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Laudatio von Prof. Dr. Georg Schreyögg

Laudatio für Prof. Dr. Gertraude Krell anlässlich der Verleihung des Margharita-von-Brentano-Preises 2003

von Prof. Dr. Georg Schreyögg

Liebe Gertraude, Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren

In der Sylvesterausgabe der Wochenzeitschrift: Die Zeit gab es eine Reihe sehr interessanter Wünsche für das Jahr 2004 zu lesen. Einer der Wünsche wurde für Angela Merkel ausgesprochen. Das Redaktionsteam wünschte ihr einen Kompass.

Es sei dahingestellt, ob die Erfüllung dieses  Wunsches tatsächlich ein Bedürfnis hätte befriedigen könnte oder nicht, eines steht fest, für die heute zu belobigende Preisträgerin wäre ein solches Gerät in jedem Falle überflüssig. Sie verfügt nämlich bereits über einen solches – einen inneren Kompass, der sie unbeirrbar auf ihren Wegen begleitet und aus den vielen Bewegungen eine markante zielstrebige Linie formt. Nein:  „Linie“ trifft es eigentlich noch nicht genau genug. Besser sollte man wohl von einem bisweilen wohl auch „kurvilinearen“ Pfad sprechen, der durch den Dschungel zu legen war.

Mit dem „Dschungel“ – meine sehr verehrten Damen und Herren – meine ich – Sie haben es längst erraten – das Fach, das Gertraude Krell und auch ich zu lehren die Ehre haben, nämlich die Betriebswirtschaftslehre.

Eigentlich ist das Fach gut geordnet, sehr gut sogar. Es ist linear und sehr systematisch ausgelegt, aber für die Themen, die die Preisträgerin so nachhaltig verfolgt, ist es doch eher unwegsames, ja bisweilen sogar schwer durchdringbares Gelände. Einen Kompass braucht man da schon, wenn man ans Ziel kommen will. Und natürlich auch gute Schuhe, am besten mit Profil-Sohle, damit man nicht ausrutscht.

Man kann es auch anders ausdrücken: Der Preisträgerin ist etwas Verblüffendes gelungen, sie hat das Geschlechter-Thema auf die Agenda der Betriebswirtschaftslehre gesetzt. Nicht sie allein war es, gewiss,  da gibt es auch einige andere wissenschaftliche Standorte, die einem hier in den Sinn kommen könnten -  aber niemand sonst hat es so beharrlich und so erfolgreich getan wie sie. An dieser Stelle ist sie der Kollegin, nach der der heute zu verleihende Preis benannt ist, also Margherita von Brentano, vielleicht gar nicht so unähnlich.

Für das Agenda-Setting in unwegsamem Gelände reicht es nämlich keineswegs aus, nur hin und wieder daran zu erinnern, dass das Geschlechterthema auch wichtig ist. Windschnittige Erfolgsgeschichten von „toughen“ Managerinnen zu erzählen, ist das eine, kontinuierlich eine Themenstellung in der wissenschaftlichen Analyse zu verfolgen –  auch auf die Gefahr hin, dass man lästig fällt –  ist das andere.  Wenn sich heute in der deutschen Betriebswirtschaftslehre das Geschlechterthema fest zu etablieren beginnt, so ist es eben doch so, dass dies zu wesentlichen Teilen ein Verdienst der Frau ist, die zu ehren wir hier zusammen gekommen sind.

Wie ist ihr das gelungen?

Nun neben beharrlicher wissenschaftlicher Arbeit – auf die ich gleich noch zu sprechen komme-, ist dies gewiss auch Ihrer Persönlichkeit zu danken: freundlich, kompetent und durch und durch integer, es ist schwer hier Respekt und Sympathie zu versagen. Das hat auch der eine oder andere Kollege, der zunächst an Geschlechterthemen so ganz und gar keinen Gefallen finden konnte,  an sich mit Verblüffung erfahren.

Und ein drittes kommt hinzu, wenn man das Phänomen erklären will, es ist das Praxisnetzwerk. Wie wenig andere ist die Preisträgerin bemüht, ihre Ideen und Ergebnisse auch in die Praxis umzusetzen und in der Praxis zu spiegeln. Nicht umsonst beharrt sie auch darauf, ihr Fach nicht in Personalmanagement oder Human Resources Management  resp. HRM umzubenennen -  wie es in Deutschland derzeit so sehr en vogue ist -, sondern das Fach Personalpolitik zu benennen. Denn aus ihrer Sicht hat es viel mit Politik zu tun.

Den Grundstein für die erfolgreiche Etablierung der Geschlechterforschung hat Frau Krell mit dem von ihr herausgegebenen Band: „Chancengleichheit durch Personalpolitik“ gelegt, dem eine Konferenz vorausging, die Wissenschaft und Praxis zusammengeführt hat. In diesem Band finden sich Beiträge zu dem gesamten Spektrum der Personalpolitik und den jeweiligen Verknüpfungspunkten zur betrieblichen Gleichstellung. Der Band erfreut sich großer Popularität; er wird in wenigen Tagen in der vierten Auflage erscheinen. Hört man sich bei Praktikerinnen der Gleichstellungspolitik um, so erfährt man rasch, dass hier ein Standardwerk der deutschen Gleichstellungspolitik entstanden ist. Dasselbe gilt für die Wissenschaft, das Buch ist dort gleichermaßen  zur ersten Referenzquelle für Gleichstellungsfragen geworden.

Ein weiterer wesentlicher Meilenstein in der wissenschaftlichen Arbeit von Frau Krell war gewiss ihr aufsehenerregendes Projekt zur impliziten Diskriminierung von Frauentätigkeiten im Dienstleistungssektor. Und ich gehe davon aus, dass es vor allem auch dieses Projekt der Jury leicht gemacht hat, den Margherita von Brentano-Preis Gertraude Krell zu verleihen.

Worum ging bei diesem Projekt?

Als Basis der Entlohnung wird Arbeit wird typischerweise nach Bewertungsklassen kategorisiert, die Arbeitsbewertungssysteme legen hierfür bestimmte Kriterien fest, die zumeist dann auch in Tarifverträgen verankert werden, so auch im Bundes-Angestellten-Tarif, kurz BAT genannt. Durch diese Kriterien soll die Bewertung der Arbeit vergleichbar und objektiv werden. Dass diese  Objektivität im Hinblick auf Geschlechterdifferenzen bisweilen nur eine scheinbare ist, wird immer wieder vermutet, aber wie soll man Derartiges nachprüfbar belegen? Frau Krell hat das Risiko eines solchen Unterfangens auf sich genommen. Konkret ging es bei dem Projekt um den BAT und die Vermutung, dass das dort verwendete Bewertungsverfahren implizite eine Diskriminierung von solchen Tätigkeiten enthält, die überwiegend von Frauen wahrgenommen werden. Die Vermutung also, dass diese Tätigkeiten im Vergleich zu typischen Männertätigkeiten strukturell unterbewertet werden. Frau Krell hat in ihrem Projekt zu diesem Behufe vier Vergleichspaare mit typischen Frauen- und Männertätigkeiten aus verschiedenen Statusgruppen ausgewählt. Als Außenmaßstab wurde ein anderes EU-rechtskonformes Bewertungsverfahren eingeführt, nämlich die Analytische Arbeitsbewertung nach Katz und Baitsch, die u. a. auch psycho-soziale Beanspruchung als Bewertungsdimension vorsieht.  Ein Vergleich der Einstufungen nach dem etablierten und dem zuletzt  Verfahren brachte relativ rasch signifikante Unterschiede zu Tage. Die frauendominierten Tätigkeiten waren nach dem Katz und Baitsch-Verfahren systematisch höher zu bewerten. Der Grund dafür war ganz einfach der, dass dort anders geartete  Bewertungsdimensionen, wie die  psycho-soziale Beanspruchung, Eingang gefunden haben, mit der Folge, dass den Frauentätigkeiten eine höhere Wertigkeit zuzusprechen war.

Damit konnte rasch einsichtig gemacht werden, dass sich in der (Vor-)Auswahl der Bewertungsdimensionen und auch in ihrer Gewichtung zueinander eine nicht näher begründbare Benachteiligung von frauendominierten Tätigkeiten versteckte. Damit war nicht nur ein Weg aufgezeigt, wie man Benachteiligungsvorwürfe prüfen kann, sondern darüber hinaus auch ein Baustein geliefert, mit dem die nach wie vor bestehenden hohen Entgeltdifferenzen zwischen Frauen und Männern erklärt werden können. Die Ergebnisse dieses Projektes flossen nicht nur in die wissenschaftliche Diskussion ein, sondern gingen auch konkret in die politische Diskussion um die Reform des Tarifsystems für den öffentlichen Dienst ein.

Wer nun allerdings glaubt, die Preisträgerin als Advokatin für alle und jede im Umlauf befindlichen Frauenthesen einsetzen zu können, wird sich bald wundern. Die Preisträgerin ist unbestechlich. Auch dort, wo alles schon festzustehen scheint, beharrt sie auf einer sauberen wissenschaftlichen Analyse. Und wenn es so nicht herauskommt wie gedacht, ja dann verhalten sich die Dinge eben anders als gedacht.

Das musste ich an mir selbst erfahren: „Frauen führen anders“ – diese viel geglaubte Wahrheit habe ich meiner Kollegin vorgetragen als ich hierher nach Berlin kam. „Nein“, meinte sie, „dafür gibt es bisher keine schlüssigen Nachweise“ – und sie setzte nach: „Wieso auch?“

Ja, stimmt eigentlich: Wieso auch?

Liebe Gertraude, ich gratuliere Dir von ganzem Herzen zu diesem Preis und beglückwünsche die Jury des Margherita von Brentano-Preises zu ihrer Wahl.