchaus von Frauen häufig gewählt und gut leistbar – sind im Sportverband reine Männerdomänen. Eingang in die Führungsetagen des Sports findet nur ein spezifischer Typus von Frau: der sich den gegebenen Strukturen ohne Widerspruch anpassen kann und will, der sich an der Starrheit der vorgefundenen Strukturen nicht stört, der sich gegen besondere Aktivitäten der männlichen Kollegen gegen ihre Teilnahme nicht zur Wehr setzt.

Kleine Erfolge werden gern berichtet: Das Internationale Olympische Komitee hat die nationalen olympischen Komitees angewiesen sicherzustellen, dass der Frauen-Anteil in Entscheidungsgremien bis 2005 auf mindestens 20% erhöht wird, dies ist zumindest neue politische Richtlinie, wenn auch noch nicht umgesetzt.

Eine eindrucksvolle Publikationsliste belegt die vielfältigen Arbeiten des Aktionsbündnisses. Dabei haben die Projektleiterinnen über die Projekt-MitarbeiterInnen hinaus zusätzlich Mitstreiterinnen eingeworben und qualifiziert: eine Reihe von Qualifikations- und Examensarbeiten zu Teil-Analysen haben zur Aufklärung beigetragen, verschiedene Pilotstudien liegen vor, die noch zu integrieren sind – noch sind nicht alle Auswertungen abgeschlossen.

Die Mehrzahl der in den Studien befragten Frauen in Führungspositionen beklagen einmal – wie vielleicht auch erwartet - die geringe Unterstützung, die sie im Unterschied zu ihren männlichen Kollegen erfahren, bemängeln aber besonders die Bedingungen und Strukturen der Informations- und Entscheidungsprozesse in den Gremien auf allen Ebenen. Ich hoffe, dass über solche Erkenntnisse und Erfahrungen Frau Doll-Tepper heute hier noch einige erhellende Ausführungen machen wird, und vielleicht auch einige Aussagen zu den Gründen für Desinteresse oder Ausstieg.

Weiterführende Forschungsarbeiten bzw. Analysen zu ehrenamtlichen Leitungsstrukturen in Kultur und zu Führungspositionen in Politik oder Wirtschaft sind geplant, um diese mit solchen im Sport zu vergleichen bzw. zu übertragen, und es sollen auch noch mehr internationale Studien, die durch dieses Projekt mit angeregt wurden, zu Vergleichszwecken herangezogen werden. Als ein neues Schwerpunkt-Thema hat sich die Projektgruppe die Erforschung der Verbindung von „Wissenschaft – Wirtschaft/Politik – Sport“ ausgewählt, da dies – obwohl hochaktuell und im Kontext von bürgerschaftlichem Engagement und der Förderung des ehrenamtlichen Sports international und national besonders wichtig - dennoch als unerforscht gilt. Dieses weiterführende Projekt – eine Verbindung von „Wissenschaft – Wirtschaft/ Politik – Sport“  – könnte auch für die positive Außenwirkung der Freien Universität sehr hilfreich sein. Mit dem Preisgeld soll eine wissenschaftliche Analyse der Chancen und Probleme einer Einbindung von Quereinsteigerinnen und –einsteigern ins Sportverbandssystem begonnen werden.

Das ambitionierte  Projekt „Frauen an die Spitze – Aktionsbündnis zur Steigerung des Frauenanteils in den Führungspositionen des Sports“ ist nicht hinreichend zu würdigen, ohne die besonderen persönlichen Qualitäten der beiden Projektleiterinnen und der von ihnen ausgewählten Mitarbeiterinnen herauszuheben: Wir sind konfrontiert mit Frauenpower von Powerfrauen. Es ist kaum vorstellbar, jedoch typisch für die beiden Projektleiterinnen, mit welch enormem Einsatz aller personalen und immateriellen Ressourcen, aller politischen und sozialen Beziehungsgeflechte, mit unermüdlichem und sportlich-lebendigem Engagement sowie einem unerschöpflichen Willen das Projekt realisiert wurde. Hierzu haben die Persönlichkeitseigenschaften der Projektleiterinnen ganz wesentlich beigetragen: Politisch selbst in höchstem Maße kompetent, voller Tatendrang und Schaffenskraft, ungebrochen von Widerständen und Gegenwind, mitreißend durch Begeisterung und Arbeitswillen. Ich erinnere mich sehr gut, wie ich gleich zu Beginn meines Arbeitslebens an der FU Frau Doll-Tepper als solche Frau mit kämpferischen Durchsetzungsvermögen und großer Schlagfertigkeit kennen- und schätzen gelernt habe: Es war in der ersten Fachbereichssitzung, an der ich als Neue als Gast teilnahm, in der sie die Kollegen einschließlich des damaligen Dekans, der heute unser Präsident ist, auf solch eindringliche Weise von einem Vorhaben überzeugt und natürlich dafür gewonnen hatte. Sie ist international und weltweit sehr bekannt, geschätzt und geehrt, nicht zuletzt auch wegen ihres Engagements für die Paralympics, sie hat die Verbindung von Sportpädagogik und Integrationspädagogik zu einer Selbstverständlichkeit gemacht. Ihre Kollegin und Projektpartnerin Gudrun Pfister ist für ihre historischen und soziologischen Analysen in der Genderforschung, Schulforschung und Sportsoziologie  international ebenfalls sehr bekannt und geschätzt, beide erreichen es in besonderer Weise, durch eindringliche Texte und persönliches Vorbild Studierende für diese Thematik zu interessieren und engagieren. Es ist klar, dass ein solches Leitungs-Team ebenso engagierte Mitarbeiter hervorbringt, sowohl Frau Radtke und Frau Biskup als auch Frau Müth, Frau Plath und Frau Kula – die letztere konnte vor kurzer Zeit von mir als stud. Mitarbeiterin für meinen Arbeitsbereich gewonnen werden – alle genannten haben - ohne sich irgendeiner sozialen Hierarchie unterworfen fühlen zu müssen – großes Engagement eingebracht, das für das Gelingen des Projekts unabdingbar war. Ihnen allen unsere Wertschätzung und Hochachtung für ein überzeugendes und ungewöhnliches Projekt, das wir heute mit dem Margarita-von-Brentano-Preis würdigen und feiern.

Bleibt zu wünschen, dass die Kolleginnen sich auch als Beraterinnen des Präsidenten der FUB anbieten und ihm Rat und Hilfe dabei gewähren, dass die Leitungsgremien der FUB, allen voran das Präsidium, eine stärkere Einbeziehung von Frauenpower realisieren und nutzen können, wobei auch hierbei die vorhandenen eingefahrenen Verhaltensrituale, Strukturmerkmale und Informations- und Entscheidungsprozeduren eine große Rolle spielen könnten. Ähnliche Fragen sind vielleicht auch hier zu stellen: Welches  sind die Hinderungsgründe für Frauen einschließlich der Professorinen, sich auf den Leitungsebenen zu engagieren? Wie wird die Informations- und Entscheidungspolitik oder die Diskussionskultur erfahren und eingeschätzt? Es gibt sicher auch hier noch viel zu ändern.

Wir gratulieren Ihnen allen sehr herzlich zu Ihrem Aktionsbündnis, und wünschen Ihnen gutes Gelingen für weitere erfolgreiche Projektaktivitäten!